Einen Strategiewechsel hatte die Stadtverwaltung für die Kindertagesbetreuung angekündigt. Die eingeschlagene Strategie ließ jedoch nicht wenige der rund 250 Eltern, die zu der Dialogveranstaltung ins Milchwerk gekommen waren, ernüchtert und teils auch hoffnungslos zurück. Denn eine schnelle Verbesserung der Betreuungslage ist weder in Sicht noch möchten die verantwortlichen Mitarbeiter den Eltern irgendwelche Versprechen machen.

Keine Ganztagesplätze mehr!

Womit Familien aber ganz sicher rechnen müssen: Die Betreuungszeiten werden in den städtischen Kitas flächendeckend auf 30 Stunden, in manchen Einrichtungen auch auf nur 25 Stunden, reduziert. Das heißt: Ganztagesplätze oder verlängerte Öffnungszeiten, auf die vor allem berufstätige Eltern angewiesen sind, gibt es erst einmal – wenn es sich mit dem Personal überhaupt umsetzen lässt – nur noch in wenigen Einrichtungen.

Viele interessierte Eltern waren zur Dialogveranstaltung der Stadt ins Milchwerk gekommen. Viele hatten Fragen an die Verwaltung und ...
Viele interessierte Eltern waren zur Dialogveranstaltung der Stadt ins Milchwerk gekommen. Viele hatten Fragen an die Verwaltung und auch Kritik. | Bild: Schneider, Anna-Maria

Bürgermeisterin Monika Laule, Brigitte Reichmann, Fachbereichsleiterin für Bildung, Jugend, Sport, und Joana Blucha, zuständig für den Bereich Kindertagesbetreuung, gaben einen kurzen Abriss über die Situation in Radolfzell. Zum Jahreswechsel habe man in der Stadt 15 offene Stellen im Bereich Kinderbetreuung gehabt. Acht von zehn Einrichtungen mussten in den Notbetrieb wechseln.

 Der Kindergarten Güttingen bietet beispielsweise seit einem halben Jahr nur noch Notbetreuung an. Gleichzeitig ist ein temporärer Aufnahmestopp verhängt worden. Etliche Kinder warten derzeit vergeblich auf einen Betreuungsplatz. Überhaupt fehlt es in der Stadt an Kita-Plätzen, um den Bedarf abzudecken.

Annegret Allgaier, GEB Kita
Annegret Allgaier, GEB Kita | Bild: privat

Bestehendes Personal soll geschont werden

Der Strategiewechsel sei notwendig, um das bestehende Personal zu schonen. Für die Erzieherinnen und Erzieher sollen weitere Überstunden vermieden und die Arbeitsbelastung reduziert werden. Dies gehe nur mit der Kürzung des Angebotes, macht Bürgermeisterin Laule deutlich. Um neues Personal zu gewinnen, hat die Stadt ein Maßnahmenpaket auf den Weg gebracht wie Sonderleistungen für Erzieher oder mehr Werbung für die Stellenangebote.

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Auch wurde konkretisiert, was es mit der angekündigten Bonuszahlung für langjährige Angestellte auf sich hat. Eine Statistik macht nämlich deutlich: Radolfzell hat kein Problem damit neue Fachkräfte zu gewinnen. Aber ein großes damit, diese auch zu halten. Die Stadtverwaltung hat erhoben, wie viele Mitarbeiter wie lange schon in einer Einrichtung angestellt sind.

In den städtischen Kitas gibt es aktuell 34 Mitarbeiter, die erst vor Kurzem eingestellt wurden. Mitarbeiter, die bereits zwei Jahre dabei sind, gibt es 18. Drei Jahre im Betrieb sind insgesamt 13 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und nur fünf Erzieherinnen sind seit vier Jahren dabei. Erst wieder ab einer Betriebszugehörigkeit von zehn Jahren steigt die Zahl wieder auf 23. Das heißt: Scheinbar kündigen viele der neu eingestellten Kräfte in den ersten drei Jahren in Radolfzell.

