Wenn Natur nicht vom Menschen beschränkt wird, eroberte sie sich schnell ihren Raum zurück. Und es wachsen Pflanzen und nisten Tiere, wo früher nur karge Fläche war. Und so kann es sein, dass plötzlich ein Wald steht, wo früher keiner war. So geschehen im Herzen-Areal in Radolfzell. Nach dem Bau des Bora-Hotels hat man die Umgebung einfach wachsen lassen. Jetzt möchte Hotel-Besitzer Bernd Schuler ein neues Ruhehaus mit Hamam-Sauna bauen und stößt dabei überraschend an Waldgrenzen, wo früher keine waren.

Zu denen muss der Neubau laut Brandschutzauflage mindestens 30 Meter Abstand halten. Das Kreisforstamt hat laut Umweltbericht zum Bebauungsplan „sehr deutliche Bedenken wegen der Nichteinhaltung des Waldabstandes“ geäußert. Die geplante Sauna überlappt mit etwa 750 Quadratmetern den Waldbestand. Als Lösung wird von Seiten der Stadtverwaltung vorgeschlagen, diesen Waldbestand „auf Stock“ zu setzen und 18 größere Bäume ganz zu fällen. Auf Stock setzen bedeutet, die bestehenden Bäume und Sträucher auf eine Höhe von zehn Zentimetern zurückzuschneiden. Aus den Stümpfen können dann im Frühjahr neue Triebe wachsen, diese gilt es jedoch stetig zurück zu schneiden, damit kein Wald mehr wachsen könne. So soll das neue Bora-Gebäude gebaut werden können. Der Antrag ging im Ausschuss für Planung, Umwelt und Technik in der Sitzung am 12. September ohne Diskussion im öffentlichen Teil mit neun zu zwei Stimmen durch.

Plakate im Herzen-Wald verkünden Protest

Einige Radolfzeller kritisieren dieses Vorgehen. Sie könnten nicht nachvollziehen, wieso noch mehr Bäume und Waldfläche für die Interessen eines Privatinvestors weichen müssten. Eine Gruppe engagierter Bürger hat vor einigen Wochen Plakate gemalt und in den Herzen-Wald gehängt. Viele wollen ihren Namen nicht in der Zeitung lesen, weil sie Repressalien von Seiten der Stadtverwaltung fürchten, wenn sie sich öffentlich zu ihrer Meinung bekennen. Eine, die dieses Risiko dennoch eingeht, ist Claudia Meßmer. „Ich bin in Radolfzell geboren und aufgewachsen und ich finde, es wird nicht sorgfältig mit der Landschaft umgegangen“, sagt sie. Die Bora-Sauna hätte eine Exklusivität, die für die meisten Radolfzeller nicht zugänglich sei. Dass sich der Hotel-Betrieb nun noch mehr von der Natur nutzbar machen könne, ohne dass die breite Bevölkerung einen Anteil daran hätte, sei ihn ihren Augen nicht richtig. „Wo bleibt der Umweltgedanke?“, fragt Claudia Meßmer.

Ökologisch wertvoll trotz Totholz?

In der Kritik schwingt eine große Portion Misstrauen gegenüber der Stadtverwaltung mit. Laut Umweltbericht sollen die 18 Bäume, die gefällt werden müssen, ohnehin Totholz sein. Die Vitalität wird für jeden einzelnen der Bäume mit Null angegeben. Für Claudia Meßmer und ihre Mitstreiter ist dieses Dokument nicht ernst zu nehmen. „Wie kann es sein, dass das Areal als ökologisch sehr wertvoll deklariert wird und zufällig sollen alle Bäume, die weg müssen, bereits tot sein?“, fragt sie. Sie habe sich die Bäume selbst angeschaut, tot sei keiner davon. Dabei wollen die engagierten Bürger auch deutlich klarstellen, dass sie nichts gegen das Bora-Hotel als solches haben. Nur sind sie der Ansicht, es müsse nicht mehr Waldfläche für den Betrieb weichen.

