Zwischen all den vertrieblichen Aussagen, die aus dem Gesundheitsverbund des Landkreises Konstanz (GLKN) und seinem Aufsichtsrat heraus zu einem vorgeschlagenen Klinikneubau gemacht werden, dringt da und dort die eigentliche Wahrheit durch. Der Gesundheitsverbund leidet unter einem Personalengpass und an den Häusern in Singen und Radolfzell ist in den vergangenen zehn Jahren wenig bis nichts gemacht worden.

Zu wenig Mitarbeiter

Bernd Sieber, seit 20 Monaten Geschäftsführer dieses kommunalen Klinikkonzerns, hat im Gemeinderat Radolfzell auf Drängen und Nachhaken Dinge klargestellt, warum sich der Gesundheitsverbund das Krankenhaus Radolfzell auf Dauer nicht mehr leisten kann: „Wenn wir nicht genügend Mitarbeiter haben, dann kann man nicht an allen Standorten an sieben Tagen die 24-Stunden-Versorgung haben.“ Pflegekräfte und Ärzte würden sich eher an größeren Standorten bewerben, Dienste seien in kleineren Häusern schwer abzubilden.

Gesundheitsverbund-Geschäftsführer Bernd Sieber: „Im Zusammenhang mit dem Gutachten kam es zu Verunsicherungen am Standort ...
Gesundheitsverbund-Geschäftsführer Bernd Sieber: „Im Zusammenhang mit dem Gutachten kam es zu Verunsicherungen am Standort Radolfzell, das hat zu Kündigungen geführt.“ | Bild: Hanser, Oliver

Und Sieber hat eingeräumt, dass der Gesundheitsverbund die Häuser – also die Immobilien – in Singen und Radolfzell habe „verlottern“ lassen. Diese Vernachlässigung lieferte Sieber in Zahlen ab: Der Instandhaltungsbedarf für das Krankenhaus Radolfzell liegt bei 85 Millionen Euro, für das Hegau-Klinikum in Singen bei 105 Millionen Euro.

Für diese Zahlen sei ein Gutachten zum Sanierungsbedarf aus dem Jahr 2011 auf den heutigen Stand hochgerechnet worden. Seit diesem Gutachten habe sich kaum etwas verbessert, moderne Medizin sei in diesen Häusern kaum machbar, so Sieber.

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Diese Einschätzung und manch anderes mehr sorgte für Entrüstung in der Sondersitzung des Gemeinderats zur Schließung der Chirurgischen Ambulanz im Krankenhaus Radolfzell. OB Simon Gröger führte den Geschäftsführer in die Diskussion mit der Bemerkung ein: „Das war und ist eine schwer zu verdauende Information.“

Weit weniger diplomatisch reagierten die Stadträte. Sie waren erzürnt, dass sie die Nachricht von der Schließung der Ambulanz aus der Tageszeitung erfahren hätten. „So geht man nicht unter Partnern miteinander um, das ist ein Vertrauensbruch“, schimpfte Christof Stadler (CDU).

Eine Kündigung folgt der nächsten

Auch eine weitere Aussage von Bernd Sieber kam im Gemeinderat gar nicht gut an. Der Geschäftsführer des GLKN behauptete, Wolff Voltmer habe mit seiner Kündigung als Chefarzt Chirurgie in Radolfzell die Schließung der Chirurgischen Ambulanz ausgelöst. In dessen Folge habe ein weiterer Chirurg gekündigt und das Krankenhaus Radolfzell habe keinen Arzt mehr mit einer sogenannte BG-Zulassung für die Behandlung von Arbeitsunfällen gehabt. „Wir hätten Ärzte aus Singen nach Radolfzell bitten müssen und Engpässe auf zwei Seiten gehab, da haben wir lieber an einem Standort die umfassende Notfallversorgung zusammengezogen“, sagte Sieber.

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An diesem Punkt hagelte es Widerspruch von allen Seiten. Martina Gleich (CDU) empörte sich: „Das finde ich dreist, zu sagen, dass wegen Herrn Voltmer die Ambulanz geschlossen werden musste.“ Stadler schleuderte dem Geschäftsführer entgegen: „Warum gehen Ärzte? – Weil man ihnen keine Perspektive gegeben hat.“

Siegfried Lehmann konterte die Aussage des Geschäftsführers mit den Worten: „Dass die Kündigung von Dr. Voltmer zur Schließung der Chirurgischen Ambulanz geführt hat, das ist einfach nicht wahr!“ Voltmer habe mit dem Diabetologen Wolf-Rüdiger Klare im Krankenhaus Radolfzell das Fußzentrum aufgebaut. „Das war innovativ und hat funktioniert.“ Walter Hiller von den Freien Wählern unkte: „Zuerst werden die Strukturen abgebaut und dann kommen die Kündigungen.“

Wartezeiten in der Notfallversorgung in Singen

Ein weiterer Aspekt an dieser Schließung ist für die Radolfzeller Stadträte, dass sich die Notfallversorgung dadurch verschlechtert habe. „Was hilft uns eine Notfallversorgung in kommunaler Hand, wenn sie nicht funktioniert?“, fragte Siegfried Lehmann und spielte auf die Situation im Krankenhaus Singen an. Walter Hiller ergänzte: „Vier bis sieben Stunden Wartezeit sind schädlich für den Ruf des Krankenhauses Singen.

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Gabriel Deufel, Stadtrat der Freien Wähler, schilderte seine Erfahrungen als Rettungssanitäter beim Roten Kreuz. Auch eine Wundversorgung am Krankenhaus Radolfzell sei nicht mehr möglich. Neulich habe er eine Bewohnerin eines Pflegeheims wegen einer Platzwunde nach einem Ausrutscher beim Abendessen nach Singen in die Notaufnahme des Hegau-Klinikums fahren müssen.

Der Abend sei vorangeschritten, „der Rettungsdienst geht und kommt, die Dame sitzt immer noch da“. Um ein oder zwei Uhr morgens sei die Bewohnerin dann vom Krankentransport zurück nach Radolfzell gefahren worden. „Das ist kein Einzelfall, das ist ständig so.“ Und nicht nur den Krankenhäusern fehlten die Mitarbeiter, „im Land fehlen bis zu 800 Rettungssanitäter“, berichtete Deufel.

Auch Klare widerspricht Sieber

OB Gröger erteilte auch Wolf-Rüdiger Klare das Wort, der ehemalige Chefarzt forderte den Geschäftsführer des GLKN auf, die Themen klar zu benennen: „Ich finde es nicht ok, wenn die strukturellen Veränderungen dem Personal angelastet werden“, kritisierte Klare. Sieber habe die Aufgabe ein bankrottes Unternehmen zu sanieren: „Zum Sanieren gehört, dass ein kleiner Standort geschlossen wird, um Kosten zu sparen“, folgerte Klare.

Der ehemalige Chefarzt Wolf-Rüdiger Klare: „Ich finde es nicht ok, wenn die strukturellen Veränderungen dem Personal angelastet ...
Der ehemalige Chefarzt Wolf-Rüdiger Klare: „Ich finde es nicht ok, wenn die strukturellen Veränderungen dem Personal angelastet werden“ | Bild: WRK privat

In Radolfzell sei ein Fuß-Schwerpunkt mit überregionaler Bedeutung aufgebaut worden, aber das habe keine Rolle gespielt, weil es andere Ziele gebe. Klare kritisierte, dass ein medizinisches Konzept für die Zeit nach der Aufgabe des Standorts fehle: „In Radolfzell sollte ein Plan für ein Medizinisches Versorgungszentrum entwickelt werden“, empfahl Wolf-Rüdiger Klare.