Die bis zu 40 Zuschauer sind mühsam durch die Personenkontrolle geschleust worden und nehmen im gut gefüllten Zuschauerraum Platz. Dort warten sie darauf, dass sieben Zeugen sowie ein Gerichtsmediziner, Staatsanwältin, Nebenkläger und zwei Verteidiger in Erfahrung bringen, warum ein Siebenjähriger in seiner ersten Schwimmstunde in Konstanz unter Wasser geriet und ertrank.
Oberstaatsanwältin Claudia Fritschi trägt die Anklage gegen die Lehrerin und die damalige Referendarin vor, sie lautet auf fahrlässige Tötung. „Das Wasser im Hallenbad am Seerhein ist beim Einstieg 82 Zentimeter tief, das Becken fällt recht schnell ab. Dort, wo eine Leine den Nichtschwimmer- vom Schwimmerbereich trennt, beträgt die Tiefe bereits 1,32 Meter.“
Weiter erklärt sie: „Der Geschädigte war 1,25 Meter groß und konnte dort nicht einmal auf Zehenspitzen stehen. Obwohl Ihnen diese Verhältnisse bekannt waren, schickten Sie alle 21 Kinder dieser Klasse in ihrer ersten Schwimmstunde ins Becken und ließen es zu, dass alle sich frei und ohne Schwimmhilfe im gesamten Nichtschwimmerbereich bewegten.“

Dann sollten die Kinder ein Spiel zur Wassergewöhnung spielen, „bei dem sie einen Tauchring wie ein Lenkrad benutzen und sich durchs Becken bewegen sollten, anschließend sollten sie sich beim Spiel Waschanlage nass spritzen“, so die Oberstaatsanwältin.
Die Lehrerin und die Referendarin hätten den Kindern keinen Hinweis auf das abfallende Becken gegeben und bei diesem Spiel den Überblick verloren. „Der Geschädigte trieb mit dem Gesicht nach unten und starb, weil Sie beide sein Ertrinken zu spät bemerkten und Ihre Sorgfaltspflicht verletzten.“
Außerdem hätten die beiden sich bei der polizeilichen Befragung nicht mehr daran erinnern können, welche sechs Kinder Nichtschwimmer waren, obwohl die Eltern dies zuvor auf einem Zettel ausfüllen mussten. „Sie hätten nur so viele Kinder ins Wasser lassen dürfen, dass Sie jederzeit alle im Blick haben.“
Überraschung gleich zu Prozessbeginn
An dieser Stelle erleben die Zuhörer eine Überraschung. Denn nun lassen die Angeklagten ihre Sicht der Dinge von ihren Anwälten verlesen. Und die deckt sich in vielen Punkten nicht mit ihren ursprünglichen Aussagen gegenüber der Polizei.
Deshalb beantragen die Anwälte Gerhard Zahner und Christian Funk, dass diese ersten Aussagen nicht verwertet werden dürfen. „Unsere Mandantinnen standen bei der Befragung so kurz nach dem Unfall unter Schock“, so Zahner, der die erfahrene Sport- und Schwimmlehrerin der Stephansschule vertritt. Außerdem, so die Sicht der Anwälte, habe der Polizist damals tendenziös befragt und sie nicht auf ihr Recht hingewiesen, einen Anwalt hinzuzuziehen.

Sein Vorgehen begründet Zahner so: „Wir haben hier zwei Mandantinnen, die vollkommen zerstört und ernsthaft von ihrer Unschuld überzeugt sind. Für sie ist die Wahrheitsfindung vor Gericht existenziell wichtig.“ So erklärt sich auch, warum es überhaupt zu einer Hauptverhandlung kam. Denn diesem öffentlichen Prozess hätten die Pädagoginnen entgehen können, wenn sie den Strafbefehl von Oberstaatsanwältin Claudia Fritschi akzeptiert hätten, der eine Bewährungsstrafe von unter einem Jahr vorsah.
„Den Strafbefehl zu akzeptieren, käme einem Schuldeingeständnis gleich, das wäre eine rechtskräftige Verurteilung“, erläutert Andreas Mathy, Pressesprecher der Konstanzer Staatsanwaltschaft, am Rande des Prozesses. „Durch eine öffentliche Verhandlung dagegen kann die eigene Sicht dargestellt werden.“

