Wenn in der Robert-Gerwig-Schule (RGS) in Singen die Glocke zum Wochenende läutet und sich die Gänge leeren, herrscht in einigen Räumen doch noch Betrieb. Hier sitzen 92 Schüler zusammen und lernen neben Mathe, Deutsch oder Englisch auch einander kennen.

Es sind Teilnehmer eines neuen Projekts des Vereins für Integration in Singen (InSi): Gymnasiasten geben Flüchtlingen der Vorqualifizierungsklassen für Arbeit und Beruf (VAB-Klassen) Nachhilfe. Dabei sollen neben mehr Verständnis und guten Noten auch persönliche Kontakte entstehen. Bei der Premiere war die Nachfrage groß, zwischenzeitlich gab es mehr Nachhilfelehrer als -schüler.

Sie helfen, weil die anderen es nicht so leicht haben

In Raum 2016 stecken Larissa Kist und Shirah Ahmed Aaeni bereits die Köpfe zusammen. Sie haben sich vor wenigen Minuten erst kennengelernt, nun sieht sich die 16 Jahre alte Schülerin aus Worblingen, die die elfte Klasse besucht, die Unterlagen von Shirah Ahmed Aaeni an. Der 23-jährige ist vor einem Jahr und zwei Monaten aus Afghanistan nach Deutschland gekommen, inzwischen wohnt er in Konstanz. "Schön" findet er die persönliche Betreuung im Zuge des Nachhilfeprogramms, denn besonders bei Deutsch und Mathe brauche er Hilfe. "Ich finde es gut, den Schülern etwas beizubringen, weil sie es nicht so leicht haben", begründet Larissa Kist ihren Einsatz. Die VAB-Schüler hätten wenig Zeit, um viel zu lernen.

Das könnte Sie auch interessieren

Dass es beim Unterrichten und Integrieren von VAB-Schülern noch Nachholbedarf gibt, hat Dietmar Vogler nach eigenen Angaben zu diesem Projekt inspiriert. Wie der stellvertretende Vorsitzende von InSi sagt, würden sie zwar seit Jahren Angebote machen, aber damit nicht alle VAB-Schüler erreichen. Theoretisch treffen sich die Beteiligten bereits täglich auf dem Schulhof, wie RGS-Schulleiterin Karin Schoch-Kugler sagt. Doch die Nachhilfe gebe ihnen nun Gelegenheit, sich tatsächlich kennenzulernen. "Die Absicht ist auch, Freundschaften herauszubilden", sagt Manfred Hensler, Vorsitzender des Vereins InSi. "Das ist Integration, wie wir sie uns vorstellen", bekräftigt Vogler.

Dietmar Vogler (rechts) hat das Projekt initiiert und koordiniert, wer wem Nachhilfe gibt.
Dietmar Vogler (rechts) hat das Projekt initiiert und koordiniert, wer wem Nachhilfe gibt. | Bild: Tesche, Sabine

13 Klassen nach Interesse gefragt

Zuvor hat Dietmar Vogler nach den Weihnachtsferien fünf VAB-Klassen sowie acht Oberstufenklassen der Robert-Gerwig-Schule besucht und ihnen seine Idee geschildert. Innerhalb kurzer Zeit meldeten sich 46 VAB-Schüler für die Nachhilfe und 55 Wirtschaftsgymnasiasten als Nachhilfelehrer. Insgesamt hat Vogler nach eigenen Angaben 80 VAB-Schüler angesprochen – dass mehr als die Hälfte dabei ist, sei für ihn ein Erfolg.

Zum ersten Termin brachten die VAB-Schüler nun ihr Unterrichtsmaterial mit. So könne man sehen, wo es Wissenslücken gibt, erklärt der pensionierte Studiendirektor Dietmar Vogler. Die Einteilung der Teams erfolgte nach Fächerwünschen und Alter. Und so kommt es, dass Larissa Kist mit Shirah Ahmed Aaeni die deutsche Grammatik bespricht, während wenige Reihen entfernt Nadine Fack mit dem 20-jährigen Bereket Yemane aus Eritrea den Dreisatz durchgeht.

Gymnasiasten werden für Arbeit bezahlt

Für die RGS-Schüler werde der Lernstoff kein Problem sein: "Das müsste jeder Gymnasiast drauf haben", sagt Vogler. Die Nachhilfeschüler stammen aus verschiedenen VAB-Klassen, manche haben keine Vorkenntnisse und andere sind bereits fortgeschritten. Auch EU-Ausländer besuchen solche Klassen. Für die Gymnasiasten hat das Projekt einen positiven Nebeneffekt: Sie werden für ihre Arbeit bezahlt und erhalten zehn Euro pro Stunde.

Das könnte Sie auch interessieren
Das könnte Sie auch interessieren