Die Entwicklung des Bahnhofsquartiers befindet sich noch im Ideenstatus, der Plan einer neuen Unterführung und damit eines breiteren, lichteren Seezugangs ist aufgegeben, aber der „Factory Outlet Center“ Seemaxx wünscht von der Stadt Radolfzell schon die Erlaubnis für eine zweite Erweiterung. Der neue Inhaber des Fabrikverkaufszentrums, das Immobilienunternehmen Kintyre mit Sitz in Frankfurt, hat der Stadtverwaltung die Absicht übermittelt, das Seemaxx um 2500 Quadratmeter zu erweitern.
Ein Neubau auf dem Parkplatz
Als Platz für diese Erweiterung hat Kintyre den Parkplatz gegenüber des Milchwerks ins Spiel gebracht. Im Erdgeschoss sollen die Läden untergebracht, die Obergeschosse sollen als Parkdecks ausgebaut werden. Neben der Erweiterung soll das Seemaxx auch eine neue Sortimentsstruktur erhalten. Das Angebot für Herrenbekleidung soll aufgestockt und Schmuck, Haushaltswaren, Spielwaren und Parfümerie zugelassen werden.
Kaufmännische Pläne sind das eine, die politische Durchsetzbarkeit das andere. Dafür hat die Stadtverwaltung beim Beratungsunternehmen Cima ein neues Gutachten in Auftrag gegeben, das den klingenden Titel „Aktualisierung der Entwicklungsperspektive Einzelhandel in der Stadt Radolfzell“ trägt. Diese Aktualisierung hat den Seemaxx-Plänen eine „Attraktivitätssteigerung und eine verbesserte Wettbewerbspositionierung“ bescheinigt.
Das Potenzial liegt im Auge des Betrachters
Die Vorstellung dieser „Entwicklungspotenziale“ durch den Cima-Berater Florian Gillwald ist bei den Mitgliedern des Ausschusses Planung, Umwelt und Technik nicht auf die Gegenliebe gestoßen, die OB Martin Staab erwartet hatte. Die vorgeschlagenen Flächen beliefen sich in einer Größenordnung, dem der Gemeinderat schon zugestimmt habe. „Ich kann den Ausführungen der Cima folgen“, sagte Staab. Damit befand sich der OB nach Zahl und Inhalt der Stellungnahmen in der Minderheit. Die Stadträte Richard Atkinson (FDP), Walter Hiller (Freie Wähler), Norbert Lumbe (SPD) und Anja Matuszak (Freie Grüne Liste) formulierten mehr oder weniger freundlich ihre Auffassungsdistanz zu den Feststellungen im Gutachten. Sie kritisierten, dass das Gutachten mit dem „Bahnhofsquartier als neuem Einzelhandelschwerpunkt“ die Erweiterung des Seemaxx schmackhaft machen will.
Was die Aktionsgemeinschaft sagt
Aber dieses Quartier besteht vorerst nur als Idee. Richard Atkinson zweifelte: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Bedarf am Bahnhof da ist, da produzieren wir Leerstand.“ Norbert Lumbe verwies auf die Stellungnahme der Händler in der Aktionsgemeinschaft Radolfzell. Darin wird die einseitige Entwicklung thematisiert. Es sei schon 2006 ein Gegenpol zum Seemaxx mit Anbindung der Altstadt und des Sees versprochen worden. „Wenn man vom Seemaxx in Richtung Innenstadt läuft, ist klar zu erkennen, bis wohin die Hesta als damaliger Eigentümer investiert hat und wo die Stadt nicht weiter investiert hat“, heißt es in der Stellungnahme. Für Lumbe gäbe es nur eine Lösung mit den Betroffenen, „und das sind die Mitglieder der Aktionsgemeinschaft“.
Walter Hiller griff das Gutachten und die Wünsche der neuen Eigentümer des Fabrikverkaufszentrums in mehreren Punkten scharf an: „Das Seemaxx will ein Sortiment, das nicht mehr einem Outletcenter entspricht.“ In einem Werksverkauf würden nicht mehr aktuelle Eins-A-Waren verkauft. Die Sortimentserweiterung sei deshalb nicht zu akzeptieren: „Parfümhersteller haben keine Eins-B-Ware“, sagte Hiller. Mit diesen Plänen würde sich das Seemaxx zu einem ganz „normalen Vermarkter“ entwickeln: „Das gefährdet die Innenstadt“, sagte Hiller.
