Ein richtig gutes Essen endet mit einem Digestif, häufig auch Absacker genannt. Ein kleiner Schnaps soll die Verdauung anregen, so zumindest die Theorie. Aber eigentlich rundet das hochprozentige Getränk zum Schluss nur den ultimativen Genussmoment ab. Ob man lieber einen Kräuter- oder Obstschnaps trinkt, lieber Likör oder einen Geist, das bleibt jedem selbst überlassen. Auf der Höri verlangt man häufig nach einem HGO – einem hundsgewöhnlichen Obstler.
Diesen HGO und noch viel mehr gibt es aus der Schnapsbrennerei von Ralf Wiedemann. Das Brennrecht ist schon lange im Besitz der Familie, seitdem er volljährig ist, brennt der 44-Jährige aus Weiler in der heimischen Brennstube. Für Wiedemann nur ein Hobby, denn hauptberuflich ist er bei der Stadt Radolfzell bei den Technischen Betrieben angestellt. Aber ein Hobby, welches er mit großer Leidenschaft betreibt und bei dem er viel Fachkenntnis besitzt. Schnaps, Geist, was ist da eigentlich der Unterschied? Ralf Wiedemann kann es erklären: Ein Schnaps ist eine aus Obst oder Getreide gebrannte Spirituose, ein Geist ist mit Obst aromatisierter Alkohol. Und ein Likör wird gar nicht gebrannt, sondern angesetzt. Soweit zur Begriffserklärung.

Schnaps brennen, Geist einlegen oder Likör ansetzen kann durchaus eine kreative Tätigkeit sein. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. „Fast alles lässt sich zu Schnaps verbrennen“, so Wiedemann. In der Brennstube am Ortsrand von Weiler stehen neben klassischen Sorten wie Zwetschge, Birne und Kräuterschnaps auch exotischere Sorten wie Spargel oder ein Bierbrand. „Während der Corona-Pandemie konnte man recht günstig Bier kaufen, weil die Gaststätten geschlossen haben mussten. Also haben wir Bier gekauft und zu einem Bierbrand verarbeitet“, erklärt der 44-Jährige.
Nur Fallobst kommt in die Flasche
In Wiedemanns Flaschen kommt fast ausschließlich Fallobst der eigenen Streuobstbäume, manchmal auch von Nachbarn gespendet. Und wie es gerade Trend in der Branche ist, experimentiert er mit sortenreinen Obstbränden. So gibt es nicht nur eine Williamsbirne, sondern auch diverse alte Birnensorten, wie Gelbmöstler, Gaishirtle, Sülibirne oder eine Steirische Weinbirne. Eine andere Besonderheit im Regal ist ein Blutpflaumenschnaps. „Der schmeckt ein bisschen nach Amaretto“, beschreibt Wiedemann.
Zum Sortiment gehören neben den erwartbaren Obstbränden, Geisten und Likören auch Gin und Whiskey. Für seine vier Gin-Sorten hat Wiedemann eigene Rezepte mit Kräutern und Gewürzen, die der Spirituose ihren eigenen Geschmack verleihen sollen. Beim Whiskey hat er gerade erst die erste Ladung abgefüllt. „Der Whiskey lagerte jetzt drei Jahre im Fass“, erklärt er den zeitlichen Aufwand. Und von den einst eingefüllten 50 Litern sind nur 33 herausgekommen. Der Rest, der so genannte „Angel‘s Share“ (zu Deutsch: Anteil der Engel), verdunstet über den langen Reifeprozess.
Mit jedem Nasenloch riechen
Getrunken werden sollte der Schnaps bei Zimmertemperatur. Eine Kühlung ist laut Wiedemann nur bei hochsommerlichen Temperaturen notwendig. Beim Genuss aus einer Blume, einem bauchigen Glas für Spirituosen, lohne es sich, vorher daran zu riechen – aber jeweils nur mit einem Nasenloch. „Links und rechts riecht man unterschiedlich, es werden verschiedene Geschmacksnerven angesprochen“, erklärt er den Vorgang.
