Die Corona-Pandemie hat das Leben vieler Menschen überschattet – und es in einem Ausmaß verändert, wie es sich Anfang des Jahres niemand hätte vorstellen können. Hier schildert Sinje Schulz, Biologielehrerin am Friedrich-Hecker-Gymnasium (FHG), wie sie das letzte Jahr unter Corona erlebte, was sie betroffen machte und was ihr an 2020 trotzdem gefiel.
Das Jahr 2020 unter Corona
Sinje Schulz sitzt in ihrem zweiten Zuhause, der Biologiesammlung am FHG, und überlegt, wie sie sich in ein paar Jahren, in der Rückschau, an die Corona-Zeit 2020 erinnern wird.
An ein Leben mit Einschränkungen? An die Zeit, in der es in der Schule still wurde, weil alle außerschulischen Aktivitäten abgesagt waren? An die Zeit, in der man für die kleinen Dinge dankbar gewesen sei? Oder an das Jahr, indem die Digitalisierung Einzug erhielt.
Sie überlegt und sagt dann: „Eigentlich war es ein spannendes Jahr, das uns aber sehr gefordert hat.“
An jenen Montag im März, als Schulz erfuhr, dass der Unterricht so nicht mehr möglich war, dass das Schulgebäude bald nicht mehr betreten werden dürfe, erinnert sich die Lehrerin genau. „Das hätte ein wichtiger Tag für meine Klasse werden sollen.“ Sinje Schulz ist Klassenlehrerin einer 7. Klasse, die damals kurz vor einer Klassenfahrt stand.
„An diesem Tag wollten wir die Zimmerverteilung für die Fahrt machen. Es hätte eine Klassenarbeit geschrieben werden sollen und hier stand ein Wagen mit ganz vielen Forellen.“ Schulz deutet in der Biologiesammlung auf eine Ecke mit Sezierbesteck. Denn: Die Fische hätten anatomisch zerlegt werden sollen.
Doch was dann kam, habe sie überrascht und auch ein bisschen entwurzelt, sagt die Lehrerin.
Jeden Tag ein Anruf bei den Schülern
Als die Schule wegen Corona im Frühjahr 2020 geschlossen wurde, begann für Sinje Schulz und ihre Schüler ein großes Experiment: Würde es gelingen, rund 30 Schüler pro Klasse auf Distanz zu unterrichten? Und den Kontakt zu halten?
Um den nicht zu verlieren, hat Schulz in den ersten Wochen nach der Schulschließung jeden Tag ihre Schützlinge – einen nach dem anderen – angerufen. „Ich habe gefragt, wie es ihnen geht, ob sie alle Arbeitsmaterialien haben oder sie Hilfe benötigten“, erinnert sich Schulz.
Die Telefonzeit sei auch spannend gewesen. Denn wann spreche man schon mal so intensiv mit jedem Schüler? Überhaupt sei vieles intensiver geworden. Auch später, als es längst eine Schulcloud gab, als Schüler und Lehrer sich in Videokonferenzen austauschten.
Statt im Klassenverband in einer Konferenz zu sitzen, besprach Sinje Schulz ihre Aufgaben in Kleingruppen mit jeweils fünf Schülern. „Nacheinander haben sie ihre Aufsätze vorgelesen und sich gegenseitig Feedback gegeben“, sagt Schulz.
Ihre Mission damals: Ihnen einerseits viel Wissen mitzugeben, sie anzuregen, trotz der ungewohnten Situation weiter zu lernen. Und sie anderseits immer mal wieder vor die Tür zu locken. Die meisten Schüler seien schließlich permanent zuhause in den eigenen vier Wänden gewesen.
Schulz lockte sie darum mit einem Herbarium nach draußen in die Natur. Der Auftrag der Biolehrerin: „Pflanzen, wie Bärlauch, unter bestimmten Aspekten zu pflücken. Einmal habe ich ihnen auch den Auftrag gegeben, daraus noch eine Paste zu machen.“
Was besonders herausfordernd war
Die Zeit kurz vor und nach den Sommerferien, sagt Schulz. Kurz vor den Sommerferien, weil die Kursstufe zurück ins Gebäude kam und dort unterrichtet wurde, während die Jüngeren noch zuhause saßen. „Das Hybridsystem war schwierig. Weil man keiner Klasse mehr gerecht werden konnte.“
Und die Zeit nach den Sommerferien, weil sie eine Normalität suggerierte, die es so nicht gab. „Es war schon befremdlich keinen Kontakt mehr zu den Schülern im Klassenraum zu haben“, sagt die Biolehrerin.
