Viel Aufsehen erregt die AfD auch zehn Jahre nach ihrer Gründung. Doch wie viel Substanz hat ihre Politik? Was haben die Menschen in den Wahlkreisen konkret davon, wenn Sie von einem AfD-Abgeordneten in einem Parlament vertreten werden? Die Frage drängt sich auf, wenn Vertreter der Partei damit werben, dass alles besser werde, wenn man nur erst Teil der Regierung sei – wie bei einer Veranstaltung unter dem Titel Bürgerdialog in der Talwiesenhalle in Rielasingen-Worblingen Ende Juli. Neben viel Schimpferei über die momentane Politik auf allen Ebenen der Bundesrepublik und Parolen, die zumindest als rechtspopulistisch einzustufen sind, machte die Partei vor allem die Ankündigung, bei der Kommunalwahl im nächsten Jahr stärker antreten zu wollen.
In die Region wirken kann schon jetzt Bernhard Eisenhut, denn der AfD-Politiker sitzt seit 2021 für den Wahlkreis Singen im Landtag. Seine bisherige Arbeit dort bewertet er auf Anfrage als positiv. Andere Fragen, zum Beispiel zur Anzahl der öffentlichen Veranstaltungen, die er in seinem Wahlkreis angeboten hat, oder zu den Themen des Wahlkreises, die er im Stuttgarter Parlament vorangebracht hat, lässt er hingegen unbeantwortet. Stattdessen beklagt er, es werde versucht, die Partei auszuschließen.
Wie stark sein Engagement und das der beiden anderen Landtagsabgeordneten aus dem Wahlkreis Singen, Dorothea Wehinger (Grüne) und Hans-Peter Storz (SPD), ist, zeigt eine Analyse.
Wenige Anlässe, keine Adresse
Die Veranstaltung Ende Juli war jedenfalls einer der wenigen Anlässe, bei denen Eisenhut im größeren Stil öffentlich auftrat. Auch die Adresse seines Wahlkreisbüros, in dem Menschen ihm Anliegen vorbringen können, ist weiterhin nicht öffentlich bekannt.
Um seine parlamentarische Arbeit einzuschätzen, hilft ein Blick auf Eisenhuts Abgeordnetenprofil beim Landtag. Daraus geht hervor, dass er Schatzmeister des AfD-Kreisverbandes ist und seit 2019 im Konstanzer Kreistag sitzt, Sportschütze und selbstständiger Juwelier ist. Außerdem ist er im Landesparlament Mitglied im Ausschuss für Soziales, Gesundheit und Integration und im Ausschuss für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz. Außerdem ist aufgelistet, dass er allein oder mit anderen AfD-Abgeordneten 64 Initiativen eingebracht hat. Darunter fallen beim Landtag Kleine und Große Anfragen sowie Anträge von Abgeordneten. Unter dem Punkt „aktuelle Reden“ sind seit Beginn der Amtszeit zehn Reden verzeichnet.
Viel Fundamentalkritik an der Regierung
Hört man sich seine jüngsten Reden im Landtag an, so ist darin regelmäßig Fundamentalkritik an der Regierungsarbeit zu hören. Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie sprach Eisenhut etwa am 28. Juni in einer Aussprache zur Zukunft des ländlichen Raums vom „totalitären Wahn des Herrn Kretschmann und Herrn Lucha“. Die Test- und Impfkampagne als Erfolg zu bezeichnen, zeuge laut seiner Aussage von völligem Realitätsverlust.
Zum Vergleich: Das Robert-Koch-Institut (RKI) meldete bis zum Ende seiner Aufzeichnungen im April mehr als 172.000 Todesfälle in Deutschland in Verbindung mit einer Corona-Infektion. Und: Der Anteil der Verstorbenen an allen Corona-Fällen stieg demnach Einführung der Impfung zunächst tatsächlich von 1,93 Prozent (1. Januar 2021) auf 2,88 Prozent an einigen Märztagen 2021. Doch danach sank dieser Anteil kontinuierlich und lag zum Ende der Aufzeichnungen bei 0,45 Prozent. Zu Beginn der Corona-Pandemie im Jahr 2020 starben noch bis zu fünf Prozent der Erkrankten.

Als Frontalopposition dürfte auch dieser Satz zählen, gerichtet an die Regierung am 24. Mai in einer Aussprache zur Gründung einer Landespflegekammer: „Sie haben auf ganzer Linie politisch versagt.“
Und immer wieder geht es gegen Menschen mit Migrationshintergrund, zum Beispiel als Eisenhut in der Rede vom 19. Juli an die Regierung gewandt sagte: „Bauen Sie barrierefreie Wohnungen für Alte und Behinderte statt für Wirtschaftsflüchtlinge.“ Oder: „Geben Sie unser Geld endlich wieder für unser eigenes Volk aus“, aus der Debatte um die Pflegekammer. Applaus ist dafür jeweils nur von der AfD-Fraktion aufgezeichnet.
