Georg Lange

Mit Tanz, Theater, Spiel, Chormusik und internationalen Speisen feierten mehr als 80 Besucher aus zwölf Nationen im Radolfzeller Kinder-Kultur-Zentrum Lollipop ein Familienfest mit französischem Akzent. Der „Kulturtisch„ zur interkulturellen Woche ist zum elften Mal ausgerichtet worden und hat drei Generationen angezogen. Der Leiter des Lollipops, Ibrahim Güler, hat beobachtet, dass im Laufe der Jahre die bei der Gestaltung des Kulturtischs beteiligten Nationen ihre Hemmungen untereinander abgebaut hätten.

Auftritt der Theatercompany Stagejumpers

Die große Welle an Flüchtlingen brachte eine große Umstellung für die Bevölkerung mit sich. Jugendliche und Kinder sind dabei oft die ersten, die sich im Umgang mit Fremdem üben. Bereits im Kindergarten und in der Schule müssten sie sich gewöhnen, dass sie in einer Vielvölkergemeinschaft leben, erläutert Julian Knab von der Theatercompany Stagejumpers aus Rothenburg am Neckar. Das von ihm entwickelte und von Sigrun Kubin beim Kulturtisch ausdrucksstark gespielte Theaterstück machte dies in der Parabel „Ratte Ratzig sieht rot“ zum Leitthema. Die Hafenratte Ratzig hatte sich in ihrem Leben gut eingerichtet. Doch plötzlich kommen im Hafen von den Schiffen viele Wanderratten als blinde Passagiere in ihr Zuhause.

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Der Vergleich zu Ratten sei mit Absicht gewählt worden, erläutert Knab: Die Ratte sei zu Unrecht ungeliebt. Die Parabel wolle mit ihrer Hilfe Toleranz für Ungeliebtes weitergeben. Gleichzeitig ist die Fabel eine geschickt verpackte Kritik an der Arbeits- und Lebenswelt. Sie ist weder ein Animations-, Interaktions- oder Improvisationstheater. Die dicht und rasant geschriebene Geschichte mit vielen Szenenwechseln erinnert vielmehr an eine TV-Produktion. Der Zuschauer im Kinder-Kultur-Zentrum Lollipop ist in dem 52 Minuten andauernden und kurzweiligen Bühnenstück in einen Strudel von Ereignissen hineingezogen worden und konnte sich auf eine Geschichte einlassen, die seine Fantasie anregte.

Party- und Festcharakter hilft

Seit sechs Jahren ist der Freundeskreis Asyl an der Organisation des Kulturtischs beteiligt. Angelika Neurohr ist bei ihrer Arbeit in der Flüchtlingshilfe auch am Kennenlernen von Ländern interessiert, in denen sie nicht war. Die Flüchtlinge seien vom Kulturtisch begeistert, lautet ihr Eindruck, doch habe sie das Gefühl, dass Flüchtlinge es lieber hätten, wenn die Nationen unter sich seien. Denn in den Sammelunterkünften stünden die Flüchtlinge vor der Herausforderung, mit für sie wildfremden Menschen aus verschiedenen Nationen auskommen zu müssen. Durch den Party- und Festcharakter beim Kulturtisch bestehe aber die Möglichkeit, sich untereinander besser kennenzulernen. Deutsche bekäme man schwer hier her, bedauert Neurohr: „Der Kulturtisch wäre eine gute Gelegenheit, Vorurteile abzubauen und Menschen aus anderen Kulturen familiär kennenzulernen.“

Der Baraka Weltchor singt ein bretonisches Lied, das die Besucher des Kulturtisches zu einem Rondeau-Tanz anregte:
Der Baraka Weltchor singt ein bretonisches Lied, das die Besucher des Kulturtisches zu einem Rondeau-Tanz anregte: | Bild: Georg Lange

Cornelia Pudor vom Mehrgenerationen-Haus ist ein Kooperationspartner beim Forum Integration der Stadt Radolfzell und an der Organisation, Ausgestaltung und Motivierung der Nationen für den Kulturtisch beteiligt. Pudor erlebte auf dem diesjährigen Fest ein fröhliches und ungezwungenes Miteinander von Menschen aus mehreren Nationen. Gäste brachten eigene Spezialitäten mit. Und zum ersten Mal habe der Kulturtisch eine Theaterproduktion gezeigt.

Lieder aus dem französischsprachigen Kulturraum

Rainer Dost ist musikalischer Leiter des Baraka Weltmusikchors. Der 25-köpfige Chor mit Mitgliedern aus dem Landkreis sang Lieder aus dem französischsprachigen Kulturraum, dem französischen Teil von Kanada sowie auf Korsisch. Im Gegensatz zu anderen interkulturellen Veranstaltungen, bei denen sich für gewöhnlich die üblichen Verdächtigen beteiligen würden, freute sich Dost beim Radolfzeller Kulturtisch über die breite Mischung mit vielen neuen erwachsenen Besuchern.

Gemeinsamkeiten statt Trennendes

„Es war wie in der Heimat“, schwärmte Alice Railland aus der Bretagne. Beim Chorlied „Tri Martolo“ über Matrosen regte die Französin die Gäste zu einem bretonischen Tanz, einem Rondeau, an. Auf Festen in der Bretagne würde immer getanzt werden, berichtet Alice Railland. Und wie in der Bretagne hätten auch hier die Gäste vom Kleinkindalter bis hin zur Großmutter beim Kulturtisch zusammen getanzt. Der Tanz habe ihr eine Vorfreude auf ihre Heimat gegeben. Die Tänze, bei denen man sich an den Händen fasst, erregen eine Sympathie, Freundlichkeit und Mitmachstimmung, die sich auf die Besucher übertragen haben. Railland machte eine besondere Erfahrung auf dem Fest: Im Prinzip seien die Kulturen gleich. Es gäbe mehr Gemeinsamkeiten als Trennendes.

Bei der interkulturellen Woche kamen mehr al 80 Besucher aus zwölf Nationen zum Kulturtisch ins Lollipop. Sie ließen sich von Tanz, ...
Bei der interkulturellen Woche kamen mehr al 80 Besucher aus zwölf Nationen zum Kulturtisch ins Lollipop. Sie ließen sich von Tanz, Musik und Schauspiel unterhalten. | Bild: Georg Lange

Als Überraschungsgäste trat das Trio Abou Hassoun auf. Die syrischen Brüder leben im Landkreis Konstanz und präsentierten mit ihrer Geige, Laute und Keyboard folkloristische wie klassisch-arabische Musik. Eigens für die deutschen Gäste spielten sie ruhig klingende Lieder, die vom Leben und der Liebe handelten. Im Repertoire war auch die Filmmusik eines ägyptischen Dramas.