In diesen Tagen wird über kaum etwas mehr und kontroverser diskutiert als über die allgemeine Impfpflicht. Soll sie für alle gelten oder nur für eine bestimmte Altersgruppe? Und wie soll sie überhaupt durchgesetzt und kontrolliert werden? Diese Fragen wird die Bundesregierung klären müssen. Was schon fest beschlossen ist, ist die Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen. Genauer gesagt für Menschen, die in medizinischen und pflegerischen Berufen tätig sind. Sie müssen ihrem Arbeitgeber bis zum 15. März einen vollständigen Impfnachweis vorlegen.

Zusammenbruch des Gesundheitssystems wird vorhergesagt

Die Impflicht bedeutet den Zusammenbruch des Gesundheitssystems, sagen Impfgegner voraus. In einigen Lokalzeitungen in Deutschland sind seit Kurzem unzählige Anzeigen zu finden von ungeimpften Pflegekräften, Altenpflegern, Hebammen und Physiotherapeuten, die angeblich wegen der Impfpflicht ihren Beruf aufgeben müssen und eine neue Wirkungsstätte suchen. Doch nicht hinter allen steckt ein echtes Schicksal.

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In den einschlägigen Gruppen der Querdenker-Telegram-Kanäle gibt es Aufrufe dazu, diese Anzeigen in den Lokalzeitungen zu schalten. Ziel ist es, die Bevölkerung soweit zu verunsichern, dass die Impfpflicht dem Gesundheitssystem schadet. Manche dieser Anzeigen sind aber echt und die Impfpflicht ist Anlass für Kündigungen. Doch wie sieht die Lage vor Ort aus? Gibt es wirklich so viele ungeimpfte Mitarbeiter in den Radolfzeller Pflegeheimen und dem Krankenhaus?

Hohe Impfbereitschaft

Der Stand der Geimpften fällt wenige Wochen vor der Einführung der Impfpflicht höchst unterschiedlich aus. In der Pro Seniore Residenz Radolfzell hat man unter den 91 Mitarbeitern eine aktuelle Impfquote von 98 Prozent, wie Pflegedirektor Leon Mehrens mitteilt. „Wir gehen davon aus und hoffen, dass wir auch mit Beginn der Impfpflicht alle Mitarbeiter behalten werden“, so Mehrens.

Einige Mitarbeiter, die eine Impfung bis jetzt nicht in Erwägung gezogen haben, hätten mittlerweile die erste Dosis des Vakzins bekommen. Bis Mitte März werde man auch die zweite Dosis nachweisen können, ist sich Mehrens sicher. „Wir sind aktiv Teil der Impfkampagne und werben sehr für eine Corona-Impfung“, sagt der Pflegedirektor. Im persönlichen Gespräch habe man versucht, die noch nicht immunisierten Mitarbeiter aufzuklären und Ängste abzubauen.

Was, wenn sich keiner impfen lässt?

Ganz anders sieht es im Pflegeheim Waldblick in Stahringen aus. Hier sind laut Geschäftsführerin Edith Klup von ihren 29 Mitarbeitern nur neun vollständig geimpft. Die anderen 20 seien nicht geimpft und wollten dies auch gar nicht, sagt Klup. „Ich finde nicht, dass man Menschen zwingen sollte, sich impfen zu lassen“, sagt die Heimleiterin und zeigt Verständnis für ihre Mitarbeiter.

Sie befürchte einen massiven Personalmangel nach der Einführung der Impfpflicht und eine Verschlechterung der Versorgung für die älteren Menschen. Wie es für ihr Pflegeheim nach dem 15. März weitergeht, das weiß Edith Klup nicht so genau (siehe Erklärtext). Im Gespräch mit dem SÜDKURIER erwähnt die Pflegeheim-Leiterin eine Ausnahmeregelung, nach der die Impfpflicht nur für neue Mitarbeiter gelten solle, allerdings nicht für das bereits bestehende Personal.

Suche nach Schlupflöchern

Und in der Tat werden vor allem auf impfkritischen Plattformen Schlupflöcher für die berufsbezogene Impfpflicht gesucht. Doch auch auf diesen Internetseiten findet sich keine Bestätigung für die von Edith Klup erwähnte Ausnahmeregelung. Sebastian Gülde, ein Sprecher des Bundesministeriums für Gesundheit, erklärt das Prozedere: „Alle Personen, die bereits in den betroffenen Einrichtungen tätig sind, müssen bis zum Ablauf des 15. März der Leitung der Einrichtung einen Impf- oder Genesenennachweis oder ein ärztliches Zeugnis darüber, dass sie aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können, nachweisen.“

Fehle dieser Nachweis, sei die Leitung verpflichtet, dies dem zuständigen Gesundheitsamt zu melden. Wenn der Impfnachweis weiterhin nicht erbracht werde, könne das Gesundheitsamt ein Betretungsverbot für die Einrichtung aussprechen, der betroffene Mitarbeiter darf also nicht mehr zur Arbeit gehen.

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In dem Pflegeheim Heilig Geist des Radolfzeller Spitalfonds wären 125 Mitarbeiter von der Impfpflicht betroffen. Bisher habe eine Person angekündigt, wegen der Impfpflicht zu kündigen. Man versuche über persönliche Gespräche und Impfangebote, die noch nicht geimpften Mitarbeiter zu einer Immunisierung zu bewegen, informiert Moritz Schade, Sprecher der Stadt Radolfzell. „Jeder Mitarbeiter, der die Einrichtung verlässt, ist einer zu viel“, macht Schade die angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt klar. Dem hohen Bedarf an Pflegeplätzen könne man in der Region jetzt schon kaum nachkommen.

Gesundheitsverbund rechnet mit Kündigungen

In den Krankenhäusern des Gesundheitsverbundes Landkreis Konstanz (GLKN) sind laut Pressesprecherin Andrea Jagode 3800 Mitarbeiter von der Impfpflicht betroffen. Derzeit werde die Impfquote neu erhoben, die bis zum 15. März bekannt werden soll. „Wir hatten im vergangenen Frühjahr, als im GLKN die Erst- und Zweitimpfungen liefen, eine Impfquote von über 85 Prozent“, gibt Jagode eine grobe Einschätzung der Lage.

Doch wegen der natürlichen Fluktuation müsse man diese Quote neu erheben. Bislang seien keine Kündigungen bekannt, die mit der Impfpflicht verbunden sind. Noch greife das Gesetz auch gar nicht. Man rechne aber im GLKN, dass einzelne Mitarbeiter die Impfpflicht als Anlass zur Kündigung nehmen werden, das sei bei so vielen Mitarbeitern kaum auszuschließen, sagt Andrea Jagode.