Nour Alfadel, 23 Jahre, lebt seit acht Jahren in Konstanz. Als sie 2017 mit ihrer Familie ankam, war sie eine entwurzelte Jugendliche und sprach kein Wort Deutsch. Ihr Vater war zuerst auf der Flucht vor dem Assad-Regime aus Syrien ausgereist, danach machte sich auch Nours Mutter mit den fünf Kindern auf den Weg nach Deutschland.

Heute studiert Nour Alfadel Asia Management an der HTWG Konstanz, sie hat eine eigene Wohnung, vor ein paar Monaten hat sie die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. „Ich wollte das, damit ich wählen kann, damit es leichter ist, zu reisen. Wenn man den deutschen Pass hat, fühlt man sich sicherer“, sagt sie.

Bis sich das Gefühl der Sicherheit bei Nour Alfadel festigte, ist viel passiert. Nour und ihre Schwestern gingen zur Schule, lernten Deutsch, mussten dafür sorgen, mitzuhalten, wurden gefördert, machten schließlich Abitur. Alle drei älteren Schwestern studieren, die jüngste geht noch zur Schule. Nour und ihre Schwestern gelten in Konstanz als ein Beispiel für gelungene Integration.

3353 Geflüchtete leben in der Stadt

Die Stadtverwaltung hat jetzt einen Integrationsbericht erstellt, der die vergangenen zehn Jahre Migrationsgeschichte in Konstanz beleuchtet. 3353 Geflüchtete leben aktuell in Konstanz, fast 1200 stammen aus der Ukraine, gefolgt von knapp 500 Syrern und 250 Afghanen. Im Moment sinkt die Zahl der Neuankommenden im Landkreis. Aber wirkt sich das auf die Zahl derer aus, die die Stadt aufnehmen muss? Was läuft und lief gut, in welchen Bereichen ist Integration in Konstanz erfolgreich verlaufen, wo gibt es Schwierigkeiten?

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Eine der größten Herausforderungen liegt bei der Unterbringung der Geflüchteten. 2160 Menschen oder 64 Prozent seien im regulären Wohnungsmarkt untergekommen. Das wertet Bürgermeister Andreas Osner als Erfolg, immerhin handele es sich bei Konstanz um eine Stadt mit großer Wohnungsnot. Darüber hinaus betreibe die Stadt elf Gebäude für die Anschlussunterbringung der Geflüchteten. 825 Menschen leben in den städtischen Unterkünften, 350 in Gemeinschaftsunterkünften des Landkreises.

Eine große Herausforderung kommt allerdings noch auf Konstanz zu: In den kommenden zwei Jahren werde Konstanz viele Flüchtlinge aufnehmen müssen, die bisher in Gemeinschaftsunterkünften des Landkreises leben. „Das betrifft eine dreistellige Zahl“, sagt Andreas Osner, die Stadt habe aber etwas Zeit. Geplant sei, ein Grundstück zu erwerben, um darauf eine neue Anschlussunterbringung zu bauen. Einfach wird die Aufgabe nicht: Neubauten werden immer teurer, und auch Nichtmigranten drängen auf Wohnraum.

Bei der Integration in Arbeit ist der Faktor Zeit entscheidend. Für die im Jahr 2015 zugezogenen Migranten habe die Quote der Erwerbstätigkeit vier Jahre nach ihrer Ankunft in Deutschland bei 39 Prozent gelegen, heißt es in dem Bericht, nach sieben Jahren bei 64 Prozent. Dass die Migration durch Geflüchtete durchaus auch zur Lösung des Problems des Personalmangels beiträgt, zeigen die Branchen, in denen Geflüchtete tätig sind: vor allem in der Gastronomie und im Handel, in Gesundheitsberufen, bei Reinigungsunternehmen und in der Logistik.

Bild 1: Wie gut sind Geflüchtete in Konstanz integriert? – Das sagt die Stadtverwaltung!
Bild: Kerstan

Noch etwas hat sich seit 2022 verändert: die politische Grundstimmung. Entstand unter dem Eindruck des Beginns des Ukrainekriegs eine große Willkommenskultur, so ist bundesweit die Stimmung Migranten gegenüber inzwischen ablehnender. In Konstanz spüre man das noch nicht so deutlich, sagt Nour Alfadel. Doch auch hier gibt es Verunsicherung in der Bevölkerung, die sich auch aus Berichten über Delikte speist, die von Migranten begangen wurden. David Tchakoura, Leiter der Stabsstelle International, äußert sich dazu: „Sorgen mache ich mir noch nicht, aber mir ist bewusst, dass wir dranbleiben müssen.“

Violetta Klimenko ist erst seit zwei Jahren in Konstanz. Deutsch spricht die 39-Jährige inzwischen fast fehlerfrei, sie arbeitet bei der Wobak in der Buchhaltung. Beruflich sei nicht das möglich, was sie sich in der Ukraine bereits erarbeitet hatte – Klimenko war Leiterin der Finanzabteilung eines Unternehmens – doch als sie den Anruf von der Wobak erhielt und zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurde, habe sie gejubelt. Für sie ist eine Arbeitsstelle gleichbedeutend mit einem großen Stück Unabhängigkeit.

Dankbarkeit und Wunsch nach Transparenz

Was macht Konstanz gut bei der Integration der Zuwanderer, was weniger? Manches hat sich Violetta Klimenko selbst erarbeitet, bei anderen Dingen erhielt sie große Unterstützung, betont sie. So hätten Florian Merkel und Lore Giesinger sie direkt nach ihrer Flucht aus Kiew in Dettingen untergebracht, ihre Dankbarkeit darüber ist riesig.

„Die Menschen in Konstanz machen sehr viel ehrenamtlich, ich möchte davon etwas zurückgeben“, sagt sie. Ein wenig Sorgen mache ihr eine gewisse Trägheit auf den Ämtern. Sie verstehe aber, dass es angesichts der Anzahl an Flüchtlingen zuweilen dauere, bis man einen Termin bekomme. Gerade im Hinblick auf ihren Aufenthaltsstatus benötigten alle Ukrainer im Moment dringend Informationen, um sich nicht so sehr um die Zukunft sorgen zu müssen.

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Auch Nour Alfadel äußert sich sehr positiv zu den Integrationshilfen, die es in Konstanz gibt und die ihr vieles erleichterten. „Es gibt viele gute Programme, gerade für Jugendliche, wie den Young women‘s club der Malteser“, sagt sie. Und viele Organisationen wie Save me und Cafe mondial, die sich an alle Neuzuwanderer richteten. Von Alltagsrassismus sei aber auch Konstanz nicht frei. Manche einheimische Konstanzer etwa seien der Meinung, dass alle Frauen, die Kopftuch tragen, unterdrückt würden. „Aber das stimmt einfach nicht.“ Es ärgert sie, wenn solche Menschen nicht die Offenheit hätten, andere Kulturen zu verstehen. Auch bei manchen ihrer Kommilitonen bemerke sie eine Gleichgültigkeit gegenüber kulturellen Fragen.

In mancher Hinsicht hat sich Nour Alfadel abgesichert: mit dem deutschen Pass und mit ihrem Studium internationaler Wirtschaftsbeziehungen. Mit dieser Grundlage könne sie überall auf der Welt arbeiten, vielleicht werde sie nicht für immer in Deutschland bleiben. Ihre Beziehung zu Konstanz geht aber weit über pragmatische Überlegungen hinaus, sie ist zutiefst emotional. „Konstanz ist mein Zuhause, hier fühle ich mich stabil und gut.“