Für eine nachhaltige Entwicklung braucht es neue Konzepte, Kompromisse zwischen unterschiedlichen Interessenlagen und oft auch Verzicht. Die Insel Reichenau ist dafür ein gutes Beispiel. Weil die Flächen begrenzt sind und der Welterbe-Charakter bewahrt werden soll, haben die Verantwortlichen den Wohnbau auf der Insel eingeschränkt und wollen diesen nun verstärkt aufs Festland verlagern. So wie das einige Gemüsegärtner auch schon machen.
Doch wie soll die Entwicklung weitergehen?
Darum ging es in der mit rund 120 Bürgern sehr gut besuchten Podiumsdiskussion „Grenzen des Wachstums auf der Reichenau“, die von Jörg-Peter Rau aus der SÜDKURIER-Chefredaktion moderiert wurde. Für die Veranstalter warf der SPD-Vorsitzende Christian Baranowski die Frage auf, ob Wirtschaftswachstum mit einer nachhaltigen Entwicklung vereinbar sei. Gabriel Henkes von den Grünen und der Freien Liste Natur meinte, man dürfe bei Nachhaltigkeit nicht in erster Linie fragen, ob diese rentabel sei.

Wo sind Grenzen des Wachstums? Johann Roth sagte, Wohlstand basiere auf Wirtschaftswachstum. „Es geht nicht darum, Wachstum fallen zu lassen, aber eine neue Richtung einzuschlagen“, hin zu mehr Qualität und innovativer Technik. Manuel Oestringer betonte, Wirtschaftswachstum bedeute Ressourcenverbrauch, und das sorge für ökologische Probleme.
Gabriele Wülfers mahnte: „Veränderungen müssen sozial verträglich sein.“ Stefan Niethammer erklärte, nur auf Menge und billige Preise zu setzen, führe in eine Abwärtsspirale. Claudius Marx sagte, die Frage sei, was wachsen solle und was nicht. Und er betonte: „Die Wirtschaft sind wir. Es geht um unser Verhalten. Und es geht um die Ressourcenverteilung.“ So auch bei Wohnfläche.
Wie geht das in Reichenau?
Müller erklärte, die Gemüse-Genossenschaft setze zum einen auf höherwertige Produkte und auf Bioanbau, der 50 Prozent des Umsatzes ausmache, wobei man dort eine Wachstumsgrenze spüre, weil Kunden fehlen. Oestringer regte an, wenn Flächen knapp und oft in Privateigentum seien, sollte die Kommune möglichst Flächen kaufen, um selbst bestimmen zu können.
Roth meinte: „Wir können nicht formulieren: Wir haben eine absolute Grenze. Wir müssen uns sorgsam entwickeln.“ Es gehe um die Verhaltensweise eines jeden und das Zusammenbringen von Interessen. Die Kommune könne in die richtige Richtung lenken – so auch beim Neubaugebiet Lindenbühl-West.
Bürgermeister Wolfgang Zoll erklärte dazu, die Gemeinde versuche hier, eine gerechte Verteilung von Wohnraum zu erreichen, und übe durch sozialen Wohnungsbau auch Verzicht. Niethammer schlug ein großes Parkhaus am Bahnhof vor und eine bessere Busverbindung auf die Insel.
Oestringer brachte zur Verringerung des Individualverkehrs die Idee mit einer Schranke am Inseldamm wieder ins Gespräch. Dazu meinte der Bürgermeister ablehnend: „Wir sind kein Museum, wir sind ein lebendiges Gemeinwesen.“ Marx regte an, die Wärmeenergie des Bodensees zu nutzen. Zoll erklärte, das wolle man versuchen.
Was sagen die Bürger dazu?
Ein Mann meinte, ein Weiter-so werde nicht gehen. Man werde den Wohlstand nicht erhalten können. Die frühere Gemeinderätin Ines Happle-Lung sagte, ähnliche Diskussionen führe man seit 30 Jahren. Es brauche Visionen und Rahmenbedingungen durch die Politik. Doch bei guten Ansätzen würden Verwaltung und Gemeinderäte oft wankelmütig.
Der frühere Gemeinderat Michael Huber meinte, das Entwicklungskonzept der Gemeinde sei fundiert, aber das müsse konsequent durchgezogen werden, um Probleme zu lösen. Matthias Middendorff von den Grünen meinte, es würden zu viele Ressourcen verbraucht, da brauche es eine bessere Verteilung.



Wie lautet das vorläufige Fazit?
Müller sagte, er wolle das Welterbe im Sinne des Gemüsebaus erhalten. Oestringer wartet auf eine Strategie zur Erreichung der Klimaschutzziele. Marx meinte, die Verantwortlichen in der Gemeinde hätten bisher die Interessen gut abgewogen.
Niethammer sieht trotz widerstrebender Interessen die Chance, als Gemeinwesen „etwas noch Schöneres“ zu schaffen. Roth schlug vor, das Entwicklungskonzept um ein Kapitel zur Nachhaltigkeit zu erweitern. Rau zeigte sich beeindruckt, wie lange und engagiert das Reichenauer Gemeinwesen diesen Diskurs schon führe.