Ein modernes Business-Hotel im Herzen von Singen. Das war der Plan. Mit über 30 Metern Höhe und einer Kapazität von mehr als 60 Betten sollte Singens neues Aushängeschild so viele Gäste an die Hauptstraße locken, dass diese ihrem Namen endlich gerecht wird. Dieses Ziel wurde neun Monate vor der Eröffnung der Unterkunft, im September 1967, im SÜDKURIER festgehalten. In dem Artikel von damals heißt es: "Das neue Hochhaus wird das Stadtgesicht wesentlich mitbestimmen." Zumindest dieser Teil des Plans sollte aufgehen.

Was aber weder der SÜDKURIER noch die Erbauer wissen konnten: Das Hotel Continental würde schon nach weniger als einem halben Jahr Konkurs anmelden. Und die Menschen, die das Hochhaus danach bevölkerten, waren nicht unbedingt geeignet, seinen Ruf als Aushängeschild aufrechtzuerhalten. Stripperinnen, Arbeitslose, Süchtige und Kriminelle, Glücksspieler, Prostituierte und Polizisten. Sie alle gingen in den nächsten fünf Jahrzehnten im Conti ein und aus. Schließlich entschloss sich die Stadt dazu, die einzelnen Wohnungen des Gebäudes aufzukaufen. Und nachdem es zuletzt ein ganzes Jahr lang leer stand, begann man im April 2018 damit, das zum Schandfleck verkommene Hochhaus dem Erdboden gleichzumachen.

Nicht einmal ein halbes Jahr dauerten die Arbeiten an der Ecke Bahnhofstraße/Hauptstraße an. Seit August ist vom ehemals höchsten Haus von Singen nicht viel mehr übrig als Staub. Zeit, um zurückzublicken auf fünf Jahrzehnte Conti. Dazu hat sich der SÜDKURIER mit zwei Männern unterhalten, die das Haus von ganz unterschiedlichen Seiten betrachten konnten: Ein Nachbar und ein Polizist.
Zwei Paar Handschuhe eingepackt
"Jeder Polizist in Singen war mindestens einmal im Conti", ist sich Bernd Schmidt sicher. "Dienstlich wohlgemerkt", beeilt er sich, nachzuschieben. Über kurz oder lange habe es immer einen Einsatz im Gebäude des ehemaligen Hotel Continental gegeben. "So klingt es besser", sagt er und lacht. Schmidt ist stellvertretender Leiter der Pressestelle des Polizeipräsidiums Konstanz. Bis vor einigen Jahren war der Mann mit dem Schnauzbart als Drogenfahnder in der Hegau-Metropole im Einsatz – häufig auch im Conti.
Mord und Totschlag habe es dort nicht gegeben, aber umso häufiger Streitigkeiten, Feueralarme und Schlägereien. "Als unten im Conti noch ein Nachtklub drin war, gab es häufiger Stress, weil Kunden nicht bezahlen wollten", erinnert er sich. In den Wohnungen über dem Etablissement hätten sich erst peu à peu Probleme ergeben, meint Bernd Schmidt. "Das Umfeld hat sich verändert: Irgendwann hatten wir es mit überwiegend schwierigem Klientel zu tun", blickt er zurück.