Noch bevor ihre Schützlinge damals das Schulgebäude betraten, mussten alle Arbeitsmaterialien auf den jeweiligen Plätzen der Schüler liegen, sodass während des Unterrichts kein Kontakt mehr stattfand. Gruppenarbeiten, interaktive Momente – all das war mehr oder weniger abgeschafft. „Das war eine Form von Unterricht, den wir schon sehr lange nicht mehr hatten.“ Der klassische Frontalunterricht.

Bevor die Masken im Unterricht zur Pflicht wurden, habe man manchmal noch ein Gefühl von Zuhause gehabt, sagt Sinje Schulz. Man habe die Hände gewaschen, sich hingesetzt, die Fenster geöffnet, die Klassentür geschlossen – und damit auch ein Stück weit den Gedanken an die Pandemie ausgeschlossen.
„Das ist zwar ein bisschen romantisierend, aber das war schon ein gutes Gefühl. Da saß man in seiner Kohorte, in seiner Gruppe, und musste einmal nicht an Corona denken.“ Die Masken seien natürlich wichtig, betont Schulz. Auch im Unterricht.
Aber die Pandemie hatte man so ständig vor den Augen. „Ansonsten ist alles sehr routiniert gewesen: Es klingelten Wecker, wenn gelüftet werden musste. Und manche Schüler nahmen sich Fleecedecken mit, damit ihnen an den Beinen nicht zu kalt wurde.“
Für die Lehrerin ist der Schulalltag – auch jetzt im erneuten Fernunterricht –eine tägliche Gratwanderung. „Man will positiv bleiben, weil man den Jugendlichen ein konstruktives Vorbild sein will. Und muss doch mit Widrigkeiten kämpfen“, sagt sie. Etwa, wenn die Technik streike.
Dabei sei es jetzt im zweiten Lockdown auch nicht mehr holprig wie im Frühjahr. „Wir arbeiten mit Microsoft Teams und die Schüler sind auf kleine digitale Gruppenräume verteilt.“ Sinje Schulz könne zwischen den Gruppen virtuell hin- und her wandern, Aufgaben besprechen und Feedback geben. Sie sagt: „Das klappt gut soweit.“
Was Sinje Schulz am meisten vermisst
„Ganz viel, was Schule ausmacht, findet gerade nicht statt: Da ist kein Chor, kein Orchester, da sind keine Klassen, die sich gemeinsam um etwas kümmern. Da sind keine Flohmärkte oder keine Konzerte im Schulgebäude“, sagt Sinje Schulz.
Die Schule sei erst zu einem stillen – und jetzt vor Weihnachten zu einem leeren Ort – geworden. Das bunte, laute Schulleben, das fehle ihr. Und auch die persönlichen Begegnungen.

Und weil Schulz ganz die Biologin ist, sagt sie nicht, dass ihr während des Präsenzunterrichts im vergangenen Jahr durch die Maske die Mimik ihrer Schüler fehlte. Sondern sie sagt: „Die Spiegelneuronen, die verarmen langsam.“
Spiegelneuronen: Das sind Nervenzellen im Gehirn, die das Geschehene widerspiegeln. Beobachtet man einen Menschen, der etwas tut – tanzen, lachen, spielen zum Beispiel, so werden bei einem die gleichen Zellen aktiv, wie bei dem, der eigentlich handelt. „Wir erleben so, was andere fühlen“, sagt Sinje Schulz.
„Bei Klassen, die miteinander ganz toll wirken, geht viel über die Mimik.“ Und diese Feinabstimmung fehlte durch die Masken bedingt. „Das Miteinander war ein anderes.“
Auch kurz vor Weihnachten, als die Schüler verfrüht in die Ferien entlassen wurden, haben Sinje Schulz die persönlichen Begegnungen gefehlt. „Weil die Entscheidung so kurzfristig getroffen wurde, konnte man seine Klassen gar nicht mehr verabschieden“, sagt sie. Und weil der Unterricht jetzt wieder auf Distanz stattfinde, sei eine virtuelle Barriere zwischen ihr und den Schülern.
Was gut war an 2020 und berührte
Im ersten und zweiten Lockdown die ersten Video-Begegnung mit ihren Schülern, sagt die Biolehrerin. „Diese Freude sich wiederzusehen, wieder miteinander zu arbeiten, auch wenn es nur im Bild war, war wirklich berührend.“
Das zeige, wie wichtig Begegnungen seien. Und wie wichtig sich auch die Schüler sind, dass das Arbeiten in der Gruppe durch nichts zu ersetzen sei.
Was sonst noch gut war? Dass Corona die Digitalisierung vorangetrieben habe, meint Schulz. „Wir haben in dieser Zeit viel entdeckt. Und unsere Schulcloud, die geben wir auch nicht mehr her.“