Auch nach dem zweiten Verhandlungstag vor dem Konstanzer Amtsgericht fällte Richter Dennis Fandrousi kein Urteil. Die Frage, warum ein Zweitklässler in seiner ersten Schwimmstunde im Hallenbad am Seerhein ertrank, konnte trotz weiterer Zeugenaussagen nicht eindeutig geklärt werden. Somit ist immer noch offen, ob die angeklagten Lehrerinnen ihre Sorgfaltspflicht verletzten – oder ob sie durch ihren Unterricht sogar aktiv zur Möglichkeit eines Unglücks beitrugen, wie Oberstaatsanwältin Claudia Fritschi inzwischen annimmt.

Die drei Kinder, die sich mit dem Zweitklässler kurz vor dessen Tod an der Trennleine zwischen Schwimmer- und Nichtschwimmerbereich befunden haben sollen, mussten nicht aussagen. Stattdessen wurden zwei Polizeibeamte gehört, die nach dem Vorfall je zwei Kinder vernommen hatten. Einer davon hatte schon am ersten Verhandlungstag ausgesagt. Und wie schon beim ersten Mal nahm Gerhard Zahner, Anwalt der erfahrenen Lehrerin, diesen Hauptkommissar in die Mangel.

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Er kritisierte seine Verhörtechnik und stellte die Frage, warum der Polizist und sein Kollege, in Absprache mit der Staatsanwältin, nur vier von 21 Kindern vernahmen – obwohl diese unterschiedliche Aussagen dazu machten, welche Regeln die Lehrerinnen im Schwimmbad aufstellten. „Das Gericht kann sich auf diese Befragung nicht stützen“, sagte Zahner und beantragte erneut, dass Kinder aussagen sollen – und zwar die gesamte Klasse. Im Verlauf der Verhandlung sollten viele weitere Anträge der Verteidigung folgen. Einen davon ließ Dennis Fandrousi zu, über die anderen hat er noch nicht entschieden. Deshalb wird der Fall am Mittwoch, 12. Februar, 9 Uhr, im Landgericht fortgesetzt.

Die Unterrichtsgestaltung der fraglichen Stunde

Zentraler Gegenstand des zweiten Prozesstages war die Unterrichtsgestaltung der fraglichen Stunde. Die Lehrerinnen hatten alle 21 Kinder in ihrer ersten Schwimmeinheit gemeinsam ins Wasser geschickt, wo sie sich unter anderem beim Spiel „Waschanlage“ nass spritzen sollten. Laut Aussage eines Kindes gegenüber der Polizei sei es dabei es so wild zugegangen, dass man nicht mehr alle Klassenkameraden erkennen konnte.

Die Verhandlung fand aus Platzgründen erneut im Schwurgerichtssaal am Landgericht statt.
Die Verhandlung fand aus Platzgründen erneut im Schwurgerichtssaal am Landgericht statt. | Bild: Hanser, Oliver

Als Gerhard Zahner auf die Wichtigkeit der Wassergewöhnung einging, widersprach Dubravko Mandic, Anwalt der betroffenen Eltern: „Niemand bestreitet, dass Wassergewöhnung wichtig ist! Aber dabei müssen die Lehrerinnen alle Kinder im Blick haben und nicht nur in der Vorwoche abfragen, wer nicht schwimmen kann, sondern sich dies auch vor Ort vergegenwärtigen.“

Obwohl dies eben nicht geschehen sein soll, sehen ihre Anwälte „keinerlei Verletzung der Sorgfaltspflicht“ bei ihren Mandantinnen. Und so setzten die Verteidiger von vornherein alles daran, deren Unschuld zu beweisen. Am ersten Tag wollten sie darauf hinaus, dass dem Siebenjährigen eventuell durch den Chlorgeruch im Schwimmbad übel wurde und dies der Grund war, warum er vor seinem Tod erbrechen musste. Auch seien Reste eines Schlafmittels in seinem Körper gefunden worden. Könnten sie nicht darauf hindeuten, dass er bereits vor dem Unfall müde und nicht mehr voll bewegungsfähig war? Doch Kinder hatten ausgesagt, der Zweitklässler sei an diesem Tag sehr agil gewesen. Das Mittel könne aufgrund der anschließenden Behandlung im Körper gewesen sein, sagte der zuständige Arzt im Klinikum Singen als Zeuge aus.