Gerade in den letzten zehn Jahren des Conti sei man öfter wegen Rauschgift-Delikten vor Ort gewesen. "Das Gebäude hat sich für Kleindealer angeboten, unter anderem weil es dort zahlreiche Verstecke gab", berichtet Schmidt. In den Einzimmerwohnungen, im Keller, im Treppenhaus, unter Wasserrohren, in Hohlräumen und Ritzen: Überall habe es in dem neunstöckigen Gebäude Möglichkeiten gegeben, etwas zu verbergen.
Erschwerend kam hinzu, dass es im Conti nicht gerade gut gerochen hat. Einige Bewohner hätten in den Aufzug, den Keller oder ins Treppenhaus gepinkelt, erinnert sich Schmidt. Eine Situation, die nicht nur den Spürhunden zu schaffen machte: "Einsätze im Conti waren bei uns nicht unbedingt von Freude begleitet", erzählt der Polizeibeamte. "Wenn man wusste, es geht wieder hin, hat man lieber ein zweites Paar Handschuhe eingepackt."
Strafe direkt vor Ort erhalten
Aber – und das ist ihm wichtig: "Es haben auch viele anständige Leute im Conti gewohnt." In den oberen Stockwerken hätten die Ermittler nur selten zu tun gehabt. Schmidt erinnert sich trotzdem an einige kuriose Episoden, die er und seine Kollegen in Zusammenhang mit den Bewohnern erlebt haben. Zum Beispiel, wenn es nach Straftaten darum ging, im Conti Zeugen zu finden. "In einem dieser Fälle ist ein Kollege zufällig in eine massive Messi-Wohnung gestolpert", erinnert sich Schmidt. "Die war so vollgestopft, dass das Betreten unmöglich war. Es gab kein Durchkommen."
Von einem anderen Beamten weiß Schmidt, dass eine Frau im Conti sexuell belästigt wurde. "Sie schrie um Hilfe und rief so die Nachbarn auf den Plan." Als der Täter versuchte zu verduften, hätten sie sich den Mann geschnappt. "Bis die Polizei da war, hatten sie ihn schon so vermöbelt, dass er nicht mehr sprechen konnte. Er hat seine Strafe quasi direkt vor Ort erhalten."
Ja, die Polizisten haben einiges erlebt zwischen den Betonmauern von Singens vielleicht spannendstem Gebäude. "Der Satz: Die Polizei war wieder im Conti, hat in der Stadt niemanden überrascht", meint Schmidt und schmunzelt. Er ist sich sicher, dass das Conti sogar weit über die Ortsgrenzen hinaus bekannt war. "Nach dem Hohentwiel war es das zweite Wahrzeichen von Singen", sagt der Polizeisprecher. Und trotzdem: "Ich weine dem Conti keine Träne nach!"
Blick aus der Nachbarschaft
Auch Willi Albrecht hat das Conti überlebt. Von der Terrasse seines Hauses in der Scheffelstraße konnte er als junger Mann dabei zusehen, wie das Hotelgebäude zwischen 1967 und 1968 Stockwerk um Stockwerk in die Höhe schoss. Vom gleichen Standort aus hat er in den vergangenen Monaten den Abriss des Conti verfolgt. „Der Abbau war lauter als der Aufbau“, meint der 81-Jährige.

Auch wenn das Conti sich im Laufe der Zeit zu einem sozialen Brennpunkt entwickelte, ihn als Nachbarn hätten das Hochhaus und seine Bewohner nicht wirklich gestört. An die Zeit, als die legendäre Mama Rosa einzog und im Erdgeschoss von Singens damals einzigem Hochhaus einen Stripclub eröffnete, hat Albrecht sogar positive Erinnerungen. "Da konnte man leicht bekleidete Frauen sehen – gerade für die Jungen war das doch eine echte Sensation", sagt er und lächelt vergnügt. "Das erste Nachtlokal in Singen."
Und auch, wenn es erst mal ungewöhnlich klingt: Gerade im Advent war im Conti der Teufel los. "Als junger Fotograf war ich öfters auf größeren Firmen-Weihnachtsfeiern im Einsatz", erklärt Willi Albrecht. "Damals wurde das Weihnachtsgeld noch bar ausbezahlt – und meistens endeten diese Feiern im Conti", erinnert er sich. "Vermutlich wurde das ganze Geld direkt wieder verprasst", meint Albrecht und lacht.
Der Niedergang
Weniger lustig sind die Erinnerungen, die er an die letzten Jahren hat, in denen die Mietwohnungen des Hochhauses bewohnt waren. Albrecht weiß noch, wie an einem Vormittag ein Kunde in sein Fotogeschäft geeilt kam. Der Mann sei aus Stuttgart nach Singen gekommen, weil er zuvor eine Wohnung im Conti gekauft hatte. "Er fand die Wohnung dann aber in so einem fürchterlichen Zustand vor, dass er davon Bilder haben wollte."
Albrecht folgte dem Mann. Was er in der Wohnung im Conti erblickte, bringt ihn heute noch aus der Fassung. "So eine Sauerei, so ein Dreck – es war eine Katastrophe", erinnert sich der 81-Jährige. "Da musste man sich fast übergeben."
Inzwischen ist Willi Albrecht längst im Ruhestand. Wenn er von seiner Terrasse aus in Richtung Hauptstraße schaut, dann erinnert nichts mehr daran, dass hier einmal ein Hochhaus in den Himmel ragte. Das Loch, das der Conti-Abriss hinterlassen hat, wird derzeit von der Firma Schotterteufel zugeschüttet.

