Warum sind drei junge Männer 2023 im großen Stil in den Kokainhandel eingestiegen? Und sind sie trotz eigener Suchterkrankungen überhaupt vollständig schuldfähig? Unter anderem diese beiden Fragen versuchten die Beteiligten am dritten Verhandlungstag im Landgericht Konstanz zu klären, ehe in den kommenden Tagen noch die Plädoyers anstehen und das vermutlich mehrjährige Urteil fallen wird.

Vorgeworfen wird einem 30-jährigen Radolfzeller sowie einem 19- und einem 22-jährigen Mann aus Konstanz, mit etlichen Kilogramm Kokain und Marihuana gehandelt und dabei auch Waffen mitgeführt zu haben. Die Taten scheinen weitgehend nachgewiesen. Offen ist jedoch noch, ob die Waffen mitgeführt wurden, ob gegen die Angeklagten eine Unterbringung anstatt einer Haftstrafe angeordnet werden kann und ob zumindest der 19-Jährige noch unter Jugendstrafrecht fällt.

So wurde der 22-Jährige zum Drogendealer

Zunächst nahm am dritten Tag der 22 Jahre alte Angeklagte, wie vergangene Woche angekündigt, nach Rücksprache mit seinem Anwalt Sebastian Glathe doch noch Stellung zu den Vorwürfen. So berichtete er ausführlicher als bislang, wie er überhaupt mit dem Drogenhandel begann. Demnach sei er im Jahr 2021 nach seiner vorzeitigen Entlassung aus einer Haft wegen versuchten Totschlags eigentlich auf einem guten Weg gewesen und habe eine Ausbildung gemacht. Nebenbei habe er zwei weitere Jobs gehabt.

Der Vorsitzende Richter Joachim Dospil: Auch am dritten Verhandlungstag wirkte von den Aussagen der Angeklagten oft nicht überzeugt.
Der Vorsitzende Richter Joachim Dospil: Auch am dritten Verhandlungstag wirkte von den Aussagen der Angeklagten oft nicht überzeugt. | Bild: Silas Stein

Dennoch habe er verglichen mit Freunden wenig Geld gehabt, nur 900 Euro pro Monat. Als ihn ein Bekannter aus der Haft im Jahr 2023 kontaktierte und für den Drogenhandel gewinnen wollte, habe er zunächst mehrmals abgelehnt. Nach weiteren Avancen sei er jedoch schwach geworden.

Da der Handel in den ersten Monaten reibungslos gelaufen sei, habe er weitergemacht. Nebenbei habe er selbst immer mehr Alkohol konsumiert, gefeiert, Geld verprasst, Freunde und Frauen eingeladen und deren Aufmerksamkeit genossen. „So bin ich in diesen Strudel reingerutscht“, bilanzierte er vor Gericht.

Ist der 22-Jährige wirklich der Hauptdealer?

Zudem gestand er einen Großteil der Taten ein, andere allerdings nicht. Bei dem großen Kokaindeal mit verdeckten Ermittlern, der den drei Angeklagten schließlich zum Verhängnis wurde, sei jedoch nicht er der entscheidende Hintermann gewesen. Die Drogen hätten seinem 30-jährigen Mitangeklagten gehört, für den er das Kilo nur aufbewahrt hätte. Und beim Verkauf an die Ermittler sei er nur als Unterstützung dabei gewesen.

Diese Version bestätigte der 30 Jahre alte Mitangeklagte nach einer kurzen Verhandlungspause, in der sich die beiden Verteidiger Sebastian Glathe und Henning Stutz besprachen. Zudem gestand der 30-Jährige nahezu alle weiteren gegen ihn erhobenen Vorwürfe – mit Ausnahme des angeblich bei einer Verhandlung mitgeführten Butterfly-Messers.

Aussage des Bruders bringt Anwalt zur Verzweiflung

Doch waren die Einlassungen des 22-Jährigen glaubwürdig? Bei Rückfragen des Vorsitzenden Richters Joachim Dospil druckste er entweder herum oder besprach sich mit seinem Verteidiger. Angaben zu den Lieferanten der Drogen wollte der 22-Jährige nicht machen, obwohl ihm Dospil klar machte, dass er innerhalb des Strafrahmens von fünf bis 15 Jahren ansonsten wohl kaum in den unteren Bereich kommen werde.