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Und nun, am zweiten Prozesstag, beantragten die Verteidiger ein Gutachten, das es in sich hat. Denn es stellt das Schulschwimmen in seiner jetzigen Form infrage. Christian Funk, Anwalt der damaligen Referendarin, argumentierte: „Ein Psychologe wird bestätigen, dass eine Aufsichtsperson gar nicht 21 Kinder gleichzeitig beobachten kann. Menschen können nur vier bis fünf bewegliche Objekte im Auge haben. Bei einer solch großen Gruppe dauert es also zehn bis elf Sekunden, bis dasselbe Kind wieder beobachtet wird. In der Zwischenzeit kann jedes andere in Gefahr geraten.“ Selbst zwei Lehrerinnen könnten nur rund zehn Kinder gleichzeitig mit Blicken fixieren.

Anklage ändert ihre Bewertung

Oberstaatsanwältin Claudia Fritschi erwiderte: „Das ist nicht relevant, denn es ist ja genau der Vorwurf der Anklage, dass man nicht 21 Kinder in der ersten Schwimmstunde gleichzeitig ins Becken lassen darf!“ Sie kam zu einer neuen Bewertung ihrer Anklage. „Meinen ursprünglichen Strafbefehl hatte ich zugunsten der Lehrerinnen ausgelegt, weil ich davon ausgegangen bin, dass der Tod eines Kindes die schlimmste Strafe für eine Lehrkraft ist. Aber inzwischen bleibe ich nicht bei fahrlässiger Tötung durch Unterlassen, sondern mein Vorwurf lautet fahrlässige Tötung durch aktives Tun.“

Als die Verteidiger noch weitere Gutachten forderten, um die Lehrerinnen zu entlasten, wurde Fritschi deutlich: „Wollen Sie ernsthaft die Verhandlung so weiterführen, dass Sie den Kindern die Schuld für dieses Unglück geben?“, fragte sie die Angeklagten, die während des gesamten zweiten Prozesstages schwiegen. Dafür wiederholte Anwalt Zahner: „Das einzig Entscheidende ist, dass Kinder sich entgegen der Anweisung der Lehrerinnen an die Trennleine begaben. Unsere Mandantinnen haben sich exakt an die Vorgaben des Kultusministeriums für Schwimmunterricht gehalten. So wie sie würde jeder Schwimmlehrer handeln.“ Richter Dennis Fandrousi hatte Zweifel: „Das ist Ihre Auffassung.“ Darauf der Anwalt: „Wenn Sie eine andere Auffassung haben, müssen wir ab jetzt den Schwimmunterricht an allen Schulen sein lassen.“

Das sagt ein Sportlehrer zur Verhandlung

So ähnlich äußerte sich Sportlehrer Jürgen Rössler, der als Zuschauer anwesend war, gegenüber dem SÜDKURIER: „Das Problem sind die veralteten Vorgaben seitens des Kultusministeriums. Das ganze System versagt und lastet jetzt auf den Schultern von zwei Lehrerinnen.“ Das stimmt ihn nachdenklich. Rössler sagt: „Als Lehrer muss man sich darauf verlassen können, dass man auf der sicheren Seite steht, wenn man sich an die Vorgaben des Landes hält. Je nachdem, wie das Urteil in diesem Prozess ausfällt, wird bald kein Pädagoge mehr bereit sein, ins Schwimmbad zu gehen – und das in einer Stadt am See.“

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Als der zweite Verhandlungstag zu Ende ist, bricht eine Zuhörerin in Tränen aus. Sie ist die Mutter eines Jungen, der mit dem verunglückten Kind befreundet war. „Es ist beschämend, dass die Anwälte alles daran setzen, den Kindern die Schuld zu geben. Sie betonen, dass es um die berufliche Zukunft der Lehrerinnen gehe – aber der tote Junge hat keine Zukunft mehr“, sagt sie.