Es ist 9.23 Uhr. Unruhig rutscht der 20-jährige Angeklagte auf seinem Stuhl im Schwurgerichtssaal des Landgerichts Konstanz hin und her. Immer wieder zupft er an einem Kopfhörer herum. Durch diesen hört er die Stimme der Dolmetscherin, die für ihn auf Italienisch übersetzt, was ihm von der Staatsanwaltschaft Konstanz zur Last gelegt wird: versuchter Mord.

Auf der anderen Seite des Verhandlungssaals hat sein Freund Platz genommen, der sich ebenfalls aufgrund der Tat verantworten muss. Der 35-Jährige wirkt weniger aufgeregt. Er lächelt ab und zu und rückt das Bandana zurecht, ein quadratisches Tuch, das er sich um die linke Handfläche gewickelt hat.

Laut Anklage wollten die Männer heimtückisch morden

Dann beginnt der Prozess an diesem Freitag, 24. Januar. Oberstaatsanwältin Claudia Fritschi steht im Gerichtssaal und liest ihre mehrseitige Anklageschrift vor. Am 7. Juli 2024 gegen 5.20 Uhr sei es in Konstanz zu dem Mordversuch gekommen.

Die beiden Männer sollen mit einem schwarzen Revolver von einem fahrenden Motorroller auf eine Personengruppe an der Eni-Tankstelle an der Reichenaustraße geschossen haben. Ein Mann wurde dabei in den Oberarm und in die Brust getroffen und dadurch schwer – aber glücklicherweise nicht lebensgefährlich – verletzt.

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Vor den Schüssen soll es zur Schlägerei gekommen sein

Alles soll gegen 4.30 Uhr in der nahegelegenen Diskothek „Grey“ begonnen haben – mit einem Minderjährigen, der wohl in der Disco gefeiert hat. Er sei dort in einen Streit mit anschließender Schlägerei geraten. Der Grund ist nicht bekannt. Der Minderjährige soll daraufhin seine Schwester angerufen und von der Auseinandersetzung berichtet haben. Diese wiederum ist die Partnerin des 35-jährigen Angeklagten.

Der 35-Jährige sei laut Anklageschrift dann zum „Grey“ gefahren, um sich am Kontrahenten des Minderjährigen zu rächen. Allerdings verprügelt der 35-Jährige einen Unbeteiligten, den er fälschlicherweise für diesen hält. Mit einem Schlagstock sei der Angeklagte auf den Mann, den er für den Schläger hält, losgegangen und habe ihn verletzt. Ein Ende findet diese Prügelei erst, als das Security-Personal der Disco mit Pfefferspray einschreitet.

Der 35-jährige Angeklagte soll den Roller gefahren haben, von dem aus der 20-Jährige auf eine Menschenmenge geschossen haben soll. Auch ...
Der 35-jährige Angeklagte soll den Roller gefahren haben, von dem aus der 20-Jährige auf eine Menschenmenge geschossen haben soll. Auch er wird – durch Ketten an den Fußgelenken sowie durch durch Handschellen – gefesselt in den Saal gebracht. | Bild: Sabrina Morenz

Etwa zur gleichen Zeit hatte die Schwester des Minderjährigen den 20-jährigen Mitangeklagten angerufen. Der junge Mann, der sich nun ebenfalls vor Gericht verantworten muss, ist wiederum ihr Neffe. Die Staatsanwaltschaft vermutet nun, dass der 35-Jährige zusammen mit dem 20-Jährigen auf den Motorroller gestiegen ist, um auf die Suche nach dem vermeintlichen Schläger des Minderjährigen zu gehen.

Sie finden den eigentlich Unbeteiligten, der bereits vor dem „Grey“ angegriffen wurde, in einer Gruppe bei der Eni-Tankstelle wieder. Dort sollen laut Anklageschrift die zwei Männer von ihrem Motorroller abgestiegen sein und wieder auf den Geschädigten mit einer Teleskopstange eingedroschen haben. Einige umstehende Personen hätten versucht, die Prügelei zu beenden. Dennoch hätten der 20- und der 35-Jährige nicht vom am Boden liegenden Geschädigten abgelassen.

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Staatsanwältin ist sich sicher: „Sie wollten sich rächen“

Schließlich seien die beiden auf den Roller gestiegen, um zu flüchten. Zu diesem Zeitpunkt sei die Polizei bereits verständigt gewesen. Die beiden Männer sollen laut Staatsanwaltschaft eine Runde auf dem Roller gedreht haben und kehrten zum Ort des Verbrechens zurück.

Während dieser Rückkehr soll der 20-Jährige die Waffe des 35-Jährigen genommen oder überreicht bekommen haben, um während der Fahrt auf die Menschenmenge zu schießen. Dabei wird ein zum Tatzeitpunkt 37-Jähriger von der Munition getroffen. Der Schwerverletzte soll aber mit der Auseinandersetzung vor der Diskothek und der Tankstelle nichts zu tun gehabt haben.

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„Sie feuerten Schüsse ab, bis ihr Magazin leer war. Es waren fünf bis sechs Schüsse. Die Angeklagten nahmen in Kauf, dass eine oder mehrere Personen getroffen, schwer verletzt oder getötet werden konnten“, wirft ihnen Staatsanwältin Claudia Fritschi vor. Die Tat sei heimtückisch gewesen und die Männer hätten aus niedrigen Beweggründen gehandelt. „Sie wollten sich rächen“, so die Staatsanwältin. Nach den Schüssen seien die beiden direkt nach Kreuzlingen gefahren, wo die Männer wenige Stunden später verhaftet wurden.

Knapp ein halbes Jahr später stehen die beiden Männer vor Gericht. Sie selbst möchten keine Angaben zu der Tat oder den Tatvorwürfen machen. Sie schweigen. Der erste Prozesstag endet vorzeitig und kurz nach der Anklageerhebung: Die Dolmetscherin, die für den 20-Jährigen übersetzt, sagt dem Gericht spontan für den Nachmittag ab. „Ohne Dolmetscher können wir nicht verhandeln“, sagt Richter Joachim Dospil und vertagt die Zeugenaussagen auf den nächsten Verhandlungstermin am 4. Februar.