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Direkt im Anschluss sagte der Bruder des 22-Jährigen als Zeuge aus. Er sollte dessen enormen Alkoholkonsum während des Tatzeitraums und dessen Verfall darlegen – wohl um mildernde Umstände möglich zu machen. Wirklich überzeugend gelang ihm das aber nicht.

Zwar schilderte er stockend einen durchaus übermäßigen bis täglichen Alkoholkonsum seines Bruders und dessen Entfremdung von der Familie. Er äußerte jedoch keinerlei Anzeichen für eine Wesensveränderung oder einen Kontrollverlust, was Verteidiger Sebastian Glathe offenkundig zur Verzweiflung brachte. Er unterbracht den Zeugen mehrfach.

Polizistin widerspricht Angeklagten

Danach rief Richter Joachim Dospil noch einmal eine Kriminalbeamtin in den Zeugenstand, die bereits am ersten Tag ausgesagt hatte. Sie legte detailliert dar, welche Taten sich wie genau durch Chatnachrichten, Observationen und überwachte Telefonanrufe beweisen lassen. Das Netzwerk der drei Angeklagten wirke laut den Chats eingespielt und stabil.

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Sie betonte abermals, dass ihrer Meinung nach der 22-jährige Angeklagte der Hauptorganisator der Deals gewesen sei. Auch beim Verkauf des Kilogramms Kokain an die verdeckten Ermittler habe dieser das finale Startsignal gegeben, der 30-Jährige hingegen eher vermittelt, zog sie deren vorherige Einlassungen in Zweifel.

Zudem hätten der 19- und 22-Jährige die meisten Käufe gemeinschaftlich organisiert und in den letzten Tagen vor ihrer Verhaftung insgesamt sogar vier Kilo Kokain umgesetzt. In der Kommunikation habe der 22-Jährige dabei immer „am Klarsten gewirkt“, was gegen eine Alkoholsucht sprechen würde.

So beurteilen Gutachter und Jugendgerichtshilfe die Angeklagten

Am Nachmittag gab der psychiatrische Gutachter Tobias Hölz von der forensischen Psychiatrie Ravensburg-Weißenbau seine Einschätzung ab. Er erklärte, der 19-jährige Angeklagte habe bereits seit Jugendalter Suchterscheinungen. Toxikologische Befunde des Blutes hätten so hohe Werte angezeigt, wie er sie noch nie gesehen habe. Er gehe daher von dem exzessiven Gebrauch verschiedener Substanzen aus.

Schuldfähig sei der 22-Jährige dennoch, wie etwa sein planvolles Handeln belege. Allerdings habe er einen Hang zu Alkohol und Drogen und habe hauptsächlich zu deren Finanzierung mit dem Handeln begonnen. Er empfahl daher eine lange Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach Paragraf 64.

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Auch die anderen beiden Angeklagten beurteilte er als voll schuldfähig. Bei ihnen stellte er jedoch keinen derart ausgeprägten Drogen- und Alkoholkonsum und keine psychischen Veränderungen fest, die eine Unterbringung rechtfertigen würden. Der eigene Konsum sei nicht Ursache des kriminellen Handelns gewesen.

Zum Abschluss berichtete die Jugendgerichtshilfe Daniela Harder von ihrem Gespräch mit dem 19-jährigen Angeklagten. Aufgrund seines Alters und einer Reifeverzögerung sei Jugendstrafrecht angemessen. Zudem beurteilte sie seine Einsicht, Reue und den Wunsch nach einer Langzeittherapie als aufrichtig. Er habe eine positive Prognose.

So geht es weiter: Noch ein Verhandlungstag nötig

Am Freitag, 28. März, werden die Staatsanwaltschaft sowie die drei Verteidiger Sebastian Glathe, Henning Stutz und Andreas Disch plädieren. Für das Urteil setzte Richter Dospil wegen einiger Verzögerungen einen weiteren Verhandlungstag an. Es soll am Dienstag, 8. April, fallen – und wird wohl viele Jahre Gefängnis für die drei bedeuten.