Allein in Singen gibt es 630 Kinder, die bei einem Elternteil wohnen. Deren alleinerziehende Eltern stehen vor zahlreichen Herausforderungen. Diese werden im Expertengepräch, geleitet von Grünen-Landtagsabgeordnete Dorothea Wehinger, zweimal jährlich thematisiert. Dabei ging es zuletzt „ans Eingemachte", wie die Abgeordnete sagte: Mit dem Singener Familienrichter Michael Knecht und Amtsdirektor Johannes Daun konnten Fragen rund um das Sorgerecht und den richterlichen Spielraum bei solchen Entscheidungen beantwortet werden. Zudem berichtete Nathalie Eichbaum aus ihrem Leben als alleinerziehende Mutter. Man wolle „nicht über Alleinerziehende reden, sondern mit ihnen“, betonte Dorothea Wehinger.
Für diese Alleinerziehende zählt jeder Cent
Um über die Runden zu kommen muss Nathalie Eichbaum jeden Euro umdrehen. Da der Kindsvater keinen Unterhalt zahlt, erhält sie einen Unterhaltsvorschuss vom Amt. Den erhält jedes Kind, das bei einem Alleinerziehenden lebt, wenn der andere Elternteil keinen oder zu wenig Unterhalt zahlt. Durch eine Neuerung des Gesetzes kann der Vorschuss nun bis zum 18. Lebensjahr bezogen werden, seitdem verdoppelte sich laut Wehinger die Anzahl der eingehenden Anträge. Durch den Vorschuss könne Nathalie Eichbaum ihren Kindern zusätzliche Dinge wie Spielzeug ermöglichen. Trotzdem müsse vorne und hinten gespart werden. „Wenn die Kinder mal einen Wachstumsschub haben und neue Klamotten brauchen, dann ist das Geld am Monatsende knapp“, berichtete Eichbaum. Ihr Sohn geht ins Fußball, die Tochter tanzt Hip Hop – da müsse sie sich oft selbst einschränken. Doch der Unterhaltsvorschuss gebe ihr Planungssicherheit.
Ein Richter mit wenig Spielraum und großen Entscheidungen
Wenn Michael Knecht einen Einblick ins Familienleben erhält, geht es meist ums Sorgerecht. Der Familienrichter befasst sich seit dem Jahr 2000 mit Familiensachen und blickt dabei mitunter in Abgründe, wie er schilderte. „Im Zentrum der Entscheidung steht immer das Kindeswohl“, so Knecht. Das Problem sei nur, dass Kindeswohl ein unbestimmter Rechtsbegriff ist, weswegen jeder Fall einzeln betrachtet werden müsse. Auf den ersten Blick habe er überhaupt keinen Spielraum, doch eine absolute Wahrheit gebe es nicht. „Keiner weiß, wie sich Menschen entwickeln“, begründete er. Seine Entscheidungen hätten mitunter gravierende dauerhafte Folgen, wenn etwa einem Elternteil das Sorgerecht entzogen wird. „Das ist, was mir das Familienrichter-Dasein schwer macht“, sagte Knecht. Schlussendlich wäge er alle Aspekte eines Einzelfalls ab, dabei zählen besonders die Kommunikations- und Entscheidungsfähigkeit der Eltern sowie gegenseitiger Respekt.
Beide Eltern dürfen Kind sehen – Sorgerecht hin oder her
Wichtig sei die Unterscheidung zwischen Sorge- und Umgangsrecht. Wenn ein Kind außerhalb der Ehe geboren wird, hat zunächst die Mutter das alleinige Sorgerecht. Später aber haben Eltern die Möglichkeit das gemeinsame Sorgerecht zu beantragen. „Alleiniges Sorgerecht bedeutet aber nicht, dass ein Elternteil keinen Umgang mit dem Kind hat“, sagte Claudia Nicolay vom Verein „Frauen helfen Frauen in Not“. Im Grundgesetz sei der „Schutz der Familie“ verankert, demzufolge jeder Mensch das Recht auf die Kennung der Familienmitglieder hat. Der Kindesvater habe trotzdem das Recht und die Pflicht, sein Kind zu sehen.
