Vor knapp fünf Jahren führte die Corona-Pandemie in Singen und dem Hegau an zu einer noch nie dagewesenen Situation und brachte in allen Bereichen des Lebens Einschränkungen. In dieser Zeit entstanden viele Geschichten über Menschen, die in unterschiedlicher Weise betroffen waren. Einige von ihnen hat die Singener Lokalredaktion nun erneut besucht und gefragt, wie sie an die Zeit zurückdenken.

„Wir sind damals an unsere Grenzen gekommen und darüber hinaus“, erinnert sich Tobias Herre, Stationsleiter und stellvertretender Pflegedienstleiter im Singener Awo-Seniorenzentrum „Michael-Herler-Heim“ an die Corona-Zeit. Die Pandemie habe das Seniorenzentrum unvorbereitet getroffen. „Anfangs nähten uns Frauen aus der Umgebung Stoffmasken, weil wir nichts hatten.“

Stationsleiter Tobias Herre in Schutzkleidung während der Corona-Pandemie.
Stationsleiter Tobias Herre in Schutzkleidung während der Corona-Pandemie. | Bild: Tobias Herre

Die Herausforderungen seien immens gewesen. Für die Bewohner sei die Pandemie schlimm gewesen, vor allem, als sie während des Lockdowns keinen Kontakt zu den Angehörigen haben durften. „Viele haben sehr darunter gelitten.“

„Wir sind an unsere Grenzen gekommen“

Dem Pflegepersonal sei in dieser Zeit viel Hochachtung entgegengebracht worden. „Da hat man sich kurz wichtig gefühlt, aber entscheidend ist ja, dass sich langfristig etwas verändert“, sagt der Stationsleiter. Ihm ist die personelle Knappheit in Erinnerung geblieben, weil immer jemand wegen Corona zu Hause bleiben musste. Gut findet er, dass das Maskentragen heute bei Infektionen selbstverständlicher geworden ist und man mit dem Thema Krankheit sensibler umgeht. Außerdem sei das Seniorenzentrum jetzt gut vorbereitet.

Tobias Herre sieht das Herler-Seniorenzentrum heute gut gerüstet.
Tobias Herre sieht das Herler-Seniorenzentrum heute gut gerüstet. | Bild: Tobias Herre

„Wir haben Ablaufnotfallpläne und unsere Lager sind gut ausgestattet“, sagt Herre. Er ist der Meinung, dass die Pandemie die Widerstandskraft gestärkt hat: Dass man diese schwierige Zeit gemeinsam überstanden habe, schweiße zusammen. Kritisch sieht der Stationsleiter im Nachhinein den Umgang mit denjenigen, die sich nicht impfen lassen wollten und für die ein Beschäftigungsverbot ausgesprochen wurde. „Ich habe mich impfen lassen, das war für mich keine Frage. Aber es bleibt eine persönliche Entscheidung“, erklärt Herre.

Plötzlich sind die Grenzen dicht

Am 16. März 2020 kursierten plötzlich Bilder in den sozialen Medien, die zeigten, wie zwischen Deutschland und der Schweiz Absperrungen errichtet wurden und ein Grenzzaun aufgebaut wurde. Hubschrauber kreisten über das Grenzgebiet, an den Zöllen standen bewaffnete Soldaten. Zur Eindämmung des Corona-Virus gingen Schüler ins Home-Schooling und Arbeitnehmer ins Home-Office. Deutschland verabschiedete sich in den Lockdown.

Der Grenzübergang Gottmadingen/Buch wurde im März 2020 verbarrikadiert. Er wird normalerweise auch von vielen Pendlern genutzt.
Der Grenzübergang Gottmadingen/Buch wurde im März 2020 verbarrikadiert. Er wird normalerweise auch von vielen Pendlern genutzt. | Bild: Bittlingmaier, Albert (SK-Archiv)

Einer, der diesen Tag an der Grenze erlebt hat, ist Stefan Kienzler. Der Gottmadinger arbeitete zu dieser Zeit in Buch, direkt hinter der Grenze. Für seinen Weg zur Arbeit habe er damals ein paar Minuten gebraucht, er hätte auch zu Fuß oder mit dem Rad gehen können. Dann war nicht mal dies möglich. Heute sagt er: „Es ist immer noch unglaublich, dass diese Grenze während der Pandemie dicht war.“

Damals habe er mit dem Auto über Thayngen fahren müssen. Aus fünf Minuten Fahrtweg wurde eine Strecke von fast einer halben Stunde. „Da waren auf einmal alle überfordert“, erinnert er sich.