Und einfach auf Ex runterkippen würde er bei einem edlen Tropfen ebenfalls nicht empfehlen. Lieber empfiehlt er, diesen in mehreren Schlucken genießen. Überhaupt würde guter Schnaps nicht brennen. „Wenn er brennt, dann wurde er in der Regel zu schnell gebrannt“, erklärt Wiedemann.
Jeder Brennvorgang dauert laut Wiedemann drei Stunden und stellt einen großen bürokratischen Aufwand dar. Denn er muss ihn penibel beim Finanzamt anmelden und Steuern auf den gebrannten Alkohol bezahlen. Eine Anmeldung muss mehrere Werktage im Voraus erfolgen.
Die Uhrzeiten, zu denen gebrannt werden darf, sind ebenfalls genaustens geregelt. Keine Minute darf Wiedemann den Brennofen zu früh einheizen. Würde die Zollfahndung dann kontrollieren, könnte man ihn der Schwarzbrennerei bezichtigen. „Wenn ich einen Brennvorgang um 9 Uhr angemeldet habe, beginne ich ihn um Punkt 9 Uhr“, so der 44-Jährige. Gebrannt werden darf auch nur zwischen 6 und 20 Uhr. Doch hat sich Wiedemann einmal mit viel Aufwand eine Genehmigung für einen Nachtbrandvorgang organisiert. Im Ausstellungsregal steht nun auch ein Vollmondbrand.
Nur der Mittellauf ist genießbar
Der Brennvorgang sei weniger kompliziert, als viele denken würden, so Ralf Wiedemann. Man setze eine Maische an, wenn diese vergoren ist, wird diese in den Brennofen gefüllt und erhitzt. Der Alkohol verdampft und wird über einen Kühler verflüssigt und kann abgefüllt werden. Der Vorlauf und der Nachlauf, der erste und letzte Teil der Flüssigkeit, muss vom eigentlichen Schnaps getrennt werden, da dieser giftige Stoffe enthält. Dieser werde in der Regel an den Großhandel verkauft. Nur der hochwertige Mittellauf kommt in die Flaschen und zu Wiedemann ins Verkaufsregal.
Eine Flasche Wiedemann-Schnaps kostet zwischen 11 und 19 Euro. Und das, obwohl jede Birne und jede Zwetschge mit der Hand aufgelesen und weiterverarbeitet wurde. Diese Preise könne man nur aufrufen, weil die Familie mit anpacke. Auch seien seine Schnäpse wie Weine von der Ernte abhängig. Es gebe gute und weniger gute Jahrgänge. Einheitliche Geschmacksstandards wie im Supermarkt gebe es nicht.
Auch die Stadt Radolfzell stellt Schnaps her
Hochprozentiges gibt es übrigens nicht nur auf der Höri, auch die Stadt Radolfzell besitzt das Brennrecht und übt dieses auch aus. Die Ergebnisse gibt es in der Tourist-Information zu kaufen und sind vor allem bei Touristen sehr beliebt. „Unsere Verkaufsschlager sind Radolfzeller Kirsch, Apfel und Birne“, so Regina Brüsewitz von der Tourismus und Stadtmarketing GmbH. Bei der Stadt gebe es mehrere Mitarbeiter, die brennen könnten und dies auch für die Verwaltung täten. Ralf Wiedemann ist einer davon.
Wie schon für das Stadtjubiläum 2017, als Radolfzell den 750. Jahrestag des Stadtrechts gefeiert hatte, soll es für 2026, wenn Radolfzell sein 1200-jähriges Bestehen feiert, auch einen Jubiläumsschnaps geben. Projektleiterin Nina Herzog plant einen Pflaumenschnaps. Um die Stadtpartnerschaft mit Amriswil einzubeziehen, wolle man den Brennvorgang mit einem Freundschaftstreffen verbinden, so Herzog.