Ist Shopping die Zukunft?
Anja Matuszak bemängelte die rein auf den Handel ausgerichtete Betrachtungsweise der Innenstadt: „Eine Aufenthaltsqualität ergibt sich nicht nur durch Geschäfte.“ Man müsse kulturelle Angebote mit einbeziehen. „Mir fehlt ein Gesamtkonzept. Ich bin mir nicht sicher, ob Shopping die Zukunft ist“, sagte die Stadträtin der FGL. In eine ähnliche Kerbe schlug CDU-Stadtrat Christof Stadler, der auf die Frequenzbringerin Stadtbibliothek verwies: „Gott sei Dank haben wir sie in der Stadt behalten.“ Das sei leider mit der Volkshochschule nicht gelungen.
Fußbecken für die Siebzigjährigen
Heinz Küster meldete sich als sachkundiger Bürger des Behindertenrats zu Wort. Er bezeichnete das Cima-Gutachten als „simple Fortschreibung“. Küster sah im Geiste schon das Wasserbecken vor dem Seemaxx künftig als Fußbecken für die Siebzigjährigen. Küster bezeichnete es als fragwürdig, wenn das Gutachten alles ausblenden würde, was mit dem Thema Alter und den damit verbundenen Problemen in Zusammenhang stehe.
Kenntnisnahme statt Empfehlung
CDU-Stadtrat Stefan Neumeir wollte bei den Vorschlägen nicht mitgehen. Er fand den Fehler in der Vorlage der Verwaltung. Oben stünde in der Zuständigkeit für den Ausschuss „Kenntnisnahme“ und unten im Beschlussvorschlag „Den Empfehlungen des Cima-Gutachtens wird gefolgt“. Das sei nicht in Ordnung, befand Neumeir. Da scheute OB Staab den Kraftakt: „Wir werden nicht abstimmen, nachdem sich ein Fehler in der Darstellung eingeschlichen hat.“ Am Ende wäre der Ausschuss den Empfehlungen wahrscheinlich nicht gefolgt.
Von Segelbooten und neuen Verkaufsflächen
- Was das Seemaxx kurzfristig will: Der neue Outletcenter-Eigentümer Kintyre will die Sortimente umschichten. Der Flächenanteil für Herrenbekleidung sowie der für Sport- und Freizeitbekleidung soll erhöht und der Bereich Damen- und Kinderbekleidung reduziert werden. Bisher nicht erlaubt, aber vom Eigentümer gewünscht ist eine Sortimentserweiterung auf Uhren, Schmuck, Haushaltswaren, Spielwaren, Parfümerie und eine „Experience-Shopping-Fläche“. Darunter versteht Kintyre etwa „Segelboote“.
- Wo das Seemaxx langfristig hin will: Mit dem Cima-Gutachten ist auch der Wunsch nach eine Verkaufsflächenerweiterung durch Kintyre unterbreitet worden. Statt bisher zulässigen 8500 Quadratmetern Verkaufsfläche wären es dann 11.000 Quadratmeter. Konkrete Planungen zur Aufteilung der Sortimente sind noch keine bekannt.
- Was die Aktionsgemeinschaft sagt: Der Verband der Radolfzeller Händler kann die Sortimentsverschiebung auf der bestehenden Seemaxx-Fläche akzeptieren. Schwieriger wird es schon bei der Sortimentserweiterung. Hier ist es der Aktionsgemeinschaft wichtig, dass Sortimente und Marken nicht den Bestand in der Innenstadt tangieren. Zur generellen Weiterentwicklung des „Factory Outlet Centers“ äußert sich die Aktionsgemeinschaft sehr vorsichtig. Sie könne die Bestrebungen des neuen Eigentümers nachvollziehen, aber es bedürfe einer abgestimmten und fairen Vorgehensweise, die auch den innerstädtischen Fachhandel berücksichtigen solle. Die Händler halten es für „essentiell wichtig“, dass schnell ein gesamtstädtisches Konzept entwickelt wird.