In Radolfzell ist man nicht nur stolz auf die Hausherren, den See und das Münster. Auch die vielen Musikerinnen und Musiker sind für die Einwohner ein Grund, selbstbewusst auf ihren Heimatort zu blicken. Radolfzell liegt nicht nur am Bodensee, sie ist auch selbsternannte Musikstadt. Ein wichtiger Grund für die hohe Anzahl an überaus talentierten Musizierenden ist die Musikschule, in der die meisten ihre musikalische Karriere beginnen. Doch diese Einrichtung wird bald teurer.

Grund dafür ist ein juristisches Urteil aus dem Jahr 2022, das so genannte Herrenberg-Urteil. Darin erklärt das Bundessozialgericht, dass die Beschäftigung von Honorarkräften praktisch rechtswidrig ist. Musiklehrer müssen nun eine feste Anstellung an der Musikschule erhalten. Für Radolfzell bedeutet dies insgesamt einen Stellenaufbau von 4,85 Stellen für Lehrkräfte zum 1. September. Und wenn es mehr Festangestellte gibt, steigen auch die Personalkosten, die die Gebühren für die Musikstunden beeinflussen.

Der Musikunterricht in Radolfzell wird teurer, da die Musikschule keine Honorarkräfte mehr beschäftigen darf.
Der Musikunterricht in Radolfzell wird teurer, da die Musikschule keine Honorarkräfte mehr beschäftigen darf.

Mit der Entscheidung nach mehr Personal für die Musikschule tat sich der Gemeinderat in seiner jüngsten Sitzung sichtlich schwer. Denn für die strapazierte Stadtkasse sind die Mehrkosten allein für das Jahr 2024 in Höhe von fast 60.000 Euro eine erhebliche Belastung. Betrachtet auf ein Jahr, verdoppeln sich die Kosten für die Honorarkräfte. Bisher hat die Beauftragung der 18 Honorarkräfte die Stadt 179.600 Euro gekostet.

Honorarkräfte decken ein Drittel des Unterrichts ab

Diese Kosten steigen mit den fast fünf neuen Vollzeitstellen auf 358.900 Euro pro Jahr. Mehreinnahmen durch Zuschüsse des Landes beziffert die Stadt auf 22.143 Euro. Bleiben also pro Jahr 157.157 Euro Mehrkosten für die Stadt Radolfzell. Etwa ein Drittel des Unterrichtsangebotes der Musikschule werde von Honorarkräften abgedeckt. Laut Sitzungsvorlage bieten Honorarkräfte 160 der etwa 450 Jahreswochenstunden an.

Qualität und Ruf könnten leiden

Würde sich Radolfzell das Geld sparen wollen, hätte dies nachhaltige Konsequenzen für das musikalische Angebot der Stadt. Für ein Orchester wichtige Instrumente könnten nicht mehr angeboten werden. Langfristig könnten dann Ensembles der Musikschule nicht mehr aufrechterhalten werden. Auch für andere Musik-Formationen und Gruppen der Stadt hätte dies Konsequenzen.

Die städtische Musikschule in Radolfzell.
Die städtische Musikschule in Radolfzell. | Bild: Marinovic, Laura

Und letztlich auch für den Schulbetrieb der Musikschule, weil dann Einnahmen wegfallen. Die Radolfzeller Musikschule könnte ihren guten Ruf und die Bedeutung in der Stadt verlieren, so eine Befürchtung der Stadtverwaltung und des Gemeinderates. Auch die Änderung der Trägerschaft der städtischen Musikschule in einen Verein hat der Gemeinderat abgelehnt, um weiterhin die Qualität der Ausbildung auf diesem Niveau zu halten.

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Die Vorteile für die Stadt liegen auf der Hand, doch bedeutet diese Entscheidung auch höhere Kosten für Familien, die ihre Kinder in die Musikschule unterrichten lassen. Laut einem Gemeinderatsbeschluss von 2020 ist ein Kostendeckungsgrad von 50 Prozent für die Gebühren vorgesehen. Die Gebühren sind in den vergangenen Jahren stufenweise angehoben worden und befinden sich aktuell bei 43,3 Prozent. Eine weitere Erhöhung stünde also planmäßig ohnehin an.

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Kostendeckungsgrad sackt deutlich ab

Durch die steigenden Kosten der zusätzlichen Stellen rutscht der Kostendeckungsgrad allerdings auf 35,5 Prozent. Sollte der Gemeinderat auf seinen Beschluss beharren, einen Kostendeckungsgrad von 50 Prozent erreichen zu wollen, stünden drastische Gebührenerhöhungen für Familien ins Haus. Die Gebühren für den Musikunterricht würden für die Schülerinnen und Schüler und deren Eltern um mehr als 57 Prozent steigen. Doch davon rät die Stadtverwaltung ab. Nicht allerdings von einer Gebührenerhöhung an sich. „Diese muss leider sein“, sagt Bürgermeisterin Monika Laule.

Das Jugendblasorchester der Stadtkapelle ist für viele Musikschülerinnen und -schüler der Radolfzeller Musikschule die erste ...
Das Jugendblasorchester der Stadtkapelle ist für viele Musikschülerinnen und -schüler der Radolfzeller Musikschule die erste musikalische Heimat. Die meisten JBO-Musikerinnen- und -musiker haben ihr Instrument in der Musikschule erlernt. | Bild: Petra Reichle

Wie diese allerdings aussehen werde, das würde Stadtverwaltung, Musikschulleitung, Elternbeirat und Förderverein der Musikschule gemeinsam erarbeiten und nach der Sommerpause für das Schuljahr 2025 verabschieden. Ziel sei es, einen höheren Kostendeckungsgrad zu erreichen, ohne den Musikunterricht zu einem Luxusgut für Besserverdiener werden zu lassen, so Laule.

Gemeinderat will nicht am Unterricht sparen

Die Qualität der Musikschule lag auch den Stadträten am Herzen. Und nicht nur das, auch für die Lehrkräfte verbessere sich die Situation durch einen festen Arbeitsvertrag. „Das ist gut für die Rente der Lehrer“, fasst Dietmar Baumgartner (Freie Wähler) zusammen. Und auch Gabriel Deufel, nicht nur Freie Wähler-Stadtrat, sondern auch Vorsitzender der Stadtkapelle Radolfzell, möchte nicht am Angebot der Musikschule sparen: „Die Musikschüler von heute sind die Ehrenämtler von morgen“, so Deufel.

Siegfried Lehmann (FGL) kritisierte die Dauer, die zwischen Urteil des Bundessozialgerichts im Jahr 2022 und dieser Sitzungsvorlage vergangen war. „Das ist ein gut abgehangenes Urteil“, so Lehmann. Jetzt müsse man diese Entscheidung „hopplahopp“ treffen. Auch er sprach sich dafür aus, die neuen Stellen zu schaffen, sah aber auch die große Herausforderung, eine Gebührenordnung zu erlassen, die den Unterricht auch in der sozialen Breite ermöglichen könne.