Die Zahlen gehen nun in schnellem Tempo nach oben: Es gibt immer mehr Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine flüchten und in Deutschland ankommen. Wie das Bundesinnenministerium am Dienstag mitteilte, sind schätzungsweise 64.000 Menschen seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar nach Deutschland geflohen. Auch in Singen und im Hegau sind die ersten Kriegsflüchtlinge angekommen. Zumeist handelt es sich bei ihnen um Frauen, Jugendliche und Kinder. Bürgermeister berichten auf Anfrage, wie es in den Hegau-Gemeinden aussieht.
Die ersten Geflüchteten sind da
In nahezu allen Gemeinden in Singen und dem Hegau sind die ersten Menschen, die vor den kriegerischen Handlungen in der Ukraine geflohen sind, empfangen worden. Dies bestätigt beispielsweise Bürgermeister Holger Mayer für Hilzingen. „Ihnen geht es den Umständen entsprechend gut“, sagt er. Aber die Flucht vor dem Krieg und die Anstrengungen der vergangenen Tage seien noch deutlich spürbar. „Wir versuchen alles, dass sie hier bei uns erst einmal zur Ruhe kommen“, sagt Mayer. Bei den Geflüchteten handle es sich um drei Frauen und deren Kinder, die aktuell bei Privatpersonen untergebracht seien.
Ähnlich sieht es in Rielasingen-Worblingen, Singen, Engen und Gottmadingen aus. Laut Bürgermeister Ralf Baumert seien in Rielasingen-Worblingen 29 Kriegsflüchtlinge angekommen. Sie seien in drei Familien und bei zwei alleinstehenden Personen in Rielasingen und Worblingen untergebracht und würden aus unterschiedlichen Orten in der Ukraine stammen. „Wir sind auf die Mithilfe von Bürgern angewiesen, die Wohnraum an die Stadt vermieten, sodass Geflüchtete untergebracht werden können“, ergänzt Bürgermeister Johannes Moser für Engen. Dort wohnen derzeit zehn Kinder und sechs Erwachsene aus der Ukraine privat bei Bekannten oder Verwandten.

Auch in Singen seien laut Oberbürgermeister Bernd Häusler alle Geflüchteten aktuell privat untergekommen. Aktuell hätten sich 17 Personen aus fünf Haushalten beim Bürgerzentrum angemeldet. Für die kurzfristige Unterkunft für zwei Familien habe die Stadt gesorgt. „Eine auf der Autobahn bei Singen gestrandete Familie wurde kurzfristig Montagnacht durch die Stadt untergebracht. Inzwischen sind sie auf dem Weg in die Landeserstaufnahmestelle nach Sigmaringen“, teilt Oberbürgermeister Häusler auf SÜDKURIER-Nachfrage mit.
Die Flüchtlingszahl wird steigen
Im Gespräch mit den Bürgermeistern aus dem Hegau wird deutlich, dass sich die Kommunen auf einen rapiden Anstieg von ukrainischen Kriegsflüchtlingen in den kommenden Tagen vorbereiten. Aus diesem Grund setzen alle die Gemeinden auf Hilfe aus der Bürgerschaft. „Die Gemeinde Gottmadingen hat die Bürger darum gebeten Wohnraum zu melden, um Menschen aus der Ukraine eine sichere Unterbringung anbieten zu können. Erste positive Rückmeldungen haben wir schon“, schildert Bürgermeister Michael Klinger. Die Gemeinde versuche, soweit es möglich sei, die Unterbringung zu koordinieren – etwa durch die aktive Wohnraumakquise.
„Wir haben eine Mitteilung veröffentlicht, in welcher darum gebeten wird, für Flüchtlinge aus der Ukraine Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Des Weiteren haben wir in einer Liste bislang alle Bürger gesammelt, die aktuell insgesamt neun Unterbringungsangebote gemacht haben“, ergänzt Bürgermeister Ralf Baumert. OB Häusler liefert Zahlen: 82 Personen aus der Ukraine würden sich in den nächsten Tagen beim Bürgerzentrum anmelden. Diese hätten bereits einen Termin vereinbart. Er rechne stark mit einer deutlichen Zunahme von Geflüchteten.

Bürgermeister Holger Mayer spricht von einer großen Anteilnahme aus der Bevölkerung. Er gehe angesichts der schrecklichen Bilder, die täglich aus der umkämpften Ukraine eintreffen, davon aus, dass viele die Geflüchteten unterstützen werden. „Meine große Hoffnung ist es, dass wir viele Menschen in privaten Haushalten unterbringen können“, sagt Mayer.

