Es ist schon deutlich nach Mitternacht, aber der 68-Jährige auf der großen Bühne des Schaffhauser Festivals Stars in Town kann nicht genug bekommen. Sein Publikum auch nicht: Herbert Grönemeyer hüpft und tänzelt, stichelt und stampft, als könnte ihn nichts stoppen – aber das will auch keiner.

„S‘ isch einfach schön hier!“, beschreibt der Schaffhauser Thomas Hauser das Ambiente, das er von Anfang an miterlebt hat. „Schön hier“, entgegnet wenig später der Altstar auf der Bühne und beschreibt seinen Ausblick auf den herrlichen Platz am Herrenacker – die „Piazza Grande der Nordschweiz“, wie die Stars-in-Town-Veranstalter gerne sagen. Trotz seines Kult-Status schafft Grönemeyer von Beginn an eine lockere Atmosphäre. Kaum steht er auf der Bühne, bindet er die Zuschauer an den Fenstern mit ein: „Wir kommen nachher hoch und machen Wohnzimmerkonzerte bei jedem von euch. Ihr könnt euch wieder hinsetzen“, scherzt er.

Superstar ist pünktlich wie wenig andere

„Es ist mein drittes Mal Grönemeyer“, verrät Andrea Saier-Pfeiffer, die mit ihrem Mann Patrick aus Gottmadingen nach Schaffhausen gekommen ist, um den deutschen Sänger wieder einmal live zu erleben – und schon vor dem Auftritt kann sie es kaum erwarten. Doch die Gönemeyer-Fans auf dem Herrenacker müssen Geduld beweisen. 21.45 Uhr zeigen die Zeitmesser, als der Mann aus dem Ruhrpott die Bühne betritt. Dann ist Grönemeyer da und alle sind euphorisiert.

Fans feiern den ausverkauften Super-Mittwoch beim Festival Stars in Town.
Fans feiern den ausverkauften Super-Mittwoch beim Festival Stars in Town. | Bild: Biehler, Matthias

Die Piazza Grande wird zum Wohnzimmer und der Mann auf der Bühne sammelt sein Publikum mit ungestümen Charme ein. Wenn er die Schaffhauser Schönheit einschränkt mit den Worten: „Mein Schaffhausen liegt im Ruhrpott“, dann hat er wieder alle Fans auf seiner Seite. Dann stimmt er den 40 Jahre alten Sommerhit Bochum an: „Tief im Westen, wo die Sonne versinkt...“

Die versinkt auch hoch im Norden der Schweiz, während das Gedränge auf dem Herrenacker zunimmt. Zweierlei Grönemeyer-Fans kann man auf dem Platz ausmachen – die einen, die kurz vor Konzertbeginn erscheinen und den Auftritt mit einer gewissen Distanz genießen, und die anderen, die alles dafür tun, in der ersten Reihe zu stehen. Auch wenn das heißt, über drei Stunden Vorprogramm zu erleben. „Steiner und Madlaina waren prima, Elif wird das auch rocken“, bringt es Hella Rentschler auf den Punkt. Ihr Grönemeyer-Shirt macht deutlich, weshalb sie eigentlich da ist.

Die Berliner Rapperin Elif findet in Schaffhausen viel neues Publikum.
Die Berliner Rapperin Elif findet in Schaffhausen viel neues Publikum. | Bild: Biehler, Matthias

Das Zürcher Duo Steiner und Madlaina hat sich schon in der Schule kennen gelernt und lässt sich nicht davon irritieren, dass so viele auf einen anderen warten. Mit ihrem Indie-Folk-Pop zeichnen sie ein Bild der Welt voller Zauber und Energie, ebenso wie voller Patina und abgeschliffener Eindrücke. Dabei stammt Madlaina Pollina aus einer musikalischen Familie: Ihr Vater ist der italienischstämmige Schweizer Cantautore Pippo Pollina, ihr Bruder Julian Pollina ist als Sänger Faber bekannt.

Nora Steiner und Madlaina Pollina lernten sich in der Schule kennen und singen Lieder mit Substanz und Haltung. „Damit unsere heile Welt noch eine Weile hält“, lautet ein Refrain. Beschwingte Melodien verpacken gar nicht so beschwingte Inhalte – und leicht überhört man die feine Satire der beiden Frauen.

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Wenn die Technik ausfällt, singt Elif a capella

Nach ihnen kommt die Berliner Musikerin Elif auf die Bühne. Sie merkt schnell, dass sie in Schaffhausen viele neue Fans gewinnen kann: „Wer war denn noch nie auf einem Elif-Konzert?“, wollte sie vom Publikum wissen – und war von der Zahl der erhobenen Arme überrascht. Doch mit ihren Songs öffnet sie ein Portal in ihr Leben, erzählt ihre Geschichten, strahlt Selbstbewusstsein und Lebensfreude aus – und wenn die Technik plötzlich ausfällt, lässt sie sich dadurch nicht aufhalten. Sie kann ihr Publikum auch a capella unterhalten.

Ihre Botschaft: Sei du selbst, lass dich weder von toxischen Beziehung noch den daraus resultierenden Selbstzweifeln klein machen. Und immer wieder schwärmt sie: „Ich komme aus Berlin, da ist die Schweiz wow!“ Besonders angetan hat es ihr der Rhein: „Ich wünschte mir, wir hätten einen Fluss wie ihr. In der Spree hat man Angst, dass einem die Füße abätzen“, so Elif. Und am Ende nimmt sie Bezug auf eine andere starke Frau. Ihre Version von Dua Lipas Megahit Houdini versetzt die Menge in Tanzstimmung.

Wer Grönemeyer fotografieren wollte, musste Abstand halten.
Wer Grönemeyer fotografieren wollte, musste Abstand halten. | Bild: Biehler, Matthias

Grönemeyer bringt acht Zugaben bis nach Mitternacht

Eröffnet wurde der Abend bei strahlendem Sonnenschein, zum Finale kam der Vollmond – zumindest in Form des rockigen Klassikers von Herbert Grönemeyer. „Ein lang gehegter Wunsch geht endlich in Erfüllung“, beschreibt Festival-Sprecherin Nora Fuchs das Gefühl, Grönemeyer auf die Bühne zu bringen. Zuletzt hatten die Veranstalter ihr Publikum gefragt, wer denn mal kommen soll. „Dabei fiel ein Name besonders oft: Herbert Grönemeyer“, so Fuchs. Nun habe es geklappt.

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Und Grönemeyer hat den ausverkauften Platz mit seiner übersprudelnden Freude in Sekundenschnelle für sich eingenommen. Und es nimmt kein Ende: Egal welchen Klassiker man als Lieblingssong hat, er spielt sie alle von „Bochum“ über „Männer“, „Mensch“ oder „Flugzeuge im Bauch“ – und auch 2024 weiß er fast 18 Jahre nach Veröffentlichung des WM-Hits, es ist „Zeit, dass sich was dreht!“ Das beweist er ohne Energieverlust und macht die Metapher vom Unruhestand zum Sinnbild: „Es ist 62 Grad hier oben. Ich bin durch, ich bin gar – medium rare“, scherzt er und stimmt den nächsten Hit an: „Alkohol“.

Kurz vor Mitternacht bringt Grönemeyer zwei Zugabenblöcke mit insgesamt acht weiteren Songs auf die Bühne. „Dieser Mann scheint nie müde zu werden“, attestieren ihm die Schaffhauser Veranstalter. Er gebe so viel Liebe ins Publikum, die wie ein Bumerang zu ihm zurückschlägt