Es gehörte zum guten Ton, von Helmut angeraunzt zu werden. „Machst Du mir eine Weinschorle?“ Falsche Frage. Bei guter Laune kam wenigstens die Antwort: „Machen kann ich nicht.“ Einschenken schon, wenn er die verschränkten Arme gelöst hat. Auch die Biertrinker bekamen ihre Wegweisung: „Gib‘ mir  ‘n Pils.“ Hinter der Theke bellte es zurück: „Pilze gibt es im Wald.“

Institution am Tresen

Helmut Treubel war von 1977 bis 1980 der letzte Wirt im Radolfzeller Szene-Lokal Leierkasten. Er hatte Spaß daran, seine Gäste auch mal auflaufen zu lassen, weil sich seine Mundwinkel dabei zu einem leicht spöttischen Grinsen verzogen. Sicher ist diese Auslegung nicht, denn die letzte Deutung über sein Handeln beanspruchte Helmut immer selbst. Helmut, die Institution am Tresen, machte sich das Undurchschaubare einer wortkargen Sphinx zu eigen. Diesem Wirt schien es völlig egal, was andere über ihn dachten oder sagten. Der mit seinen Launen manchmal auch verstörte und alle fürchteten die Höchststrafe: wenn die Tür zum Leierkasten in der Löwengasse zublieb.

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Das kam vor, passierte in der Ära Treubel aber höchst selten. Er wusste, die junge Szene in Radolfzell begehrte möglichst jeden Tag abends nach 18 Uhr Zutritt zu ihrem Wohnzimmer in der Stadt. Damit es ihnen nicht langweilig wurde, stellte der Wirt einiges auf die Beine. Dabei war er das Gegenteil des später aufkommenden Berufsbildes eines Animateurs. Er war eher der knorrige „Streetworker“, der Sozialarbeit als tägliches Angebot begriff.

„Helmut for President“

Im Leierkasten spielte Helmut mit Gästen Schach auf dem Tresen, an den Tischen vor den Sofas bauten andere Stammgäste wie Hubert Zwick, Jochen Poth oder Thomas Brall auf den Schachbrett-Matten die Figuren auf. Der Boom hatte Folgen. Helmut Treubel gründete den „Schachklub Leierkasten„ – 72 Spieler hatten sich in die Gründungsliste eingetragen. Bei der Gründung des Leierkastenvereins skandierten die Besucher im Lokal: „Helmut for President!“

Auch noch Badminton und Basketball

Den Schachclub gibt es heute noch, er nimmt als Schachklub Gaienhofen mit zum Teil gleichen Spielern von damals an Turnieren teil. Damit nicht genug: Helmut Treubel gründete mit anderen den Badmintonclub Radolfzell, anfangs trainierten sie in der Kaserne. Auch eine Basketballmannschaft ging für den Leierkasten an den Start, allerdings nur für eine Spielzeit.

Die Feier auf dem Polizeirevier

Legendär waren die Leierkasten-Fußball-Grümpelturniere, die Helmut organisierte. Er schaffte es, dass Mädchen und junge Frauen bei diesen Turnieren gegen den Ball traten. Die Siegesfeier endete einmal mit fast allen Teilnehmern auf dem Polizeirevier. Weil die Feier sich von der Mole auf die MS „Reichenau„ verlagerte. Manche schafften den Sprung rechtzeitig von Bord, Helmut und zwei Mitfeiernde verfrachtete die angerückte Bahnpolizei aufs Revier. Dort wurde es richtig bunt und ein wenig laut. Ein Leierkastengast nach dem anderen kam aufs Revier und gab zu Protokoll: „Ich war auch dabei.“ Konsequenzen hatte die Party für keinen, zu viel Papierarbeit auf dem Revier.

50 Pfennig für ein Glas Cola

Auch das zeigt Treubels Einstellung: Als er den Leierkasten 1977 übernahm, halbierte er die Preise für alkoholfreie Getränke. Ein Glas Cola oder Orangensaft kostete nur noch 50 Pfennig. „Das war ein wesentlicher Faktor für die Entwicklung des Leierkastens.“ Am Telefon hört sich Helmut Treubel wie früher an, die leicht brüchige Stimme hat sich kaum verändert. Seine Sätze sind kurz, die Pausen danach lang. Man wartet noch auf eine Ergänzung. Sie kommt nicht. Wie früher. Helmut fordert von seinen Gesprächspartnern, dass sie mitdenken, da kann er ungnädig sein.

Der Sportler Helmut Treubel

Fasst Helmut Treubel einen Entschluss, zieht er ihn durch. Im Leierkasten erstaunte er immer wieder alle mit seinen sportlichen Fähigkeiten. Wenn er sagte, morgen laufe ich beim Marathon mit oder fahre bei der Tour rund um den Bodensee auf dem Rad mit, dann machte er das. Er verbiss sich gerne in eine Herausforderung. Er selbst sagt dazu: „Es ist eine Mischung aus Energieleistung und Wille.“ Irgendwann ist er den Suisse-Alpin-Marathon mitgelaufen: „Drei Kilometer hoch, drei Kilometer runter.“ Wenn er sich daran erinnert, muss es extrem gewesen sein.

