Nach dem Christbaumloben und vor der ersten Gemeinderatssitzung im neuen Jahr in Radolfzell muss das sein: Wir müssen den OB loben, bevor uns künftig alles um die Ohren fliegt. Die Katapulte mit Themengeschossen wie gesperrte Konstanzer Brücke, endgültige endgültigste Entscheidung in Sachen Seetorquerung, Verheizen des Biotops Streuhau für ein Feriendorf, keine Kohle – Pardon Geld – für die Sanierung maroder Schulgebäude, all diese Dinge dräuen am Horizont über der Aachriedmündung wie zehn Pfund Novembernebel.
Was hilft? – Die Mahnung von OB Martin Staab am Neujahrsempfang des Jahres 2020 dem Schlachtruf „Früher war alles besser“ sich nur mit äußerster Vorsicht zu nähern. Und die Fakten, also die Tatsachen, die räumen meist mit der Gefühligkeit auf.
Man muss nur die richtigen finden. Also die richtigen Tatsachen. Also erklärt Staab die Welt: Der HDI – das ist in diesem Fall keine Versicherung, sondern der „Human Development Index“ der Vereinten Nationen. Er bricht den Stand der menschlichen Entwicklung auf Kennzahlen der einzelnen Staaten in der Welt herunter.
Staab: „Wir sind auf Platz vier“
Also sagt Staab: „Bildung: Wir sind auf Platz vier – trotz Pisa-Studien und Bildungsnotstand.“ Und trotz einer Ratoldusturnhalle, deren Dach nicht mehr dicht ist. Der OB zählt weiter auf: „Lebensstandard: Wir sind auf Platz vier – trotz der sich öffnenden Schere zwischen Arm und Reich und der Hartz-IV-Gesetzgebung.“ Und obwohl das Amt für öffentliche Ordnung in Radolfzell immer noch in Büro-Containern Verwaltungsakte schreiben muss. Staabs dritter Punkt: „Langes, gesundes Leben: Wir sind auf Platz vier – trotz Pflegenotstand, roter Zahlen der Krankenhäuser, fehlenden Terminen bei Ärzten, allgemeinem Lamentieren über den Zustand unserer Gesundheitssystems!“
Das ist der eigentliche Hammer, immer noch auf Platz vier in der Welt, obwohl Radolfzell keine Geburtenstation mehr hat. Weltweit sind wir vorne, das bisschen Lokale kratzt am internationalen Status kaum. Oder um mit OB Staab zu sprechen: „Nicht früher war alles besser, sondern heute ist es besser und besser als je zuvor.“
Was es früher nicht gab
Deshalb jammern wir heute mal nicht auf hohem Niveau – das können wir nur auf einem niedrigen – wir sagen, was heute alles besser ist: Früher gab‘s gar keine Konstanzer Brücke, jetzt hat die Stadt wenigstens eine, die man sogar sanieren kann. Früher gab‘s so viel Gedränge in der Bahnunterführung, weil die überregionalen Züge in Radolfzell noch hielten – jetzt hat der Ellenbogen dort mehr Freiheit. Früher war der Streuhau eine Schutte, jetzt ist alles so schön gewachsen, dass sich dort sogar Touristen wohlfühlen würden.
Früher war alles besser? – In Radolfzell doch nicht. Wer hat‘s gesagt? Der OB. Es wär‘ uns sonst fast nicht aufgefallen.