Bis die Stadt sich endgültig entschieden hat, was mit dem neu gewonnen Platz passieren wird, soll zunächst ein Parkplatz auf dem Gelände errichtet werden. Eine saubere Lösung. Und trotzdem, packen so manchen Hegauer nostalgische Gefühle beim Gedanken an die Vergangenheit.
"Mit dem Conti verschwindet ein Teil Singener Geschichte", findet zum Beispiel die Regisseurin Susanne Breyer. Sie hat die lebhafte Historie des Hochhauses 2015 und 2016 mit der Theatergruppe Pralka noch einmal am Originalschauplatz aufleben lassen.

Und damit dieser spannende Teil Singener Geschichte nicht vollends verloren geht, hat sie ein Buch über das Conti erarbeitet. Ende September findet in der Buchhandlung Greuter die Buchtaufe statt – nur wenige hundert Meter entfernt von dem Ort, an dem Singens modernstes Hotel vor ziemlich genau 50 Jahren eingeweiht wurde.
Abriss der Conti-Historie
Das Hochhaus wird vor etwas mehr als 50 Jahren erbaut. Im Erdgeschoss und bis zum dritten Stock ist ab Mai 1968 das namensgebende Hotel Continental untergebracht. Im übrigen Haus befinden sich Wohnungen. Nachdem die modernste Gästeunterkunft Singens aber schon nach fünf Monaten Konkurs anmeldet, zieht das Rotlicht ein. Sogenannte Kabarett-Tänzerinnen locken ab den 70er-Jahren die Männer der Region an - unter anderem auch viele Schweizer. In Singen macht schnell das Gerücht die Runde, dass die Damen die Kunden des Strip-Lokals gegen Geld zu sich aufs Zimmer nehmen. Später quartiert die Stadt soziale Härtefälle in einem Teil der Wohnungen ein. Am Ende wird das Gebäude als Obdachlosenunterkunft genutzt. Im März 2017 zieht die letzte Familie, die im Conti gelebt hat, aus. Trauriger Höhepunkt der Hochhaus-Historie: Als ein alkoholisierter Mann aus einem der mittleren Geschoße fällt, auf dem Vordach aufschlägt und stirbt.
Aus dem Stadtbild ausradiert
Die letzten, die sich zwischen den Betonmauern des Conti aufgehalten haben, waren die Abrissarbeiter der Firma Gerhäuser. Ihr Auftrag: Etage um Etage abtragen – bis von dem 30 Meter hohen Bauwerk nichts mehr übrig ist. "Am vierten April haben wir die Arbeit aufgenommen und am dritten August waren wir fertig", berichtet Andrea Gerhäuser. Vier Mitarbeiter der Firma und ein Kranfahrer halfen in dieser Zeit, insgesamt 5000 Tonnen Beton abzutragen.

"Pro Stock haben wir maximal zehn Arbeitstage gebracht", konstatiert Andrea Gerhäuser. Nur der Mai, mit seinen vielen Feiertagen, habe sich etwas zäher gestaltet. Auch Christian Kezic, Abteilungsleiter Gebäudemanagement der Stadt Singen, ist froh darüber, dass der Hochhaus-Abriss hinter ihm liegt. "Das entstandene Loch wird in den kommenden Tagen zugeschüttet", berichtet er. Ziel sei es vorläufig, einen Platz zu schaffen, der für Autos befahrbar ist: "Bis eine Nachfolgelösung realisiert ist, wird auf dem Conti-Gelände vorübergehend ein Parkplatz entstehen."