Das Ende des Leierkastens

Extrem war auch das Ende, das Helmut Treubel dem Leierkasten bereitete. Keine Party, keine Ankündigung, einfach die Türe abgesperrt. Die Drohung der Stadt, dass die Schankgenehmigung für die Löwengasse 22 wegen des maroden Zustands des Hauses nicht mehr verlängert würde, gab es immer wieder. Helmut Treubel kam dem zuvor. Den 30. Juni 1980 habe er bewusst als letzten Tag für den Leierkasten gewählt. Weil es in der Stadt rumorte, weil die Jugendlichen nach jahrelangem Hinhalten endlich einen Jugendtreff in Selbstverwaltung wollten. Im alten Feuerwehrgerätehaus. Als der Leierkasten als Anlaufpunkt für die junge Szene fehlte, war das der Auslöser für die Besetzung des Feuerwehrgerätehauses.

Aus, Schluss und zu: Helmut Treubel hat am 30. Juni 1980 den Leierkasten in der Löwengasse 22 für immer abgeschlossen.
Aus, Schluss und zu: Helmut Treubel hat am 30. Juni 1980 den Leierkasten in der Löwengasse 22 für immer abgeschlossen. | Bild: Bild: SK-Archiv

Heute lebt Helmut Treubel in Feucht bei Nürnberg, seinen Lebensunterhalt bestreitet er als Spediteur: „Ich habe einen Kleintransporter, mit dem fahre ich öfter mal in die Schweiz oder nach Villingen, nach Radolfzell eher nicht.“ Nach Feucht hat es ihn über einen Umweg in die neuen Bundesländer verschlagen. Nach der Zeit als Wirt im Leierkasten war Treubel Wirt in Orsingen, dann im Waldhaus in der Schützenstraße. Radolfzell verließ er 1990, um in Wittstock in Brandenburg mit anderen eine Kneipe aufzuziehen. Nach ein paar Monaten in Wittstock hatte er genug vom Leben als Wirt, zog nach Feucht und stieg in die Transportbranche ein. Dort lebt er bis heute mit seiner Partnerin Angela.

In Kneipen geht Helmut Treubel „nur noch zum Essen“. Doch für die Feier 50 Jahre Leierkasten will er wieder Kneipenluft in Radolfzell schnuppern. Auf die Frage, ob er am 7. Dezember in die Zeller Kultur kommt, sagt er: „Eher Ja als Nein.“ Ein typischer Treubel-Satz.

Buch und Feier 50 Jahre Leierkasten

Was es zum Buchautor Helmut Treubel und Fest 50 Jahre Leierkasten noch zu sagen gibt

  • Der Buchautor: Auch ein Buch hat Helmut Treubel geschrieben. Der Titel lautet: „Wenn du dich suchst, wirst du mich nicht finden.“ Keine einfache Kost, das war von Helmut auch nicht zu erwarten. In wenigen Sätzen kann er das Buch nicht beschreiben, vielleicht so viel: „Es ist ein Dialog mit dem Unterbewusstsein.“ Es stehen auch typische Treubel-Sätze im Buch, wie „Belästige mich nicht in meiner Einsamkeit“ oder „Ich bin kein Held, will auch keiner werden“ und „Ich wusste, ich würde es auch meiner Gegenseite nicht leicht machen.“ Er habe den größten Teil des Buches geschrieben, bevor er den Leierkasten übernommen habe. Die Aufsätze und Notizen habe er erst viel später zu einem Buch zusammengefasst: „Erst mit einem Computer konnte ich es richtig tippen.“
  • Das Fest: 50 Jahre Leierkasten nach der Kneipen-Eröffnung durch den ersten Wirt Tilmann Steinhilber wird am 7. Dezember in der Zeller Kultur in der Füstenbergstraße 7a in Radolfzell gefeiert. Beginn ist um 17 Uhr. Die Uhrzeit wurde gewählt, weil in den Anfangsjahren der Leierkasten um 17 Uhr aufmachte. Platz ist für 300 bis 400 Gäste. Im Organisationsteam sind Tilmann Steinhilber, Heidi Wolf-Pscolla, Hans-Joachim „Hotte“ Schiller, Brigitte Walz-Richter, Christian Dierks, Peter Zabel, Ralf Jauch. Von den ehemaligen Wirten wollen kommen: Tilmann Steinhilber, Heidi Wolf, Helmut Bürgerl, Wolfgang Schmid, Hotte Schiller, Kurt Graf, Gert Hehl und Helmut Treubel. Der Schachclub Gaienhofen bringt drei Schachbretter mit.