Aber auch die Gemeinde werden ihren Teil dazu beitragen, um diese Menschen aufzunehmen. „Wir werden zusätzlichen Raum für diese Menschen brauchen“, so Mayer. Bürgermeister Johannes Moser macht zudem deutlich: „Alle weitere Folgen, wie zum Beispiel Kinderbetreuung, Schulen oder Sozialbetreuung, sind derzeit nicht absehbar.“ So stelle sich die Stadt Engen etwa darauf ein, die Geflüchteten erst einmal mit nötigen Informationen zu versorgen.
Werden weitereReserveunterkünfte reaktiviert?
Noch im November 2021 hatte es Diskussionen um eine mögliche Reaktivierung der Flüchtlingsunterbringung in der Singener Güterstraße 1 gegeben. Wie Singens Oberbürgermeister Bernd Häusler nun mitteilte, sei das dortige Gebäude bereits vor der Ukraine-Krise wieder für die Aufnahme von Flüchtlingen in Betrieb genommen worden. Zuständig sei der Landkreis Konstanz. „Auch andere Unterkünfte sind angesichts der Krisen-Situation im Gespräch“, berichtet er.

Wie Häusler mitteilt, würden derzeit in zwei Singener Gemeinschaftsunterkünften (GU) des Landratsamtes rund 166 Personen leben. Dazu gehören auch die 41 Personen, die in der wiedereröffneten GU in der Güterstraße wohnen. Laut Häusler wohnen aber nur noch 15 Menschen in der städtischen Anschlussunterbringung in der Friedinger Straße. 1282 Personen hingegen würden in privat angemieteten Wohnungen und Gebäuden leben. „Die meisten kommen aus Syrien – es sind 1105 Personen, aus dem Irak sind es 159 Personen und aus Afghanistan 140 Personen“, so Häusler. Im Vergleich dazu: In Gottmadingen leben aktuell 207 Geflüchtete. Mit 157 kommt der Großteil von ihnen aus Syrien. Laut Michael Klinger hätten 348 Geflüchtete seit dem Jahr 2014 in der Gemeinde gelebt beziehungsweise würden derzeit dort leben.
OB Bernd Häusler betont aber auch, dass Singen durch die Flüchtlingskrise der vergangen Jahre stark gefordert worden sei: „Die Stadt hat bei der Aufnahme von Flüchtlingen in der Vergangenheit viel geleistet. Sie übererfüllt schon seit Jahren die von ihr zu erfüllende Gemeindequote im Landkreis um aktuell rund 341 Personen“, so Häusler. Dies habe die Grenzen der Belastbarkeit aufgezeigt: „Es geht hierbei beispielsweise um Infrastruktur wie die Schaffung neuer Kindergartenplätze.“
Die Unterbringung der Geflüchteten wird für Gemeinden zum Kraftakt
- Viele Ehrenamtliche helfen mit: Wie viele Geflüchtete erwartet werden, lasse sich laut Bürgermeister Michael Klinger derzeit nur sehr schwer abschätzen. Ohnehin stelle die Unterbringung der Kriegsflüchtlinge einen Kraftakt für die Gemeinden dar. „Die Gemeinde Gottmadingen, die Ehrenamtlichen und das Integrationsmanagement unternehmen viel und dies hört nicht bei der Unterbringung auf“, betont Michael Klinger. Es gelte Kindergartenplätze bereit zu stellen, es gelte auf dem Weg zum Spracherwerb, auf dem Weg in die Arbeit und der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu unterstützen. „Das alles sind große Herausforderungen, aber gemeinsam gehen wir die Themen Stück für Stück an“, gibt sich der Gottmadinger Bürgermeister zuversichtlich. Rielasingen-Worblingens Bürgermeister Ralf Baumert gibt ihm Recht: In erster Linie gelte es die Unterkunftsvermittlung zu koordinieren oder die Menschen bei der Beantragung von Zuschüssen zu unterstützen. „Wobei hier das Landratsamt für kommende Woche eine Informationsschrift angekündigt hat“, so Baumert weiter. Die Gemeinde stehe zusätzlich auch den kirchlichen und caritativen Träger sowie dem Unterstützerkreis Flüchtlingshilfe Rielasingen-Worblingen bei deren Arbeit zur Seite.
- Welche Menschen kommen? Es handelt sich zumeist um Frauen und Kinder mit ukrainischer Staatsangehörigkeit, da Männer zwischen 18 und 60 Jahren ihr Heimatland nicht verlassen dürfen.