Für gewöhnlich sorgt ein Gerichtsurteil in einem Streitfall für Klarheit. Im Falle des ehemaligen Hotel Viktoria führt das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg zu völlig neue Entwicklungen. Seit Jahren plant Bauinvestor Bernhard Bihler, der das Gebäude 2016 erworben hatte, einen Neubau. Und etwa genauso lange wehren sich die Nachbarn gegen die geplante Bebauung.

Der Fall ging vor Gericht und die beiden Kläger Udo Oehme und Antonio Nadile haben vom Verwaltungsgericht recht bekommen. „Der Bauvorbescheid verstößt gegen von der Baurechtsbehörde zu prüfende öffentlich-rechtliche Vorschriften“, lautet das Urteil des Gerichts. Und: „Das Vorhaben fügt sich nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein und beeinträchtigt dadurch das Nachbargrundstück der Kläger in rücksichtsloser Weise.“

Das könnte Sie auch interessieren

Lange haben sich Nadile und Oehme nicht öffentlich zu dem Fall geäußert, sie haben das Gerichtsurteil abwarten wollen, sagen sie. „Wir wollen aber jetzt aufzeigen, was der Bau für die Menschen im gesamten Quartier bedeutet“, führt Oehme aus. Und dies sei nicht der Verlust des Seeblicks, wie Bihler den beiden Klageparteien vorwirft. „Wir wurden in der Öffentlichkeit so dargestellt, als ginge es uns nur um unseren Ausblick. Aber das ist nicht wahr.“

Am 27. Juni 2016 brannte das ehemalige Hotel im Dachstuhl, danach blieb nur noch eine Ruine. Kurz vor dem Brand hatte Investor Bihler ...
Am 27. Juni 2016 brannte das ehemalige Hotel im Dachstuhl, danach blieb nur noch eine Ruine. Kurz vor dem Brand hatte Investor Bihler das Haus gekauft. | Bild: Freißmann, Stephan

Der vierstöckige Neubau mit Dachgeschoss würde das Grundstück der Oehmes vollständig einmauern und den Garten komplett verschatten, führt der Architekt aus. Für Antonio Nadile bedeutet der Bau, dass die Fenster seiner Wohnungen, die Richtung Bahnhof zeigen, zugebaut würden. „Der Plan sieht nur einen Abstand von 60 Zentimeter vor, es müssten aber 2,5 Meter sein“, erklärt Nadile.

Urteil kritisiert den Bau an dieser Stelle

Das Verwaltungsgericht ging sogar noch weiter und befand den Bau grundsätzlich für unpassend an der Stelle, er würde sich nicht ins historische Stadtpanorama einfügen und sei zu groß an dieser Stelle. Der Entwurf würde nicht nur keine Rücksicht auf die Nachbarn nehmen, sondern auch nicht auf die denkmalgeschützte Bebauung in der Umgebung, heißt es in dem Urteil.

Gegen dieses Urteil prüft die Radolfzeller Stadtverwaltung als Beklagte in Berufung zu gehen. Die Klage von Oehme und Nadile richtet sich gegen die durch das Bauamt der Stadt Radolfzell erteilte Bauvoranfrage von Investor Bernhard Bihler. Etwas weiter ist da schon der Investor selbst. Seine Anwälte würden aktuell das Urteil prüfen und, „wenn es eine Möglichkeit gibt, die sinnvoll ist, werden wir in Berufung gehen“, sagt Bihler.

Das könnte Sie auch interessieren

Ein Berufungsverfahren, sollte dem stattgegeben werden, würde wieder viel Zeit kosten. So lange bleibt die Bauruine am Bahnhofplatz 11 bestehen und begrüßt Gäste der Stadt an prominenter Stelle. Auch hier sehen sich Oehme und Nadile ins falsche Licht gerückt. „Wir sind nicht schuld daran, dass es bei der hässlichen Bauruine nicht voran geht“, sagt Oehme. Dass die unansehnliche Bauruine nicht komplett abgetragen werde, halten Oehme und Nadile für einen strategischen Schachzug Bihlers, um den Druck auf die Verwaltung zu erhöhen. Man wolle auf keinen Fall ein Verhinderer sein, betont Oehme.

Historisches Stadtbild als Herzensangelegenheit

Das historische Stadtbild ist vor allem Antonio Nadile eine Herzensangelegenheit. Er verbindet mit den Quartier Erinnerungen an seine ersten Jahre in Radolfzell, als er 1979 aus Kalabrien kam und in der Seestraße ein neues Heim fand. „Obwohl ich meine Eltern sehr vermisst habe und es kalt war, habe ich mich wie Zuhause gefühlt“, sagt Nadile. Er würde alles tun, um das alte Stadtbild mit den kleinen Häusern und Gassen zu erhalten. Dafür wünsche er sich auch mehr Unterstützung der Verwaltung und des Gemeinderates.

Das könnte Sie auch interessieren

Dieser Wunsch wird zumindest von der FGL-Fraktion im Gemeinderat erhört. Diese stellte einen Antrag, das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg zu akzeptieren und keine Berufung einzulegen und einen Bebauungsplan für das Areal aufstellen zu lassen. Fraktionssprecher Siegfried Lehmann wirft der Verwaltung – damals noch unter der Leitung des früheren Oberbürgermeisters Martin Staab – vor, im Februar 2020 den Bauvorentscheid erteilt zu haben, entgegen der Empfehlung des Gestaltungsbeirates und des Denkmalamtes und ohne dem Gemeinderat die Option gegeben zu haben, einen Bebauungsplan aufzustellen. Dies sei ein massiver politischer Vertrauensbruch gewesen. Nun gehe es darum, weiteres langjähriges Gerangel über baurechtliche Auslegungen zu verhindern.

Das könnte Sie auch interessieren

Für Bernhard Bihler schließen sich eine Berufung und das Aufstellen eines Bebauungsplanes nicht aus. Er würde einen solchen Plan begrüßen, weil dieser klares Baurecht schaffen würde. „Allerdings wird dieser Prozess auch wieder einige Jahre dauern“, so seine Einschätzung. Er selbst hält es für absolut notwendig, dass die Stadt gegen das Urteil in Berufung gehe, denn es könnte wegweisend für jede weitere Bebauung in dem Bereich sein. „Wenn Seeblick auf einmal ein Argument ist, dann ist das nicht gut für künftige Planungen“, so Bihler. Er sei nach wie vor offen für Gespräche und wolle auch Kompromissbereitschaft signalisieren.