Die Protestaktion mit den Plakaten im Herzenwald blieb ungehört. Nach nur wenigen Stunden hätten Unbekannte die Plakate wieder entfernt, berichten die Aktivisten. Unter ihnen hatte sich eine gewisse Hilflosigkeit breit gemacht. Sie befürchten, dies sei nur der Startschuss für mehr Abholzung in dem Gebiet. Schließlich habe Bora-Besitzer Bernd Schuler noch die Bauoption für ein kleines Familienhotel auf dem Areal zwischen Bora-Sauna und Bodenseereiter. Dort darf laut Bebauungsplan solch ein Hotel entstehen.

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Investor: „Ich säge hier sicher nicht radikal Bäume nieder“

Bernd Schuler selbst zeigt sich etwas überrascht über die Kritik der Baumschützer. „Mit mir direkt hat keiner bisher gesprochen“, so Schuler. Laut dem Hotelbesitzer habe er bisher mehr Bäume auf dem Saunagelände neu gepflanzt, als ursprünglich beim Bau gefällt wurden. Er zeige sich stets kompromissbereit, wenn es um den Naturschutz ginge. „Ich säge hier sicher nicht radikal Bäume nieder, das ist nicht mein Ziel“, sagt Schuler. Die Erweiterung der Sauna sieht er jedoch als eine dringende Notwendigkeit, den Betrieb aufrecht zu erhalten. „Am Wochenende und in den Ferien ist es hier zu voll, wir brauchen mehr Platz für die Gäste“, rechtfertigt er den Neubau. Dass es der Bora-Sauna gut gehe, sei auch im Interesse aller Radolfzeller, da es ein touristischer Anziehungspunkt sei.

Die Radolfzeller Stadtverwaltung erklärt die Einschätzung der Baumvitalität so: „Der schlechte Zustand dieser 18 Bäume war für die Fachleute nicht überraschend, denn bei dem dortigen Untergrund handelt es sich nicht um Erdreich, welches die beste Nährstoffversorgung bietet. Dort befand sich früher eine Bauschuttdeponie“, erklärt Julia Theile, Sprecherin der Stadt Radolfzell. Dennoch könne auch Totholz für bestimmte Lebewesen, wie Käfer, Spechte und Fledermäuse, wertvoll sein. Deswegen sei das Areal, auch wenn die Bäume in keinem guten Zustand seien, zurecht ökologisch bedeutend. „Auch ein toter Baum ist voller Leben“, so Theile.

Zuvor gab es einen Kompromiss: Bodenseereiter-Gelände für Naturschutz

Die Fraktionen im Gemeinderat, die auf eine öffentliche Diskussion über die Sauna-Erweiterung verzichtet haben, erklären das so: Es sei nicht-öffentlich und eigentlich auch in den Jahren zuvor schon intensiv besprochen worden. Mit dem Kompromiss mit den Umweltverbänden und Bernd Schuler als Investor zeigten sich fast alle Beteiligten zufrieden. Der Kompromiss war ein Flächentausch zwischen dem Gelände des Bodenseereiters und dem Streuhau, also das Areal zwischen Bodenseereiter und Bora-Hotel. Das ökologisch wertvollere Gelände des Bodenseereiters soll nach dem Abbau der Ställe und Gebäude dem Naturschutz wieder zugefügt werden, dafür könne Schuler im weniger wertvollen Streuhau ein neues Hotel bauen. Ursprünglich galt die Bauoption für ein Hotel für das Gelände des Bodenseereiters.

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Die Erweiterung der Bora-Sauna sehen fast alle Fraktionen als unproblematisch an. Die Sicherung der Wirtschaftlichkeit stehe im Verhältnis zum Eingriff in die Natur. So denken alle bis auf die Fraktion der Freien Grünen Liste, die auch im Ausschuss für Planung, Umwelt und Technik dagegen gestimmt hatte. Fraktionsvorsitzender Siegfried Lehmann erklärt: „Die Erweiterung hätte man auch im Bestand erreichen können oder an einer anderen Stelle auf dem Areal mit ausreichend Abstand zur Waldgrenze“. Laut Meinung der FGL sei bei der Größe des Sauna-Hotels die Schmerzgrenze erreicht.