Radolfzell – Radolfzell soll wachsen. In der Nordstadt ist das Baugebiet Stadterweiterung Nord 2 beschlossene Sache und soll Raum für 700 Menschen schaffen. Bauland, welches dringend benötigt wird und nach dem sich bauwillige Familien lange gesehnt haben. Doch der Weg zum Eigenheim ist noch lang. Erst muss das Gebiet erschlossen werden. Unzählige Lastwagen und Baufahrzeuge werden für die Realisierung des größten Radolfzeller Bauprojekt der nächsten Jahre benötigt. Laut Plan der Stadtverwaltung soll der Weg zur Baustelle durch das Wohngebiet führen, also über die Höristraße, Nordendstraße, Schlesierstraße, Lindenallee, Haselbrunnstraße und Schützenstraße. Für das Ehepaar Ewald und Lily Müller ist dies ein Skandal. "An den Erschließungsstraßen liegen zwei Kindergärten, eine Kindertagesstätte, die Sonnenrainschule und zwei große Spielplätze. Und an diesen Orten sollen die Laster mit ihren giftigen Ausstößen vorbeifahren", sagt Ewald Müller. Für ihn eine verantwortungslose Entscheidung. Der Ausstoß von Stickoxiden und Feinstaub wären für Kinder und die anderen Anwohner eine große Belastung.

Und das müsse an sich nicht. Das Ehepaar Müller plädiert für eine alternative Route für den Zulieferverkehr für das Neubaugebiet. Eine Route, die bereits vor Jahren ins Auge gefasst worden war. Über dem Gewerbegebiet Nord in Verlängerung der Walter-Schellenberg-Straße war in früheren Versionen des Bebauungsplans der Erschließungsverkehr geplant gewesen. Hier wäre eine etwa 300 Meter lange Baustraße notwendig, um an das Neubaugebiet zu gelangen. Diese könnten nach dem Ende der Arbeiten zurückgebaut werden.

Da sich jedoch im Lauf der Jahre die Besitzverhältnisse an dieser Stelle geändert haben, schlagen die Müllers eine Abwandlung dieser Baustraße vor. Vom geplanten Gewerbegebiet Kreuzbühlhof, welches in direkter Nachbarschaft zum Gewerbegebiet Nord liegt, könnte eine etwa 500 Meter lange Baustraße über die Steißlinger Straße den Erschließungsverkehr regeln. "Das wäre eine für Mensch und Natur verträgliche Lösung", ist sich Lily Müller sicher. Zum Sibachwäldchen gebe es auch einen gebührenden Abstand, sodass auch das Biotop vom dem Verkehr nicht beeinflusst wäre. Und das Ehepaar hat noch weiter gedacht. Die Baustraße könnte nach dem Rückbau als Fahrradweg erhalten bleiben, und das Wohngebiet mit dem dem Gewerbegebiet verbinden. In einer offiziellen Stellungnahme an den Gemeinderat und den Oberbürgermeister haben Ewald und Lily Müller ihr Anliegen formuliert und bitten "die Erschließungsachse dringend neu zu überdenken".

Die Stadtverwaltung habe im Vorfeld die Auswirkungen des Bauvorhabens Stadterweiterung Nord 2 auf Menschen und Natur geprüft, wie Nicole Stadach, Pressesprecherin der Stadt Radolfzell mitteilt. Der Umweltbericht, das Ergebnis der artenschutzrechtlichen Prüfung und Gutachten zu den lufthygienischen Verhältnissen stünden den Bürgern über das Bürgerinformationssystem zur Verfügung. Laut den Gutachten, sei die Luftqualität durch Bau- und Autoverkehr, speziell durch den Ausstoß von Stickoxide NO2, inhalierbarer Feinstaub PM 10 sowie lungengängiger Feinstaub PM2,5, nicht erheblich beeinträchtigt. Die von den Müllers vorgeschlagene Baustraße sei also nicht notwendig, erklärt Nicole Stadach weiter.

Mehr noch würde eine solche Baustraße die artenschutzrechtliche Ausgleichsmaßnahme westlich des Sibachs gefährden und erhebliche Eingriffe in etliche Gewässe zweiter Ordnung auslösen. Dies werde naturschutzfachlich als sehr kritisch angesehen.

Die Müllers bleiben dem Umweltgutachten kritisch gegenüber. Ihrer Ansicht nach führe die Baustraße an Rapsfeldern vorbei, die Gewässer, die die Stadtverwaltung gefährdet sehe, würden ohnehin durch die umliegende Landwirtschaft belastet. Beide betonen, dass sie die Stadterweiterung positiv sehen und sich nicht gegen die Erschließung an sich stellen wollen. "Wir verstehen die Eile nicht, wieso das Gebiet nicht in mehreren Etappen erschlossen werden kann und wieso man keinen Kompromiss für Anwohner und Naturschutz findet", sagt Lily Müller. Für Ewald Müller ist die zeitliche Dimension der Arbeiten ein gewichtiges Argument: "Wir werden diesen Baufahrzeugen sicher mehr als zehn Jahren ausgesetzt sein." Und wenn die Arbeiten fertig seien, könne man gleich mit der Straßensanierung beginnen.

Das sagen die Gutachter

  • Im Umweltbericht steht unter den umweltrelevanten Maßnahmen für Menschen folgendes: "Durch die Bebauung kommt es zu im Vergleich zu heute erhöhten Verkehrsmengen in der Lindenallee sowie in der Nordend- und der Schlesierstraße. Gemäß R+T Verkehrsplanung (20. April 2016) ist „eine verträgliche Verkehrsabwicklung [...] gegeben.“ Auch für den Baustellenverkehr ist gem. R+T Verkehrsplanung (29.
    Juni 2016) der Zuwachs in der Höri- und Schlesierstraße „als geringfügig anzusehen.“ Erhebliche Auswirkungen auf das Schutzgut Mensch sind durch das Vorhaben nicht zu erwarten."
  • Im lufthygienischen Gutachten steht zum Verkehrsaufkommen und Emissionen: "Die Realisierung des 2. Bauabschnitts der Stadterweiterung Nord führt zu einem zusätzlichen Verkehrsaufkommen auf den Erschließungsstraßen. In der Bauphase ist im Mittel täglich mit ca. zehn Lkw-Fahrten und ca. 60 Fahrten mit Pkw und leichten Nutzfahrzeugen zu rechnen. Dabei wurde von einer 5-jährigen Bauzeit ausgegangen. Bei längeren Bauzeiten reduzieren sich die Bauverkehre noch. (...) Die Luftbelastung nimmt an den betroffenen Straßen durch Bauverkehre sowie die anteilig berücksichtigten Quell-und Zielverkehre geringfügig zu. Die Grenzwerte der 39. Bundes-Immissionsschutzverordnung werden an allen betroffenen Straßen deutlich unterschritten."
  • Kontakt zum Ehepaar Müller zu dem Thema unter der E-Mail-Adresse schafweide2017@web.de.