Als wäre er niemals weg gewesen. Die Namen hat er auch nach sieben Jahren im Ruhestand noch immer parat. Freundlich begrüßt er jeden mit Handschlag. „Das ist unsere Sekretärin, Elisabeth Junker. Dort drüben ist das Labor, hier hat Regina Eberle das Sagen“, erklärt Wolfgang Drobig. Der 67-Jährige kennt sich aus, immerhin war er über 34 Jahre hinweg als Betriebsleiter in der Kläranlage tätig. An jeder Ecke hat der ehemalige Kläranlagen-Chef eine Anekdote zu erzählen.
Wer nun glaubt, dass sich diese Geschichten nur um Fäkalien und stinkenden Klärschlamm drehen, der irrt. „Das ist hier ein Stück weit auch mein Lebenswerk“, sagt der studierte Diplom-Ingenieur der Verfahrenstechnik über „seine“ Kläranlage.

Die Kläranlage
Angefangen hat alles 1979. Damals entschied sich die Stadt auf dem Gelände der ehemaligen städtischen Mülldeponie eine neue Kläranlage zu bauen. Radolfzell, so betont Drobig, sei schon immer Vorreiter in Sachen Abwasserreinigung gewesen. Bereits in den 50er Jahren stand am jetzigen Standort ein erstes mechanisches Klärbecken und zwei Faultürme.

1966 wurde die erste biologische und eine mechanische Reinigungsstufe zur Phosphatelimination in Betrieb genommen. „Radolfzell war damit eine der ersten Kommunen am Bodensee mit einer dreistufigen Kläranlage„, erklärt er. 1979 wurde die Kläranlage in ihrer jetzigen Form eröffnet. Im Juli bekam Drobig den Schlüssel zur neuen Kläranlage von Alt-OB Günter Neurohr überreicht und gab diesen erst wieder nach seiner Pensionierung 2012 zurück.

Für den Umweltschutz
In den 70er Jahren schlugen die Experten Alarm. Sie warnten vor der zunehmenden Belastung durch Abwässer aus Haushalt, Industrie und Landwirtschaft, die dem Bodensee zusetzten. Drobig erinnert sich: „Der Phosphatgehalt war erschreckend hoch. Der See drohte aufgrund der unerwünschten Zunahme an Nährstoffen umzukippen.“ Für die Trinkwasserqualität bestand höchste Gefahr.

Die Lösung: Neubauten, Erweiterungen und Ertüchtigungen von Kläranlagen. Eine davon war die Radolfzeller Anlage. Mehrere Millionen D-Mark wurden damals investiert. „1980 war Umweltschutz ein lästiges und belächeltes Thema“, so Drobig.
Was bei der Eröffnung der Radolfzeller Kläranlage 1979 noch niemand wusste: Der damals kalkulierte Produktionszuwachs und die Hochrechnung des Abwasseranfalls für 2020, lagen völlig daneben. „Heute wird deutlich weniger Abwasser produziert“, sagt Drobig und hat die passenden Zahlen parat: 1979 kamen bei trockenem Wetter 8000 Kubikmeter (8 000 000 Liter) Abwasser in der Kläranlage an. 2019 sind es nur noch 4,5 Kubikmeter Abwasser.

„Hier stinkt‘s!“
Mit 27 Jahren wurde Drobig zum Betriebsleiter. Eine seiner ersten Aufgaben war es, die Geruchsentwicklung zu minimieren. Denn hier lag der Hund begraben: Denn noch heute grenzt die Kläranlage an ein Wohngebiet an. „Und ausgerechnet hier baute man eine thermische Konditionierungsanlage zur Behandlung des Klärschlamms“, sagt Drobig. Das Ergebnis seien besonders penetrante Gerüche gewesen, worüber sich zahlreiche Anwohner beschwerten und sogar vor Gericht klagten. Unter seine Regie wurde dieser Anlagenteil stillgelegt. Ein neues Verfahren zur Schlammbehandlung wurde entwickelt. Mit ihm waren auch die unangenehmen Gerüche Geschichte. Das Image blieb allerdings: „Noch heute kommen Schüler mit Nasenklammern zu den Führungen. Sie sind dann aber überrascht, dass man sie bei uns gar nicht braucht.“
Fischschwärme, ein goldenes Gebiss und Modetrends
Nicht nur Abwasser wird in der Kläranlage im Schiesshüttenweg 6 angespült, sondern auch allerhand skurriler Fundstücke und Gegenstände. „Was wir hier alles gefunden haben, da war wirklich alles dabei“, erzählt Wolfgang Drobig.
Farbiges Schiesser-Abwasser
Laut Drobig war der Wäschehersteller Schiesser 1979 der größte Abwasserproduzent. „Allein sein Abwasseranteil war zeitweise größer als der, der gesamten Bevölkerung der Stadt“, verrät der langjährige Betriebsleiter der Radolfzeller Kläranlager. Das Besondere am Schiesser-Abwasser: die unterschiedlichen Farbtöne. „Es handelte sich dabei überwiegend um Färbereiwasser in den unterschiedlichsten Farben“, so Drobig weiter.

Laut dem 67-jährigen Rentner seien seine Mitarbeiter damals echte Vorreiter in Sachen Mode gewesen: „Wir wussten welche Farbe im nächsten Sommer modern sein wird.“ Peinlich sei ihm allerdings gewesen, wenn er bei Führungen erklären musste, dass das Wasser sauber sei und mechanisch, biologisch und chemisch gereinigt wurde, obwohl es am Ablauf noch immer grün, rot oder lila gewesen sei und im Becken keine zwei Zentimeter tief gesehen habe.

Fische im Klärbecken
1987, Hausherrenmontag. Wolfgang Drobig erinnert sich, dass er gerade beim Umtrunk der Hilfskräfte war, als er zur Kläranlage gerufen wurde. „Es bestand Hochwassergefahr“, so Drobig. Nur Zentimeter fehlten zum Kollaps des Betriebs. Zum Absaufen der Kläranlage. „Ein Wall wurde um die Anlage gebaut.“ Was damals niemand wusste: Das Hochwasser brachte auch jede Menge neuer „Bewohner“ mit sich. „Durch das Hochwasser kamen tausende Fische in das Klärbecken“, sagt Drobig. Unbemerkt hielten sie sich auf dem Beckenboden auf, bis sie an einem Sonntag auf einmal an die Oberfläche kamen. Eine Probe ergab: Sie können gegessen werden.
Das goldene Gebiss im WC
Wer über einen schwachen Magen verfügt, der sollte jetzt besonders stark sein. Denn der ehemalige Betriebsleiter Wolfgang Drobigs erinnert sich an ein Telefonat mit einem älteren Radolfzeller. Im sei bei der Morgentoilette sein goldbestücktes Gebiss ins WC gefallen.

Und tatsächlich, im Rechen wurden Kläranlagenmitarbeiter fündig. „Wir haben den Herren informiert und er hat sein Gebiss zurückbekommen“, sagt Wofgang Drobig. Ob das Gebiss allerdings jemals wieder in Gebrauch war, darüber gibt es keine handfeste Informationen.