Für viele ist ein positives Testergebnis ein Schock, sind die folgenden knapp zwei Wochen eine unruhige Zeit mit mehr oder weniger schweren Symptomen. Eine Covid-19-Infektion beeinträchtigt das Leben zunächst einmal ganz ordentlich, manche können damit nach überstandener Krankheit aber rasch zum Alltag zurückkehren. Für etwa zehn Prozent der Betroffenen gilt das nicht. Sie leiden an „Long Covid“, den Spätfolgen einer Corona-Infektion – und diese können beträchtlich sein und über einen sehr langen Zeitraum andauern.

Rheumatische Schmerzen nach der Erkrankung

Rainer Blumenstein etwa leidet bis heute an rheumaartigen Schmerzen. „Ich war einer der ersten, die an Covid-19 erkrankten, im März 2020“, berichtet er bei einer öffentlichen Vorstellung der Selbsthilfegruppen für Menschen, die eine Covid-19-Erkrankung durchgemacht haben, im Sitzungssaal des Landratsamts. Blumensteins Krankheitsverlauf sei zunächst nicht ungewöhnlich gewesen, ein Kratzen im Hals, Verlust des Geschmackssinns. Nach zwei Wochen schien die Krankheit ausgestanden.

Die Ärzte wissen nicht weiter

„Im Sommer 2020 bekam ich Schmerzen, wie ein Muskelkater, der ständig in andere Gliedmaßen wandert“, berichtet er. Die Problematik begleitet ihn bis heute. Nach 16 Monaten spüre er weiterhin rheumatische Schmerzen. Blumenstein nimmt Cortison, das helfe. Eine Odyssee von Arzt zu Arzt hat er hinter sich. Selten seien bei Untersuchungen klare Ergebnisse herausgekommen, er fühle sich oft unverstanden. Die Ärzte wissen nicht, ob man die Schmerzen auf die Corona-Infektion zurückführen kann oder ob sie eine andere Ursache haben.

Auch deswegen will Blumenstein, der aus Unteruhldingen stammt, Teil der Selbsthilfegruppe sein. Sich austauschen mit Menschen, die ihn verstehen und nicht an seinen Beschwerden zweifeln.

Selbsthilfegruppen in verschiedenen Städten

Otto Rommel, selbst Covid-Genesener, hat die Gruppe initiiert und greift auf Erfahrung in anderen Städten zurück. Zunächst gründete er eine Gruppe in seiner Heimatstadt Stuttgart, später in Tübingen, Waiblingen, Mannheim. Weitere sollen folgen. Der Bedarf ist da, immer mehr Long-Covid-Betroffene wollen vor allem eins: nicht mehr isoliert sein.

Die Nachbarin hat einen Hang zur Diskriminierung

Eine Nachbarin war es, die Karola Beising dazu antrieb, über ihre Covid-Erkrankung nicht länger zu schweigen. „Du weißt schon, dass hier alle wissen, dass ihr an Corona erkrankt seid?“, habe die Nachbarin zu ihr nach ihrer Genesung gesagt und ihr damit das Gefühl gegeben, dass ihr seither ein Makel anhafte. Das möchte Karola Beising so nicht akzeptieren. Ihre Familie, die in Mühlhausen-Ehingen lebt, hat die Krankheit schwer getroffen, die Infektion passierte im Januar dieses Jahres.

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„Zunächst wurde nur ich positiv getestet, mein Mann und meine erwachsene Tochter waren negativ“, berichtet Beising. Ein fataler Trugschluss, denn nur wenige Tage später hatte ihr Mann so große Atemprobleme, dass sie den Rettungswagen rief. Es folgten bange Wochen. Ihr sei es zuhause in Isolation zwar „ganz okay“ gegangen, zumindest körperlich. Psychisch sah es in diesen bangen Wochen anders aus. Ihr Mann sei sofort auf die Intensivstation gekommen und dort intubiert worden.

„Ich habe zweimal am Tag angerufen und versucht, den Ärzten eine Prognose zu entlocken“, sagt sie. Doch die Ärzte legten sich nicht fest. Zu groß das Risiko, bei Angehörigen falsche Hoffnungen zu wecken. Wer langfristig beatmet wird, ist in Gefahr, die Krankheit nicht zu überleben. Manche schaffen es, andere nicht.

Bild 1: Damit die Krankheit nicht einsam macht: Im Kreis Konstanz gibt es jetzt eine Post-Covid-Selbsthilfegruppe
Bild: Wagner, Claudia

Ein Gefühl des Verlassenseins

„Ich habe mich sehr verlassen gefühlt in dieser Zeit“, sagt Karola Beising. Auch das sei für sie ein Grund, sich der Selbsthilfegruppe anzuschließen. Die Geschichte der Familie aus dem Hegau geht gut aus. Nach vier Wochen kommt Beisings Mann in eine Reha-Klinik zur Entwöhnung vom Beatmungsschlauch. Darauf folgt eine Rehabilitation in der Schmieder-Klinik in Gailingen, wegen möglicher neurologischer Schäden. Inzwischen gehe es ihm gut, nur schwach sei er noch, sagt seine Frau. Bei der Entlassung aus dem Krankenhaus seien die Ärzte offener gewesen. „Er war wohl einer von wenigen, die trotz eines so schweren Verlaufs überlebten.“

Zwei Wochen nach der Genesung: neue Schmerzen

Michael Amann erlebt, ähnlich wie Blumenstein, seine Covid-Erkrankung als mäßig belastend. „Zwei Wochen nach meiner Genesung fingen die Probleme an: Schwindel, Kopfschmerzen, Fieber, Gelenkschmerzen“, sagt er. Er sei irritiert gewesen von den Symptomen, Ärzte konnten kaum helfen. Inzwischen hat er eine Reha hinter sich, körperlich geht es ihm besser. Seine Gedächtnisprobleme belasten den Rielasinger jedoch. Amann ist verunsichert.

Wie kann den ehemaligen Covid-19-Patienten eine Selbsthilfegruppe helfen? Für viele geht es um den Austausch, das Gehörtwerden, darum, dass sie nicht allein sind mit dem, was sie erlebt haben. Es geht aber auch um das Teilen praktischer Erfahrungen. Viele der Betroffenen sind noch immer nicht gesund. Sie brauchen Ergo- oder Physiotherapie, Psychotherapie, sind schnell erschöpft. Nicht immer hat die Gesellschaft, die gern schnell zum Alltag übergeht, dafür Verständnis.

Otto Rommel gründet deswegen einen Verein, die Post-Covid Interessenvertretung. Weil die Pandemie für die Long-Covid-Betroffenen trotz eines Genesen/Geimpft-Stempels im Impfpass noch lange nicht vorbei ist.