Auf vielen Weihnachtskarten steht seit vielen Jahren immer wieder der Wunsch nach „friedliche Weihnachten“ geschrieben. Für Europäer war dies lange eine symbolische Formulierung, denn Krieg war weit weg. Das Leben in Frieden war zur Selbstverständlichkeit geworden. Doch mit dem Krieg in der Ukraine, in Israel und Gaza gibt es Krieg in Europa und die Konflikte werden nicht nur in den Krisengebieten, sondern auch auf deutschen Straßen ausgetragen.
Vor allem der Antisemitismus wird in Deutschland in diesen Tagen zum Teil offen ausgelebt. Jüdinnen und Juden berichten von offenen Anfeindungen. In Radolfzell selbst seien keine offen antisemitischen Taten bekannt, auch die Polizei wisse von nichts, berichtet Maria Fülberth, Leiterin des Projektes „Demokratie leben“ bei der Volkshochschule Landkreis Konstanz. Doch bedeute das nicht, dass es nicht auch hier Strömungen gebe, die durchaus als fremden- und demokratiefeindlich zu bewerten seien.
Rechtsextreme Kleinpartei war hier einst sehr aktiv
„Vor einigen Jahren war der III. Weg in der Region sehr aktiv, doch das hatte dann aufgehört und es war lange Zeit sehr ruhig“, so Fülberth. Der III. Weg ist eine rechtsextreme und neonazistische Kleinpartei. Einige Mitglieder dieser Partei hätten eine Zeit lang in der Stadt gewohnt und so habe es ab und an politische Aktionen wie zum Beispiel Plakate vor Wahlen oder Infostände gegeben.
Rosen sollten Soldaten weniger martialisch aussehen lassen
Doch dann wurde es still um die Gruppierung und in den vergangenen Jahren habe es sehr wenig Vorfälle mit politisch motiviertem Hintergrund gegeben. Bis jetzt. Besonders sichtbar ist es am Kriegerdenkmal am Luisenplatz. Um den beiden Soldaten ihr „martialisches Erscheinungsbild“ abzumildern, wie 2017 im Kulturausschuss beschlossen wurde, hat die Stadt 2018 Rosen gepflanzt, die an dem Denkmal hinaufwachsen sollen.

Die Rose mit dem Namen Friedenslicht sollte die Erinnerungsstatue an die gefallenen Soldaten beider Weltkriege wieder ins historisch richtige Licht rücken. Doch diese Rosen sind auch fast fünf Jahre nach der Pflanzung noch lange nicht bis zu den Köpfen der Soldaten angekommen. „Die Rosensträucher sind von Unbekannten zurückgeschnitten worden“, so Maria Fülberth. Und das mehr als nur ein Mal.
Soldatenstatue war für Rechtsextreme eine Gedenkstätte
Die genauen Gründe, warum jemand die Rosenranken daran hindern wollte, die Statue der Soldaten komplett zu bewachsen, wissen die Projektleiterin nicht. „Doch angesichts der vorausgegangenen Diskussion um das Denkmal, kann man sich schon denken, warum das passiert ist“, sagt sie. Schon in der Vergangenheit hatten Rechtsextreme an der Gedenktafel mit den Namen der gefallenen Soldaten Kränze niedergelegt. Die Steinsoldaten waren Mahnmal für die einen und Erinnerungsstätte für die anderen, je nach dem wie man den Ausgang des Zweiten Weltkrieges bewertet.

Ebenfalls seien in den vergangenen Monaten immer häufiger Aufkleber mit rechtsextremen, rassistischen oder antisemitischen Äußerungen im Stadtgebiet entdeckt worden, berichtet Fülberth. In den vergangenen Jahren seien hauptsächlich Aktivisten aus der Querdenkerszene in Erscheinung getreten. „Noch immer finden wir ab und an Aufkleber mit der Aufforderung ‚Merkel muss weg‘“, berichtet Maria Fülberth amüsiert.
Falls jemand Werbematerial, Flyer oder Aufkleber findet, die als demokratieschädlich eingestuft werden können, kann der Finder diese per E-Mail an konstanz@demokratievorort.de melden. Dort würden laut Fülberth alle auffälligen Aktivitäten gesammelt.
Eine Frage, die sich aktuell viele stellen, ist wie sich die politisch schwierige und komplizierte Lage in Israel und Gaza besprechen lässt, ohne sich selbst antisemitisch zu äußern. Hier hat Maria Fülberth einen ganz einfachen Tipp: „Eine gute Leitlinie in der Kommunikation ist die 3-D-Regel“.
Die drei D‘s stünden für Doppelstandards, Delegitimierung oder Dämonisierung. So lange man an Israel keine anderen Maßstäbe setze als an andere Länder, das Existenz- und Selbstbestimmungsrecht nicht aberkennt und Israel nicht mit dem Nationalsozialismus gleichsetzt, könne jede Kritik an israelischer Politik geäußert werden.
Stadt und VHS wollen Demokratie stärken
Um die Demokratie in Radolfzell zu unterstützen, organisiert Maria Fülberth mit Unterstützung der VHS Landkreis Konstanz und der Stadt Radolfzell regelmäßig die Demokratiekonferenz. Bei diesem Treffen können Bürgerinnen und Bürger über die Themen sprechen, die ihnen wichtig sind, und Ideen sammeln, wie sich die Demokratie in der Stadt stärken lasse. So hat die VHS zum Beispiel ein Politik-Speed-Dating veranstaltet, bei dem interessierte Bürger mit Lokal-, Landes- und Bundespolitiker ins Gespräch kommen konnten.

Projektleiterin Maria Fülberth stellt Radolfzell ein gutes Zeugnis aus: „Es ist ein Ort, an dem sich Menschen für Demokratie einsetzen“, sagt sie. Viele seien ihrer Erfahrung nach sehr engagiert, auch die vielen Vereine sprächen für eine Gesellschaft, die auch im Privatbereich demokratische Strukturen folgt. „Das ist hier schon eine sehr privilegierte Situation“, macht Fülberth deutlich.