Der Gottmadinger Feuerwehrkommandant Stefan Kienzler kann heute wieder über die Grenze.
Der Gottmadinger Feuerwehrkommandant Stefan Kienzler kann heute wieder über die Grenze. | Bild: Laura-Madeleine Haunstein

Der Kommandant der Gottmadinger Feuerwehr erinnert sich auch daran, dass die Rettungswege damals über Schaffhausen gesteuert wurden. „Ich war beim Arbeiten und auf einmal stellen die Schweizer Poller auf, wenige Stunden später war alles dicht.“ Für ihn wirke das noch heute surreal und er sei froh, dass diese Zeit vorbei sei.

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„Es ging darum, Risiken zu reduzieren“

An die Anfänge der Pandemie kann sich Krankenhaus-Hygieniker Stefan Bushuven noch gut erinnern. „Im Januar 2020 gab es ein Treffen in Berlin mit vielen Kollegen, wo es um das weitere Vorgehen mit diesem neuen Virus gehen sollte“, erinnert sich der Arzt. Die Mediziner wussten zwar, wie Sars-Cov-1 funktionierte, doch in Sars-Cov-2 steckte noch viel mehr.

Hygiene-Experte Stefan Bushuven desinfiziert sich im Singener Krankenhaus die Hände. Dies gehörte zum Hygienekonzept in der Corona-Zeit ...
Hygiene-Experte Stefan Bushuven desinfiziert sich im Singener Krankenhaus die Hände. Dies gehörte zum Hygienekonzept in der Corona-Zeit dazu. | Bild: Tesche, Sabine (SK-Archiv)

„Es ging darum, herauszufinden, wie man das System am Laufen halten kann. Und es ging darum, die Risiken zu reduzieren.“ Dazu gehörte auch ein Hygienekonzept, etwa durch gründliches Händewaschen. Das sei vielen nicht recht gewesen. „Wir Menschen sind Gewohnheitstiere. Wenn sich plötzlich etwas ändert, verunsichert uns das.“

Die erste Welle sei herausfordernd gewesen, denn niemand wusste, wie lange diese Phase andauern würde. Bushuven machte zu der Zeit täglich eine Lagemeldung aus dem Krankenhaus an die Behörden, inzwischen schicke er den Bericht einmal die Woche raus.

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Er war maßgeblich an dem Aufbau des Testzentrums am Klinikum beteiligt. „Wir waren recht früh dran, es war eines der ersten Testzentren in Baden-Württemberg.“ Am Anfang habe man nur 100 Tests vornehmen dürfen. Nach einigen Wochen gab es mehr Testzentren – und auch mehr Tests. Doch gerade der Ressourcenmangel zu Beginn machte den Medizinern zu schaffen. Deswegen habe man das gelagerte Material weggeschlossen.

Die Desinfektion der Hände gehört für Chefarzt Stefan Bushuven weiterhin zum Alltag.
Die Desinfektion der Hände gehört für Chefarzt Stefan Bushuven weiterhin zum Alltag. | Bild: Graziella Verchio

„Netzwerk ist in der Hygiene die halbe Miete“, weiß Bushuven. So hatte der damalige Apotheker am Singener Klinikum im Vorfeld gut vorgesorgt, sodass das Krankenhaus zunächst mit ausreichend Material ausgestattet war. Aus der Pandemie habe man auch gelernt. „Wir achten inzwischen mehr auf die Lieferketten: Wo kommt etwas her, was passiert, wenn wir etwas doch nicht bekommen, und wie abhängig sind wir“, sagt der Hygiene-Experte.

Abitur in Eigenregie statt lange Ferien

Als Mitte März 2020 plötzlich alle Schulen dichtmachten, war die erste Reaktion vieler Schüler: „Cool, extra Ferien“, sagt Fabian Rimpel. Er war damals Abiturient am Hegau-Gymnasium in Singen. Doch schnell wich die anfängliche Freude der Unsicherheit: Wird das Abitur überhaupt geschrieben? Und wenn ja, wann? Im Hintergrund liefen Petitionen mit hunderttausenden Unterschriften, die forderten, die Prüfungen ausfallen zu lassen. „Die Ungewissheit hat bei mir an der Motivation genagt“, sagt er.

