Seit Jahren laufen die Vorbereitungen, nun soll es konkret werden: Das Gebiet Tiefenreute/Bühl soll den Hunger nach neuen Gewerbe- und Wohnflächen in Singen stillen. Denn in den bestehenden Baugebieten könne man den Bedarf an Gewerbe- und Wohnflächen nicht decken, heißt es in der umfangreichen Sitzungsvorlage zum Thema für den Gemeinderatsausschuss für Stadtplanung, Bauen und Umwelt (SBU). Zu diesem Ergebnis seien demnach ein Gewerbeflächenentwicklungskonzept und eine Wohnungsbedarfsanalyse gekommen, die zu den Vorarbeiten für das Baugebiet gehören.

Allein bei den Gewerbeflächen gebe es einen Bedarf von deutlich mehr als 30 Hektar, erklärte Frank Friesecke von der Planungsgesellschaft Steg den Ausschussmitgliedern. Die Stadtentwicklung Steg GmbH mit Hauptsitz in Stuttgart begleitet den Prozess federführend von Anfang an. „Der Bedarf ist ziemlich enorm“, so Friesecke. Davon könne nur ein kleiner Teil in bestehenden Baugebieten entstehen, fast 30 Hektar seien dann noch gefragt. Das Gebiet Tiefenreute/Bühl bilde die einzige zusammenhängende Fläche, die einen nennenswerten Beitrag dazu leisten kann, heißt es in der Begründung der Stadt für das Vorhaben.

Entzug von Eigentum steht im Raum

Der Knackpunkt an dem Großprojekt laut der Sitzungsvorlage: Es gibt Eigentümer, die nicht bereit sind, ihre Grundstücke an die Stadt zu verkaufen. Laut der Sitzungsvorlage seien diese nicht mitwirkungsbereit. Was also tun? Die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme, die der Gemeinderat schon im Jahr 2019 für Tiefenreute/Bühl beschlossen hat, ist in dieser Hinsicht ein relativ scharfes Schwert. Sie erlaube auch den Entzug von Eigentum, wie es in der Vorlage heißt, im Sprachgebrauch besser als Enteignung bekannt. Der letztere Ausdruck fällt in der Vorlage allerdings nur äußerst selten.

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Ob es dazu tatsächlich kommt, lässt sich derzeit nicht mit Sicherheit sagen. Die Stadt werde nämlich auch nach dem Satzungsbeschluss anbieten, Grundstücke zu erwerben, heißt es in der Vorlage. Die Enteignung sei demnach nur die letzte Option. Ohne die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme könne die einheitliche und zügige Entwicklung von Tiefenreute/Bühl allerdings nicht erreicht werden, argumentiert die Verwaltung. Und andere städtebauliche Instrumente würden nicht ausreichen. Die Fachleute von der Steg GmbH kommen in ihrer vorbereitenden Untersuchung zu dem Schluss, dass die öffentlichen Interessen schwerer wiegen als die privaten.

Enteignungen sind sehr selten

Wenn es zu Enteignungen käme, wäre das jedenfalls ein sehr seltener Vorgang. Im ganzen Regierungsbezirk Freiburg habe es von 2010 bis einschließlich 2021 – also in zwölf Jahren – nur 31 Anträge auf Enteignung gegeben, schreibt Matthias Henrich, stellvertretender Pressesprecher des Regierungspräsidiums, auf Anfrage. Bei 19 davon hätten sich die Parteien dann noch einigen können, nur zwölf Verfahren seien durch Enteignungsbeschluss abgeschlossen worden.

Die Eigentumsverhältnisse im Gebiet Tiefenreute/Bühl zum Stichtag 16. November 2022.
Die Eigentumsverhältnisse im Gebiet Tiefenreute/Bühl zum Stichtag 16. November 2022. | Bild: Steller, Jessica

Inzwischen gehe es nur noch um sieben Grundstücke mit einer Fläche von etwa 1,8 Hektar, deren Eigentümer nicht mitwirkungsbereit seien, heißt es in der Vorlage. Diese Grundstücke gehören sechs Eigentümern oder Eigentümergemeinschaften. Und zu sieben weiteren Grundstücken mit einer Fläche von zusammen 6,2 Hektar laufen noch Vertragsverhandlungen.

Ein Blick auf den Lageplan des Projekts zeigt: Vor allem diese letzteren Flächen, die fünf Personen oder Eigentümergemeinschaften gehören, sind wichtig für das Projekt. Doch auch auf die Flächen, für die derzeit keine Mitwirkungsbereitschaft bestehe, sei das Projekt angewiesen, so die Informationen der Stadt. Zu Beginn der Grundstücksverhandlungen hätten sich nur etwa 45 Prozent der notwendigen Flächen im Besitz der Stadt befunden, erklärte Frank Friesecke von der Steg GmbH. Damals waren es laut Sitzungsvorlage 89 Eigentümer inklusive der Stadt.

Hohe Priorität bei der Stadtverwaltung

Dass das Projekt bei der Stadtverwaltung einige Priorität genießt, kann man auch daran ablesen, wie viel Vorarbeit bereits hineingeflossen ist. Seit Juli 2019, kurz nach dem Gemeinderatsbeschluss, habe es mehrere Informationsveranstaltungen für die Grundstückseigentümer ebenso wie persönliche Gespräche gegeben, schreibt Stefan Mohr, persönlicher Referent von Singens Oberbürgermeister Bernd Häusler und Pressesprecher der Stadt, auf Anfrage.

Seit April 2020 gebe es Grundstücksverhandlungen und -käufe. Dabei habe die Stadt mehrere Erwerbsmodelle, auch mit Preisaufschlägen, angeboten, geht aus der Sitzungsvorlage hervor. Und für die Landwirte, deren Existenz möglicherweise gefährdet sein könnte, gebe es auch Ersatzflächen.

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Nun gebe es ein paar Personen, die man nicht vom Grundstücksverkauf habe überzeugen können, erklärte Frank Friesecke von der Steg GmbH dem Bauausschuss. Die Stadt hat zudem schon mehr Geld für den Grunderwerb in die Hand genommen, als ursprünglich geplant war. Der Gemeinderat hat im November 2021 einem Nachtragshaushalt von 7,5 Millionen Euro zugestimmt, der zweckgebunden für den Kauf von Grundstücken im Gebiet Tiefenreute/Bühl bestimmt war.

Ratsausschuss mit satter Mehrheit für die Satzung

Am Dienstag, 29. November, soll nun der Gemeinderat nach dem Beschlussvorschlag der Verwaltung die Satzung über den Entwicklungsbereich Tiefenreute/Bühl beschließen. Diese Satzung habe, so heißt es in der vorbereitenden Untersuchung zu Tiefenreute/Bühl, „enteignungsrechtliche Vorwirkung“. Die öffentliche Sitzung beginnt um 17 Uhr im Bürgersaal des Rathauses.

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Bei der Vorberatung im SBU-Ausschuss erntete der Beschluss der Satzung eine satte Mehrheit von zehn Ja-Stimmen zu einer Enthaltung und einer Nein-Stimme. Kritik kam vor allem von den Grünen. Das Projekt versiegele weiter Boden, hieß es. In einer vorbereiteten Rede sprach Gemeinderätin Karin Leyhe-Schröpfer (Grüne) von hohem Flächenverbrauch und einer Umweltkatastrophe. Aus der SPD hieß es von Gemeinderat Walafried Schrott, dass er Verständnis für die Einwände habe, die Erweiterung „insgesamt aber eine Chance sei, die wir nutzen müssen“.