Keine Tariferhöhungen für Erzieher

Die Idee ist also, treuen Mitarbeitern eine Bonuszahlung ab dem vierten Jahr in Höhe von 150 Euro pro Monat auszubezahlen, 75 Euro bei einer Teilzeitkraft. Flächendeckende Tariferhöhungen für Erzieherinnen lehnte Bürgermeisterin Monika Laule ab. Man prüfe gerade nur, ob man einzelnen Personen mit besonderen Aufgaben etwas mehr bezahlen könne.

OB Simon Gröger.
OB Simon Gröger. | Bild: Jarausch, Gerald

Überhaupt hat die Stadt noch einige Prüfaufträge offen, deren Ergebnisse beim Dialogabend nicht präsentiert werden konnten. Um die Betreuungszeiten verlängern zu können, soll die Stadt das Offenburger Modell prüfen. Bei diesem Modell übernimmt ein externer Träger die Kinderbetreuung. Diese ist keine pädagogische Fachbetreuung, könnte aber Eltern ermöglichen, ihr Kind länger als die 30 Stunden in der Woche in der Einrichtung zu lassen. Laut Laule sei man schon im Gespräch mit einem externen Träger.

Prüfauftrag steht noch aus

Zu prüfen ist auch, inwieweit Eltern am Nachmittag die Betreuung der Kinder in den Räumen der Einrichtung übernehmen können. Diesen Vorschlag hatten Eltern bereits vor Weihnachten geäußert. Die Idee ist aber von Seiten der Stadtverwaltung so lange kategorisch abgelehnt worden, bis der Gemeinderat in seiner Sondersitzung am 31. Januar einen offiziellen Prüfauftrag auf den Weg brachte. Ergebnisse konnte Monika Laule bei der Dialogveranstaltung nicht präsentieren, der Prüfauftrag sei ja erst zwei Wochen her.

Bürgermeisterin Monika Laule
Bürgermeisterin Monika Laule | Bild: Nicole Rabanser Stadtverwaltung Radolfzell

Für die Eltern waren es an diesem Abend ziemlich viele bittere Pillen zu schlucken. Eine schnelle Lösung des Betreuungsnotstandes scheint nicht in Sicht. Die Pilotphase der neuen Kita-Strategie soll ab dem 1. März starten. Endgültige Umsetzung soll dann zum Kita-Jahr 2023/2024 sein. Und inwiefern die Betreuungszeiten in einzelnen Einrichtungen verlängert werden können, hänge ganz von der Personallage ab, machte Joana Blucha deutlich. „Eine Garantie gibt es nicht“, sagte sie.

Eltern wollen lieber Fragen stellen, als im Workshop arbeiten

Aus dem von Oberbürgermeister Simon Gröger angedachten Dialog mit einem Workshop, an dem sich Eltern beteiligen können, wurde nichts. Die Eltern hatten Redebedarf und wollten viele Fragen und Kritik äußern. Immer wieder wurde die Kommunikation zwischen Stadt und Eltern thematisiert. Kritik gab es für die kurzfristigen Informationen oder zum Teil gar keine Antwort auf Fragen. Auch die zentrale Vormerkung für Kita-Plätze sei aus Sicht einiger Eltern nicht transparent genug.

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Die Verzweiflung wurde vor allem bei Familien deutlich, die ihre Lebensplanung auf eine verlässliche Kinderbetreuung aufgebaut hatten. Ehepaare, die beide voll berufstätig sind, die beide Einkommen brauchen und nicht wissen, wie sie dies bewältigen können mit nur 30 Betreuungsstunden pro Woche. „Wir müssen dann wohl hier wegziehen“, schilderte eine Mutter ihre Überlegungen.

Wieder andere kritisierten die Ideenlosigkeit des Strategiewechsels. „Reduzierung ist keine Strategie“, sagte eine Mutter. Auch die Gebührenfrage kam auf. Obwohl keine vollständige oder dauerhafte Kinderbetreuung mehr angeboten wurde, haben Eltern immer ihre Gebühren bezahlen müssen. Eine Mutter hatte ausgerechnet, dass ihrer Tochter ein ganzer Monat Betreuung fehle, den sie aber bezahlt habe: „In der freien Wirtschaft zahle ich auch nicht für eine Dienstleistung, die ich nie erhalten habe.“