Fabian Rimpel 2020 beim Abiball: Es war eine kleine Feier in der Schulaula mit wenigen Gästen statt in der Singener Stadthalle.
Fabian Rimpel 2020 beim Abiball: Es war eine kleine Feier in der Schulaula mit wenigen Gästen statt in der Singener Stadthalle. | Bild: Fabian Rimpel

„Es fiel schwer, für etwas zu lernen, wenn man nicht wusste, ob es überhaupt stattfinden würde“, erzählt er. Rimpel nutzte die freie Zeit für Sport und lange Spaziergänge. „Rückblickend war die Zeit vor der finalen Abi-Entscheidung eigentlich entspannt.“ Doch als dann feststand, dass die Prüfungen stattfinden würden, änderte sich der Fokus: Die Lernphase begann unter besonderen Bedingungen.

In einer Zeit, in der Online-Unterricht nicht selbstverständlich war, waren die Abiturienten viel auf sich selbst gestellt. Vereinzelte Lehrer boten Online-Unterricht an, doch eine klare Struktur habe es nicht gegeben. „Es war viel Eigeninitiative gefragt“, erinnert er sich.

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Wenige Wochen vor den Prüfungen durfte die Oberstufe als einzige wieder in die Schule. Danach fiel Vieles aus: kein Abistreich, kein großer Abiball in der Stadthalle. Stattdessen eine kleine Feier in der Aula mit begrenzter Gästezahl. Die Abifahrt nach Novalja fand in einer kleinen Gruppe statt. Heute studiert Fabian Rimpel im achten Semester Medizin in München.

„Keiner war so richtig darauf vorbereitet“

Bevölkerungsschutz, das sei häufig Arbeit für die Schublade. Mit solchen Gedanken habe er sein Amt als Bevölkerungsschützer für Singen im Jahr 2017 angetreten, erzählt Stefan Schüttler. Wenige Jahre später kam die Pandemie. Und in dieser Zeit wäre man froh gewesen, etwas Passendes in der Schublade zu haben – doch das hätte man alles nicht gebrauchen können. „Keiner war so richtig darauf vorbereitet“, räumt er im Rückblick ein.

Stefan Schüttler, bei der Singener Stadtverwaltung für den Bevölkerungsschutz zuständig, kurz vor Weihnachten 2021 vor dem ...
Stefan Schüttler, bei der Singener Stadtverwaltung für den Bevölkerungsschutz zuständig, kurz vor Weihnachten 2021 vor dem Impfstützpunkt in der Scheffelstraße. | Bild: Freißmann, Stephan (Sk-Archiv)

Es sei zuerst darum gegangen, einen Krisenstab einzurichten. Dieses Gremium habe zum Beispiel am 13. März 2020 überlegen müssen, ob man Veranstaltungen untersagen solle. Doch: „Es gab keine rechtlichen Grundlagen dafür“, so Schüttler.

Corona-Verordnungen von Land und Bund mit den geltenden Schutzmaßnahmen seien erst spätabends gekommen, hätten aber über Nacht umgesetzt werden müssen. Später sei es darum gegangen, Test- und Impfstellen aufzubauen.

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Eine der größten Herausforderungen seien die Massenimpftage in den Berufsschulen in der Nordstadt gewesen: „Beim ersten Mal hat man nicht damit gerechnet, dass so viele Menschen kommen, dass man vier Stunden warten muss.“ Später sei es aber immer routinierter geworden.

Den Krisenstab gebe es heute noch, „für alle möglichen Großlagen“, sagt er. Auch beim Starkregen im Juni 2024, als in kurzer Zeit Straßen und Keller überflutet wurden, sei diese Gruppe aktiv gewesen. Ebenso beim Gasalarm im Mai 2024, als es um die Unterbringung von evakuierten Einwohnern ging.

Stefan Schüttler ist bei der Singener Stadtverwaltung für den Bevölkerungsschutz zuständig. In dem Geschäft im Hintergrund war während ...
Stefan Schüttler ist bei der Singener Stadtverwaltung für den Bevölkerungsschutz zuständig. In dem Geschäft im Hintergrund war während der Corona-Pandemie eine Impfstation untergebracht. Diese ist nun nicht mehr notwendig. | Bild: Freißmann, Stephan

Schüttler ist sicher: „Auf kommunaler Ebene wäre man inzwischen besser auf eine Pandemie vorbereitet.“ Damals habe es Fehler gegeben, doch zum größten Teil sei in seinen Augen richtig gehandelt worden. Und für den Katastrophenschutz habe man viel gelernt.