Die NSDAP hatte zumindest vor der Machtergreifung im Jahr 1933 wohl keine Mehrheit auf der Insel Reichenau. Das haben die Nachforschungen des Historikers Gert Zang ergeben. Die NS-Bürgermeister hätten demnach viele als Fremdherrscher empfunden. Doch der zum 1. August 1936 von der Partei eingesetzte Eugen Maier (1900-1945) habe dennoch als souveräner Herrscher gegolten, sagt Jürgen Klöckler, Leiter des Konstanzer Stadtarchivs.

„Ein überzeugter Nationalsozialist“

Maier war zuvor Stadtrat in Konstanz gewesen, wobei dieser Titel laut Klöckler damals nicht wie heute ein gewähltes Ratsmitglied meinte. Vielmehr sei Maier in der Stadt Ersatzbürgermeister gewesen. Zudem war er Kommunalreferent der NSDAP-Kreisleitung und bestens vernetzt. Es sei also nur eine Frage der Zeit gewesen, wann er in einer Gemeinde die Verantwortung übertragen bekommt. Historiker Zang meint: „Maier war ein hundertprozentig überzeugter Nationalsozialist.“

Und nur gelegentlich gab es damals Kritik am Bürgermeister. Wer nicht konform war, habe sich wohl eher weggeduckt oder funktioniert. Es sei zwar nicht aktenkundig, dass jemand in ein Konzentrationslager deportiert worden sei. Aber es habe mehrere Fälle gegeben, in denen der Bürgermeister ihm unliebsame Männer zum Militär schickte – obwohl sie eigentlich als für den Krieg unabkömmlich gestellt waren.

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Einmal sei ein Maurer betroffen gewesen, der wohl Alkoholiker war. Dieser sei dann schwer verwundet zurückgekehrt – ohne Beine, berichtet Zang. Nachkriegsbürgermeister Karl Beck, unter Maier Gemeinderechner, beschuldigte den Nazi-Bürgermeister in Zeugenaussagen nach dem Krieg und habe unter anderem dies berichtet. Andere Leute, etwa Lehrer, die ihm nicht ins Nazi-Weltbild passten, habe er von der Insel vertrieben.

Für Gemüseanbau und Vermarktung

Maier gab sich zum einen als Modernisierer. In einem Brief aus dem Jahr 1939 schrieb er, dass gerade in den kleinen Gemeinden nun der Fortschritt einkehren werde. So forcierte er massiv den Gemüseanbau und die Vermarktung auf der Reichenau – und dies rigoros.

Dafür habe er genügend Arbeitskräfte gebraucht, so Zang. Mit der zunehmenden Aufrüstung sei der Arbeitsmarkt aber leer gefegt gewesen. Deshalb habe Maier eine recht große Zahl an Kriegsgefangenen aus Polen und Russland als Arbeitskräfte geholt. „Die hat er gelegentlich gezüchtigt“, berichtet Zang. Das heutige Jugendzentrum sei einst eine Baracke gewesen, in der russische Gefangene hausten.

„Ich will die Kirche zurückdrängen“

Auch der Einfluss der katholischen Kirche war dem Nazi-Mann ein Dorn im Auge. Der Konstanzer Historiker Arnulf Moser schrieb 2007, Maier habe aktive Kirchenmitglieder bekämpft und angekündigt, Feldkreuze durch Hitler-Standbilder zu ersetzen. Zang berichtet, dass Maier sogar öffentlich gesagt habe: „Ich will die Kirche hier zurückdrängen.“

Kindergarten und Krankenpflege habe er den Ordensschwestern entzogen. Bei einem Volksfest soll Maier gesagt haben: „Wir nehmen uns den Menschen vom Mutterleibe bis zum Grabe.“ Zang bewertet die Platzierung des heute noch stehenden Kriegerdenkmals für die Reichenauer Gefallenen des Ersten Weltkriegs in der Sichtachse zum Münster als „Stein gewordene Kampfansage an die katholische Kirche“.

Das Kriegerdenkmal ließ der Nazi-Bürgermeister 1939 in der Sichtachse des Münsters errichten – eine Kampfansage an die katholische ...
Das Kriegerdenkmal ließ der Nazi-Bürgermeister 1939 in der Sichtachse des Münsters errichten – eine Kampfansage an die katholische Kirche. | Bild: Thomas Zoch

Die Nazi-Weltanschauung sei bei der Feier für das neue Denkmal im Frühjahr 1939 zum Ausdruck gekommen. Im Fackelschein seien die Namen der Opfer einzeln aufgerufen worden – und jeweils ein Hitlerjunge habe darauf mit „hier“ antworten müssen, als wären sie die lebendige Verkörperung der Toten. „Man kann es zuspitzen: Der Einzelne zählt nichts, das Volk alles“, meint Zang, der darin „die ideologische Fundierung der bedenkenlosen Kriegsführung“ sieht. Und dies sei – neben der Rassenlehre – die Ursache für Millionen von Toten.

Durchhaltereden bis zum Schluss

Zang erklärt zudem: „Maier hat bis zum Schluss Durchhaltereden gehalten.“ Stadtarchivar Klöckler berichtet, dass sich der Reichenauer Nazi-Bürgermeister unmittelbar vor dem Einmarsch französischer Kampftruppen Ende April 1945 in das Rathaus nach Allensbach begeben habe, um dort vermeintlich militärischen Widerstand zu leisten.

Der Pfarrer von Niederzell habe darüber am 13. Oktober 1946 an das Freiburger Ordinariat berichtet: „Der Bürgermeister hatte zur Verteidigung der Insel den Volkssturm aufgerufen. Es war aber ausgemacht, es so oder so unmöglich zu machen. Plötzlich ward er nicht mehr gesehen. Er und andere Kumpanen wurden – wie man hörte – drüben in Allensbach im dortigen Rathaus nächtlicherweise schlafend im Rausch entwaffnet.“

Tod im Gefängnis mit 45 Jahren

Eine andere Version schilderte Historiker Moser 2007 unter Berufung auf Karl Becks Aussage. „In den letzten Kriegstagen ging Maier zum Volkssturm. Als er kurz vor dem Einmarsch der Franzosen zurückkehrte, ließ ihn der vom Landrat eingesetzte Vertreter Karl Honsell auf dem Rathaus festnehmen und schickte ihn mit einem Polizisten Richtung Konstanz, mit der Weisung, ihn auf dem Festland laufen zu lassen.“ Doch er sei von den Franzosen in Konstanz verhaftet worden.

Über die letzten Tage des Nazi-Bürgermeisters berichtet Klöckler, Maier habe sich mit dem Leiter des Konstanzer Gesundheitsamts, dem Medizinalrat Ferdinand Rechberg, in einem Gefängnis nahe Paris eine Zelle geteilt. „Dort verstarb er mit 45 Jahren, nicht ohne sich die Sterbesakramente der katholischen Kirche spenden zu lassen. Es lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren, ob infolge erlittener Misshandlungen oder durch Typhus.“ Zang meint, er sei schon zuvor krank gewesen. Wie auch immer: Eugen Maier, der sich gern als „erster nazistischer Vorkämpfer im Bodenseegebiet“ gerühmt hatte, starb vor 75 Jahren am 30. August.

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