Und so lässt die Lehrerin, die vor Gericht von ihrer Rektorin als „zuverlässig und eine der wichtigsten Säulen im Kollegium“ beschrieben wird, nun verlesen: „Ich habe die Kinder angewiesen, nicht bis zur Leine zu gehen und nicht zu schwimmen. Wir sagten, sie sollten dort bleiben, wo sie sicher stehen können, und standen beide an der Kopfseite des Beckens, wo wir alle jederzeit im Blick hatten.“
Doch kurze Zeit später habe ihre Kollegin den Jungen im Bereich der Leine mit dem Gesicht im Wasser entdeckt und sie darauf aufmerksam gemacht. Sie habe ihn aus dem Becken gezogen und mit der Reanimation begonnen, während die Kollegin den Notrufknopf betätigte.
Wie lange war der Siebenjährige unter Wasser?
Die sofort eingeleiteten Rettungsmaßnahmen werden von zwei damaligen Angestellten der Konstanzer Bäderbetriebe bestätigt, die an jenem Tag im Hallenbad Dienst hatten. Auch der vernehmende Kriminalhauptkommissar, die Rektorin der Stephansschule und der Leitende Oberarzt im Klinikum Singen, der den Siebenjährigen nach dessen Einlieferung mit dem Hubschrauber betreute, sagen als Zeugen aus.
Wesentliche Fragen bleiben bis hierhin aber unbeantwortet: Wie kam der Siebenjährige dann doch an die Leine, und warum bemerkte zunächst niemand, dass er im Schwimmerbereich im Wasser trieb? Wie lange war er unter Wasser, bis Hilfe kam?
Auch die Seelsorgerinnen sagen im Prozess aus
Eine Wendung nimmt der Prozess, als am Nachmittag zwei Notfallseelsorgerinnen aussagen, die zum Schwimmbad gerufen worden waren. Beide berichten von Gesprächen mit drei Klassenkameraden, die vor dem Unglück mit dem Siebenjährigen im Wasser waren.
„Zwei von ihnen erzählten, sie hätten zwar Autobewegungen machen sollen, hätten aber herumgealbert und seien zu viert an der Leine gewesen. Ihr Freund habe sich mit beiden Händen daran festgehalten, sei dann umgekippt und mit dem Gesicht aufs Wasser gefallen“, berichtet eine der Seelsorgerinnen. Die andere ergänzt: „Den Kindern war bewusst, dass sie nicht zur Absperrung durften. Aber sie wollten ein Abenteuer erleben und sich auf die Leine legen.“

Die Anwälte sehen damit die Unschuld ihrer Mandantinnen bewiesen, doch die Oberstaatsanwältin widerspricht heftig. Gerhard Zahner möchte nun die drei Jungen beim zweiten Prozesstermin persönlich befragen. Claudia Fritschi sieht darin, knapp eineinhalb Jahre nach dem Vorfall, keinen Erkenntnisgewinn. Es wird laut zwischen den Parteien, dann entscheidet Richter Dennis Fandrousi: Der Prozess wird am Freitag, 31. Januar, 9 Uhr (vermutlich ebenfalls im Landgericht) fortgesetzt.
Die beiden Angeklagten selbst sagen nicht viel. Klar wird trotzdem, wie sehr der Vorfall sie psychisch belastet, sie sind in therapeutischer Behandlung. So sagt die damalige Referendarin, die inzwischen befristet als Lehrerin in der Schweiz angestellt ist: „Der Unfall begleitet mich täglich, ich kann schlecht schlafen.“