Die Seetorquerung am Bahnhof schien beschlossene Sache. Am 8. Mai 2018 um 21.32 Uhr haben 16 Gemeinderäte bei acht Gegenstimmen und einer Enthaltung durch Oberbürgermeister Martin Staab beschlossen, eine neue, kürzere (24 Meter) und breitere (8,50 Meter) Unterführung zu bauen. Die Kostenschätzung der Verwaltung belief sich auf 22,9 Millionen Euro. Doch der von OB Staab damals so bezeichnete "Tag der Entscheidung" entpuppt sich acht Monate später womöglich nur als weitere Debatte ohne wirkliche Weichenstellung. Denn die Stadtverwaltung hat den Vertrag mit dem alten Planungsbüro im Dezember auslaufen lassen und noch kein neues Ingenieurbüro an der Hand, das die Ausführungspläne zeichnen könnte. Die braucht's aber spätestens bis Mai für das Eisenbahnbundesamt, soll es wenigstens 2021 mit den Bauarbeiten losgehen. Zwei Jahre benötige das Eisenbahnbundesamt, um das Bauprojekt im Fahrplan zu vertakten.

Was Stadträte sagen

Diese Information hat die fünf Fraktionen im Gemeinderat überrascht. Etwas besser vorbereitet waren sie auf Staabs Vorschlag in seiner Neujahrsansprache, eine Grünbrücke auf Höhe Aldi und ZG Richtung See zu schlagen. Drei Tage zuvor hatte der OB die Stadträte zum Abendessen ins Strandcafé gebeten und ihnen vorab seine Vision der "grünen Wissensstadt" an die Wand geworfen. Das zweimalige Betrachten – im Strandcafé und im Milchwerk – hat sie in der Sache nicht euphorischer gestimmt. Ein neuer Zugang zum See erscheint vielen weniger greifbar denn je.

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Bernhard Diehl.
Bernhard Diehl. | Bild: Becker, Georg

Besonders den Befürwortern der Seetorquerung fällt es schwer, ihren Optimus in das neue Jahr hinüberzuretten. CDU-Fraktionschef Bernhard Diehl kreidet es vor allem dem OB an, dass das Projekt neue und breitere Unterführung nicht in die Gänge kommt: "Er rückt immer mehr davon ab", lautet die Einschätzung von Diehl. Er bezeichnet es als "Blamage", dass es jetzt wieder Verzögerungen in der Planung gebe. "Wir im Gemeinderat haben uns dahintergeklemmt und erwartet, dass die Verwaltung im Frühjahr ein Ergebnis bringt." Jede Verzögerung würde doch höhere Kosten bedeuten. Noch hofft Diehl auf eine Umsetzung des Projekts: "Ganz klar, sonst hätten wir nicht so viel Energie da reingesetzt."

Norbert Lumbe.
Norbert Lumbe. | Bild: Jarausch, Gerald

Ist die Seetorquerung nur noch ein Luftschloss? Norbert Lumbe (SPD) zuckt vor dem Ziehen des Glockenseils zurück: "Ich werde nicht zum Begräbnis der Seetorquerung läuten", verkündet der Stadtrat standhaft. Doch es fällt ihm schwer, die Zuversicht von einst weiter zu tragen: "Es ist schade, wir haben unglaublich Energie in die Sache verwandt und müssen nun erkennen, dass das Projekt vielleicht eine Nummer zu groß ist." Zu groß auch deshalb, weil die Bahn selber mit vielen eigenen Problemen zu kämpfen habe und deshalb für Radolfzell ein schwieriger Partner sei. Dazu stellt sich für Lumbe die Frage: "Wie viel Geld haben wir, die technischen Probleme zu bewältigen?" Die vom OB vorgeschlagene Grünbrücke weiter westlich betrachtet der SPD-Stadtrat nicht als Ersatz für eine Querung, für ihn ist sie ein Gedankenspiel: "So neu ist die Idee nicht."

Jürgen Keck.
Jürgen Keck. | Bild: Jarausch, Gerald

Jürgen Keck (FDP) zählt zu den bekennenden Seetorquerungs-Befürwortern, er hält seinen Ärger mühsam im Zaum. Das Auslaufen des Vertrags für die beauftragten Ingenieure kommentiert er noch zweideutig: "Ob dieses Büro nicht in der Lage war oder ob man es nicht hat machen lassen, dazu will ich nichts sagen." Dann wird Kecks Kritik am Rathaus eindeutig: "Die Stadt verhindert vieles, wo mehr gehen könnte." Viele Projekte würden in der Schublade landen. Die Ausschreibung für die technische Planung der Querung hätte längst raus müssen, "das ist bis heute nicht passiert." Eine Grünbrücke als Alternative zur Seetorquerung hält Keck für ungeeignet: "Um das rollstuhlgerecht zu bauen, bräuchten wir Riesenstege. Das ist undenkbar."

Siegfried Lehmann.
Siegfried Lehmann. | Bild: Becker, Georg

Die Freie Grüne Liste hat im Mai die modifizierte Seetorquerung abgelehnt. Stadtrat Siegfried Lehmann bekennt: "Ich habe es da nicht brandeilig." Er vermute ohnehin, dass die Verwaltung das Thema gezogen habe, damit es nicht in den Kommunalwahlkampf komme. Auch bei der vom OB ins Spiel gebrachten Grünbrücke weiter westlich ist Lehmann skeptisch: "Eine Grünbrücke ist viel zu teuer, da bräuchte man schon eine Gartenschau, um genügend Fördermittel zu bekommen."

Dietmar Baumgartner.
Dietmar Baumgartner. | Bild: Marina Kupferschmid

Dietmar Baumgartner von den Freien Wählern hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er eine Seetorquerung als städtisches Projekt für überflüssig hält: "Eine barrierefreie Unterführung ist Sache der Bahn." Deshalb stört ihn auch nicht, dass der Zeitplan für die Querung – trotz Gemeinderatsbeschluss – nach hinten rutscht: "Wegen mir muss sie nicht gebaut werden." Eine Grünbrücke dagegen fänd' er schön. Aber, sagt Baumgartner: "Das ist Zukunftsmusik."

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