64 Initiativen sind seit Mandatsbeginn in Eisenhuts Abgeordnetenprofil verzeichnet. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Dabei ging es unter anderem um den Goldschakal und das Nachtangelverbot, um die Krankenhausfinanzierung und Corona. Und um Themen, die mit Migration und der Unterbringung von Flüchtlingen zu tun haben.
So schießt Eisenhut gegen den Bau der Leichtbauhalle für Flüchtlinge in Rielasingen-Worblingen und möchte in einer Kleinen Anfrage von Ende August wissen, wie viele der dort lebenden Menschen bereits aufgrund von Vorkommnissen polizeibekannt seien. Eine Stellungnahme der Regierung steht noch aus.
In einem Antrag gemeinsam mit anderen AfD-Abgeordneten forderte Eisenhut eine Verordnung, die Vergrämung oder Abschuss von Wölfen regelt – was das Umweltministerium in seiner Reaktion ablehnte, weil die Entnahme von Wölfen schon jetzt möglich sei. Und im Juni forderte er mit anderen die sofortige Einrichtung einer Telefonhotline für das Post-Vac-Syndrom, unter dem eine Reihe von Langzeitfolgen von Impfungen zusammengefasst werden. Das Sozialministerium sah daran allerdings keinen Bedarf und verwies auf die Regelversorgung von Kranken und den eigenen Austausch mit Selbsthilfegruppen und Betroffenen.
Grünen-Abgeordnete kommt 110 Veranstaltungen
Und wie blicken die anderen beiden Abgeordneten des Wahlkreises Singen, Dorothea Wehinger (Grüne) und Hans-Peter Storz (SPD) auf Eisenhuts Arbeit? Wehinger zählt 110 öffentliche Veranstaltungen seit März 2021, bei denen sie dabei war. 16 Veranstaltungen habe sie selbst für die Öffentlichkeit angeboten, dazu kämen viele Termine für Fachpublikum. Im Wahlkreis unterstütze sie den Wunsch der Jenischen nach einem Kulturzentrum in Singen.
Als Erfolge für sich und ihre Fraktionskollegen verbucht sie unter anderem die Durchzahlung der Sommerferien für befristet beschäftigte Lehrer oder den Direkteinstieg Kita für Quereinsteiger im Erzieherberuf. Hier habe sich Hartnäckigkeit und Nachbohren ausgezahlt. Die AfD im Landtag bezeichnet sie als „stark populistisch mit Gassenjargon“. Eisenhut sei aus ihrer Sicht nicht wahrnehmbar. Ihr Landtagsprofil zeichnet seit 2022 fünf Initiativen auf. Anfragen und Anträge, die für Oppositionspolitiker wichtig sind, sind allerdings auch nicht die vordringlichen Mittel von Regierungsarbeit. Bei Wehinger sind auch Beschlussempfehlungen an den Landtag verzeichnet. Unter dem Punkt aktuelle Reden sind seit Beginn der laufenden Amtsperiode 2021 acht Reden zu finden.
SPD-Mann Storz nennt klare Themenschwerpunkte
Storz kommt laut eigenen Angaben allein in der Zeit von Oktober 2022 bis September 2023 auf 96 öffentliche Termine in seinem Wahlkreis. 27 öffentliche Termine habe er allein oder mit der SPD angeboten und zählt weitere Aktivitäten auf wie Veranstaltungen der Initiative Stolpersteine. Als Themenschwerpunkte nennt Storz den Ausbau von Gäubahn und Bodenseegürtelbahn, die Reaktivierung stillgelegter Bahnlinien oder die Bedrohung des Bodenseefelchens.
Sein Abgeordnetenprofil zählt zehn Reden seit Beginn dieser Amtsperiode und 88 Initiativen auf – wobei Storz selbst die Anfragen und Anträge als vorrangiges Mittel der Oppositionsarbeit bezeichnet, mit denen man aus der Opposition heraus Themen präsent halten kann. Beide Politiker haben zudem kurz nach ihrer Wahl Büros eingerichtet, in denen sie oder ihr Team unkompliziert ansprechbar sind.
Als Oppositionspolitiker beklagt Storz allerdings, dass viele SPD-Anträge von der Regierung abgelehnt würden. Dennoch verbucht er die Zuwendungen für die Sanierung der Marienschlucht in Bodman-Ludwigshafen auch als seinen Erfolg. Er erlebe Eisenhut als nicht präsent im Wahlkreis, schreibt Storz. Inhaltliche Vorschläge kämen von ihm nicht, auch politische Probleme im Wahlkreis bearbeite Eisenhut kaum, schreibt Storz. Die AfD ordnet der SPD-Mann klar als rechtsextrem ein.
Die nächste Wahl, bei der die Wähler über den politischen Kurs abstimmen können, ist die Kommunalwahl im nächsten Jahr. Es bleibt abzuwarten, wie viel Zustimmung die Parteien und ihre Vertreter jeweils für ihre politische Arbeit erhalten.