Der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine bringt auch die Städte und Gemeinden im Landkreis Konstanz an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit. Wöchentlich muss derzeit der Landkreis Konstanz etwa 100 neue Flüchtlinge aufnehmen und hat deshalb alle sieben Kreissporthallen mit sofortiger Wirkung für den Sport geschlossen, um dort die Vertriebenen des Krieges unterzubringen.
Bis zu 900 Sportler ohne Trainingsmöglichkeit
In Radolfzell trifft die Schließung der beiden Kreissporthallen auf der Mettnau und im Berufsschulzentrum die Vereine an ihrer Lebensader. Die Interessengemeinschaft (IG) Sport vertritt in Radolfzell die Sport treibenden Vereine und kümmert sich um die Verteilung der Hallen- und Sportplatzzeiten. Wie Axel Tabertshofer als Vorsitzender IG Sport vorrechnet, entfallen dadurch 30 Großhallen-Einheiten zu je 90 Minuten. Oder: Bis zu 900 Sportlerinnen und Sportler fehlt es dann einer Trainingsmöglichkeit, oft sind es Kinder und Jugendliche. Am ärgsten trifft die Schließung den Handballsportclub und den Turnverein Radolfzell.
Vereine fürchten um ihre Strukturen
Axel Tabertshofer berichtet aus einem Gespräch des Landratsamts Konstanz mit den Vereinen und Vertretern der Städte Konstanz, Singen und Radolfzell: „Der Landkreis war wohl überrascht von der Entwicklung im Sommer.“ Es sei wohl nicht erwartet worden, dass so viele Flüchtlinge kommen. Deshalb greife das Landratsamt auf alle ihm zuständigen Gebäudereserven zu, dazu gehörten eben auch die Sporthallen.
Es sei in dem Gespräch angesprochen worden, dass dadurch die Gefahr bestehe, dass bestehende Strukturen in den Vereinen kaputt gemacht würden. „Das wurde nicht bestritten, aber im Moment ist dem Landratsamt das Hemd näher als die Hose“, beschreibt Tabertshofer die Lage.
Berufliche Schulen müssen Sportunterricht anbieten
Der Einschnitt trifft nicht nur die Vereine, er trifft den Schulsport ganz empfindlich. Markus Zähringer, Schulleiter des Berufsschulzentrums Radolfzell und SPD-Kreisrat im Kreistag Konstanz, beschreibt die missliche Lage: „Das ist eine ganz knifflige Situation. Die Menschen, die zu uns kommen, haben sich das nicht ausgesucht.“

Doch die Schließung der zu seiner Schule gehörenden Kreissporthalle bereitet ihm ein schulisches Problem: „Sport ist in den VAB-Klassen und im Beruflichen Gymnasium Pflichtunterricht, wir müssen 60 Stunden Sportunterricht irgendwo unterbringen.“ Nun hofft Zähringer auf die Stadt Radolfzell: „Wir werden die städtischen Sporthallen benützen müssen.“
Oberbürgermeister Simon Gröger hat Verständnis für den Wunsch Zähringers, doch er schränkt ein: „Hallen sind in Radolfzell ein rares Gut.“ Und das Gut ist durch die Schließung der Kreissporthallen noch begrenzter geworden. Als OB sieht er sich zuerst den Vereinen verpflichtet: „Es tut mir leid, dass es nun wieder die Vereine nach der langen Corona-Zeit trifft.“ Kleinere Hallen wie in Güttingen und Böhringen sollen deshalb für den Sport freigehalten werden.
Eine weitere Möglichkeit wäre, die Trainingszeiten etwa in der Unterseesporthalle am Abend bis 23 Uhr und an Wochenenden auch auf die Stunden vor und nach den Wettkampfzeiten auszuweiten.
Können die Nachbargemeinden helfen?
„Wir brauchen eine Perspektive für Vereine und Schulen“, sagt Gröger. Er schließt dabei die beruflichen Schulen nicht aus, in einem zweiten Schritt will er mit dem Landkreis als zuständigen Schulträger für sie eine Lösung finden. Der Radolfzeller OB baut in beiden Fällen auf Solidarität und Kollegialität unter den Gemeinden.

Nächste Woche ist ein Gespräch im Landratsamt mit allen anderen Bürgermeistern anberaumt. Da gelte es zu klären, ob Nachbargemeinden wie Moos, Steißlingen und Bodman-Ludwigshafen in ihren Hallen Zeiten für Radolfzeller Vereine oder Schulen abtreten könnten. Auch die Interessengemeinschaft Sport will für die Vereine Kontakt mit den Nachbarn aufnehmen.
456 Flüchtlinge aus der Ukraine
Eine Chance, dass der Landkreis in absehbarer Zeit auf die Unterbringung von Flüchtlingen in den Kreissporthallen verzichten kann, sieht OB Gröger derzeit nicht. Selbst wenn schnell genug Flächen für den Aufbau von Leichtbauhallen gefunden werden. Schon jetzt würden rund 1000 Flüchtlinge, davon 456 registrierte Flüchtlinge aus der Ukraine, in Radolfzell untergebracht. Und täglich würden es mehr.
Die hier Gelandeten bräuchten aber nicht nur ein Bett und ein Dach über dem Kopf, „die Menschen sollen ja auch in der Stadt integriert sein“, sagt Gröger. Dabei helfen der Freundeskreis Asyl, der Verein Humanitas oder die Ukraine-Hilfe. Doch eine wichtige Rolle spielen eben auch die Sportvereine. Ohne Halle fehlt ihnen die Möglichkeit, die Stadt bei der Integration zu unterstützen. „Deshalb haben die Vereinsbedürfnisse ein hohe Relevanz“, sagt Gröger.