Ein Strafzettel ist ärgerlich. Niemand freut sich, wenn er zu seinem Fahrzeug zurückkehrt und an der Scheibe das unwillkommene Knöllchen hängt. Über eine Verwarnung wegen Falschparkens in Höhe von 15 Euro ärgerte sich auch ein Anwohner einer Höri-Gemeinde. Aber seine Frustration mit dem Gemeindevollzugsdienst ging so weit, dass er so lange gegen dieses Knöllchen Einspruch einlegte, bis sich Richterin Julia Elsner vom Radolfzeller Amtsgericht damit beschäftigen musste.
Alltag im deutschen Justizsystem, welches seit Jahren chronisch überlastet ist. Laut dem Deutschen Richterbund liegen aktuell etwa 933.000 Fälle unerledigt bei den Staatsanwaltschaften. In Baden-Württemberg sollen etwa 79.240 Verfahren noch offen sein. Nur in NRW, Hessen und Bayern gibt es noch mehr unerledigte Fälle. Dieser Fall mit dem 15-Euro-Knöllchen endete darin, dass der 66-Jährige seinen Einspruch zurückzog, nachdem Richterin Elsner ihm eine längere Ansprache zum Thema menschliches Miteinander, Rücksichtnahme und Gelassenheit hielt.
Auto stand auf der falschen Seite
Der Vorfall war an sich kaum der Rede wert: Der Mann von der Höri hatte seinen Oldtimer nach längerer Pause wieder aus der Garage geholt. Wie es bei dem Fahrzeugtyp wohl häufiger vorkomme, sei der Motor abgesoffen, erklärte er vor Gericht. Er sei mit dem Restschwung noch vor sein Anwesen gerollt, habe sich aber auf die falsche Straßenseite gestellt, um einem Nachbarn nicht die Einfahrt zu blockieren. Und da er nichts anderes habe machen können, als zu warten, so seine Ausführungen, sei er ins Haus gegangen. Als er den Motor nach einer Stunde etwa wieder starten wollte, hatte er einen Strafzettel an der Windschutzscheibe.
Wütende Briefe an das Gericht
Ab da sei beim 66-Jährigen jede Gelassenheit verflogen gewesen, wenn man die Ausführungen der Richterin glauben möchte: In einem Einspruchsschreiben gegen das Bußgeld wetterte er gegen den Ordnungsbeamten persönlich und unterstellte ihm hinterhältige Absichten. Dieser habe explizit darauf gewartet, bis er sein Fahrzeug verlassen habe, um dann das Parkticket auszustellen. Auch das Gericht selbst wurde in den Schreiben des Mannes angegangen.
Eine erste Anhörung sei versehentlich auf den Geburtstag des 66-Jährigen terminiert worden. „Ich schaue mir in der Regel die Geburtsdaten nicht an, ich habe feste Verhandlungstage“, erklärte Richterin Elsner die Lage. Doch da sei der Mann „längst wieder auf der Palme gewesen“, wie sie sagte. Auch sein Vorwurf, der Ordnungsbeamte habe nicht das persönliche Gespräch gesucht, wusste sie zu entkräften: „Wenn ich Ihre Schreiben ans Gericht so lese, würde ich offen gesagt auch nicht mit Ihnen das persönliche Gespräch suchen wollen.“
Richterin redet 66-Jährigem ins Gewissen
Sie redet dem 66-Jährigen eindringlich ins Gewissen, da sie häufiger solche Fälle auf dem Tisch habe. „Es drängt sich der Eindruck auf, es geht ihnen nicht um die Situation, sondern um eine Auseinandersetzung mit dem Ordnungsbeamten“, so die Richterin. Sie ermahnte den Höri-Bewohner zu mehr Gelassenheit: „Es ist nichts Persönliches, alle machen hier nur ihren Job.“ Ihrer Erfahrung nach sei der Groll gegen die Strafverfolgung bei solch Bagatelldelikten weitaus größer als von Menschen, die wirklich schwere Verbrechen begangen hatten und denen zum Beispiel Haftstrafen drohten.
Ein Bußgeld sei auch eine Erinnerung daran, sich an die geltenden Regeln des Zusammenlebens zu halten. Tatsache sei nämlich, sein Wagen stand auf der falschen Straßenseite. Dass er liegen geblieben sei und nicht geparkt hatte, sei aus ihrer Sicht eine Schutzbehauptung. Für diese Ordnungswidrigkeit stehe im Bußgeldkatalog ein Betrag von 25 Euro, da seien 15 Euro schon ein Entgegenkommen.
Sie riet dem Mann, seinen Einspruch zurückzuziehen. Das erspare ihm zwar nicht das Bußgeld, aber die Gerichtsgebühr in Höhe von 55 Euro. Wenn er auf die Beweisaufnahme und eine direkte Konfrontation mit dem Ordnungsbeamten vor Gericht verzichte, würde ihn diese halbe Stunde mit der Richterin nur 22,50 Euro kosten, plus das Bußgeld. Dem kam der Angeklagte nach, sodass an diesem Tag kein Urteil fiel.