Konsensberatung kann helfen, bevor es eskaliert
In Deutschland wird laut Statistiken jede dritte Ehe geschieden und nach einer Trennung sind die Fronten oft verhärtet. Doch Konflikte müssen nicht eskalieren und auf seinem Schreibtisch landen, sagte Familienrichter Michael Knecht und empfahl eine Elternkonsensberatung. Dabei können beide Elternteile erst einzeln und dann gemeinsam mit Experten besprechen, wie sie weiterhin Eltern sein wollen. Denn das Ende einer Beziehung bedeute nicht das Ende einer Elternschaft. Ansprechpartner dafür sei etwa das Jugendamt.
Anders ist es bei häuslicher Gewalt
In manchen Fällen hilft jedoch auch keine Elternkonsensberatung. Claudia Zwiebel vom Singener Frauenhaus hat mit Frauen zu tun, die nach häuslicher Gewalt aus einer Beziehung flüchten. Sie hat den Eindruck, dass das im Sorgerechtsprozess häufig nicht berücksichtigt wird. Frauen, nur zehn Prozent der Gewaltfälle betreffen Männer, seien dann häufig eingeschüchtert. „Das muss das Gericht erfahren“, betonte Familienrichter Knecht beim Fachgespräch. Dem Gericht müssen konkrete Fälle mit Beweisen geliefert werden, um handeln zu können. Denn Gewalt entspreche sicher nicht dem Kindeswohl: „Ein Kind, das in der Familie Gewalt erlebt, lernt Gewalt“, so Knecht. Das bedeute eine Kindeswohlgefährdung.

Psychologische Beratung anordnen? Für den Richter keine Lösung
Um die Fälle von häuslicher Gewalt in Zukunft zu vermindern, schlug Landtagsabgeordnete Dorothea Wehinger eine psychologische Beratung für gewaltausübende Männer vor – am besten auf richterliche Anordnung. Doch Gewaltfälle sind außerhalb der Zuständigkeit des Familienrichters, der nach eigener Aussage auch nicht für die Aufarbeitung einer Beziehung sorgen kann.
Zuständig für Gewaltdelikte ist Johannes Daun als Leiter des Amtsgerichts Singen. Er stand Wehingers Vorstellung kritisch gegenüber, denn zu einer psychologischen Beratung könne man niemanden zwingen. Menschen, die ihr Problem selbst nicht erkennen, könne man schwer dazu zwingen. Frauenhaus-Vertreterin Claudie Zwiebel appellierte daher für einen Wandel im Umgang mit Gewalttätern: Sie müssten lernen, auf Augenhöhe mit ihrer Partnerin umzugehen. Wenn nicht über eine Therapie, dann sei vielleicht eine Männerberatungsstelle eine Alternative.
Das Wechselmodell
Wechselmodell bedeutet, dass Eltern sich mit der Betreuung ihres Kindes abwechseln. Das Kind wird im jeweils eigenen Haushalt eines Elternteils betreut und wechselt regelmäßig, beispielsweise für drei Tage pro Woche oder zwei Wochen im Monat, zum anderen Elternteil. Grünen-Landtagsabgeordnete Dorothea Wehinger berichtete über positive Erfahrungen aus ihrem Bekannten- und Familienkreis. “Das Wechselmodell kann funktionieren“, sagte auch Familienrichter Michael Knecht. Er hat jedoch mit Fällen zu tun, in denen das nicht so ist. Seine Erfahrung: Es braucht räumliche Nähe. Das Kind müsse eine Schule oder einen Kindergarten besuchen. Schon bei der Entfernung Singen nach Radolfzell wäre dies schwierig. Ein Wechselmodell benötige viel Kommunikation und funktioniere in der Regel nicht, wenn es aufgezwungen werde.