
„Ich werde die Leichen unter meinem Keller vermissen!“ Nein, Sandra Schmidt ist keine Mörderin auf dem Weg ins Gefängnis. Und trotzdem meint die Frau aus Friedingen diesen Satz genau so, wie sie ihn sagt.
Der Grund: Erst vor wenigen Wochen wurden 49 Grabgruben auf Sandra Schmidts Bauplatz in der Schloßbergstraße entdeckt. Dort, wo seit den Zwanziger Jahren als Anbau an ein Wohngebäude eine Scheune stand und wo bald schon das Haus entstehen soll, das Sandra Schmidt mit ihrem Partner beziehen wird, hat man Skelettreste von an die 60 Frauen, Männern und Kindern geborgen.

Eine Axt als Vorzeichen
Das Faszinierende: Die Friedingerin hatte beinahe schon mit einem solchen Fund gerechnet. „Es gab immer diese Geschichten“, erinnert sich Sandra Schmidt an Gerüchte, die sie schon als Kind aufgeschnappt hatte.

Jürgen Hald bestätigt, dass man bereits 1982 bei Kanalisationsarbeiten in der Nachbarschaft eine spektakuläre Entdeckung machte. „Damals wurde ein Schädel und direkt daneben eine Axt gefunden“. Also doch ein Mord? Mitnichten. Denn auch Jürgen Hald ist nicht etwa Kriminalbeamter, sondern der zuständige Kreisarchäologe. „Bei der Axt hat es sich um eine sogenannte Franziska gehandelt, eine Wurfaxt aus dem Frühmittelalter“, erklärt er.

Nach zwei Minuten auf Knochen gestoßen
Zur gleichen Zeit, etwa 500 bis 600 nach Christus, muss auch das symmetrische Reihengräberfeld errichtet worden sein, dessen Spuren nach dem Scheunenabriss zu Tage traten. „Als die Archäologen zum Probeschürfen kamen, hat es keine zwei Minuten gedauert, bis sie die ersten Knochen gefunden hatten“, erinnert sich Sandra Schmidt. Das war Mitte Juli.

In den folgenden sechs Wochen war ein Team aus Mitarbeitern des Landesamts für Denkmalpflege, Ehrenamtlichen und Archäologie-Studenten rund um die Uhr damit beschäftigt, die Erde aufzuwühlen. Grabfeld um Grabfeld kam unter dem Kies zum Vorschein. Für Sandra Schmidt eine spannende Zeit. Besonders mit den Studenten der Universität Freiburg, die ursprünglich aus Hamburg und Berlin, einer sogar aus dem spanischen Cádiz stammten, habe sie schnell Freundschaft geschlossen.
Grabräuber schon damals
Was die Frauen und Männer zu Tage förderten, sind nicht weniger als die Überreste der ersten Einwohner Friedingens. „Deshalb ist dieser Fund sehr bedeutend für die Ortsgeschichte“, betont Jürgen Hald, der darauf verweist, dass die Siedlung erst etwa ein halbes Jahrtausend später urkundlich erwähnt wird. Auch aufgrund der historischen Bedeutung habe man den Fund nicht früher publik gemacht, erklärt der Archäologe. „Wir wollten verhindern, dass sich ungebetene Besucher an dem Gräbern zu schaffen machen.“
Grabraub gab es in Friedingen trotzdem – allerdings schon wenige Generationen nach der Errichtung der Gräber, wie Hald ausführt: „Die Alemannen müssen an ein Leben im Jenseits geglaubt haben. Neben einigen Frauenskeletten haben wir Glasperlen, Ohrringe und Nadeln aus Bronze gefunden.“

Männer habe man mit Lanzen ausgestattet. „Bei einem Großteil der in Friedingen gefundenen Gräber fehlt diese Ausstattung allerdings“, berichtet Jürgen Hald. „Sie muss bereits von Zeitgenossen gestohlen worden sein.“

Wie es weiter geht
Was man allerdings an Utensilien und Knochen auf dem Gelände gefunden hat, ist bereits nach Rastatt transportiert worden. Dort werden die Friedinger Funde ausführlich analysiert.
Die Chance, dass Sandra Schmidt ihre liebgewordenen Leichen unterm Keller wiedersieht, sind zwar eher gering, aber zumindest die Schmuckstücke und Waffen könnten in restauriertem Zustand wieder ihren Weg zurück in den Hegau finden. Jürgen Hald hält es für denkbar, dass das Leben der ersten Siedler Friedingens in Zukunft im Rahmen einer eigenen Ausstellung nacherzählt wird.
Die ersten Friedinger
Aufgrund des kalkgesättigten Bodens habe man die vorgefundenen Knochen in gut erhaltenem Zustand geborgen, berichtet Jürgen Hald. Der Kreisarchäologe geht davon aus, dass die Toten auf dem Gräberfeld in der heutigen Schloßbergstraße zwischen 500 und 600 nach Christus in etwa ein Meter tiefen rechteckigen Gruben beerdigt worden sind. Denkbar, dass es sich bei dem Feld nur um einen Teil eines größeren Friedhofs handelt. „Auffallend ist, dass alle mit Blick Richtung Osten beerdigt wurden“, sagt Hald. Er vermutet, dass die Verstorbenen zu Lebzeiten Teil der ersten Siedlergeneration waren, die Friedingen seinen Namen gab. Damals war der Ort noch kein Dorf, sondern ein Weiler und bestand aus vereinzelten hölzernen Bauernhäusern.