Herr Kiefer, wo und wie haben Sie vom Ukraine-Krieg erfahren?

Ich habe einen starken Bezug zu den Ostländern, war unter anderem im Jahr 2008 mit einer Friedensfahrradgruppe in Russland. Aus Eigeninteresse und auch aus journalistischer Neugier habe ich die politische Situation lange Zeit verfolgt, bin aber immer davon ausgegangen, dass es sich seitens Russlands nur um Drohgebärden handelt.

Philipp Kiefer ist Teil eines 400 Menschen fassenden Helfer-Teams, das derzeit in Ubla nahe der Ukrainischen Grenze aktiv ist.
Philipp Kiefer ist Teil eines 400 Menschen fassenden Helfer-Teams, das derzeit in Ubla nahe der Ukrainischen Grenze aktiv ist.

Ich konnte mir nicht vorstellen, dass der Angriff auf die Ukraine Wirklichkeit werden würde. Am Schmutzigen Dunschtig war ich bei meinen Eltern in Singen. Da kam mein Stiefvater und sagt: Jetzt geht der Krieg los. Ich war so geschockt, habe den ganzen Tag über die Nachrichten verfolgt und mir war klar: Die Menschen in der Ukraine werden nun viel Unterstützung brauchen und ich möchte nicht nur spenden, sondern aktiv etwas für sie tun.

Wie kam es zu der Entscheidung nach Ubla zu gehen?

Ich habe schnell angefangen mich mit Leuten zu verbinden – auch in östlichen Ländern. Eine Freundin aus Bratislava hat mir dann den Kontakt nach Ubla vermittelt, einem kleinen Ort mit vielleicht 200 bis 300 Einwohnern, direkt an der ukrainischen Grenze. Dort hatten sich innerhalb kürzester Zeit ein paar Leute zum Helfer-Team zusammengetan. Erst war es chaotisch, dann hatte dort die freiwillige Feuerwehr eine Infrastruktur geschaffen und es wurde eine Homepage aufgebaut, wo Leute, die helfen wollen, andocken können.

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Wieviel Leute gehören mittlerweile zu diesem Helfer-Team?

Bis zum heutigen Tag sind es über 400 Freiwillige, die bis zu 90 Prozent der Aufgaben übernommen haben. Wir arbeiten in zwei Schichten. Auf dem Dorfplatz steht ein Zelt, wo die Aufnahme der Geflüchteten stattfindet. Viele von ihnen werden mit Polizei-Vans an der Grenze abgeholt und zu uns gebracht. Oft sind sie zutiefst erschöpft. Sie erhalten zunächst Getränken, Essen und Hygieneartikeln und müssen registriert werden. Und sie erfahren, wo sie hingehen können. Denn in den größeren Städten gibt es Großzeltlager, wo sie auch übernachten können. Dort gelangen sie mit Bussen hin. Oder es geht weiter in andere EU-Länder. Letzte Woche kam ein Bus aus Stockach, der 50 Flüchtlinge abgeholt hat und sie in Unterkünften brachte.

Sie helfen nicht nur vor Ort, sondern haben auch Spenden gesammelt.

Ja, ich habe über einen Messanger eine Gruppe gegründet. Dort haben alle die Möglichkeit den Einsatz zu verfolgen und vor allem zu spenden. Zuerst wollte ich Lebensmittel und Hygieneartikel in Deutschland kaufen und mitnehmen, aber dann hätte ich noch ein Transportmittel dafür organisieren müssen. Die Slowakei ist ein EU-Land und dort kann man alles kaufen, also habe ich das dort gemacht. Ich habe bereits zwei Mal für 2000 Euro Lebensmittel gekauft, die wir direkt zu einer Großküche in die Ukraine gebracht haben, die die Flüchtlinge versorgt.

Der Dorfplatz in Ubla mit den Zelten, in denen die Erstaufnahme stattfindet.
Der Dorfplatz in Ubla mit den Zelten, in denen die Erstaufnahme stattfindet.

Wie gefährlich ist es, in die Ukraine zu fahren?

Die Ukraine ist ein unvorstellbar großes Land und die Kampfhandlungen sind momentan im Osten des Landes. Man muss sich das vorstellen, als wenn man sich in Singen befindet und in Dänemark finden Kämpfe statt. Insofern fand ich es vertretbar dorthin zu fahren. Schließlich wollte ich auch wissen, dass die Spenden ankommen und wie sie eingesetzt werden. Wir fuhren durch Orte, in denen eine skurrile Mischung aus Normalität und Krieg zu sehen war. Einerseits ein normaler Feierabend-Stau, geöffnete Straßencafés und Menschen, die im Garten arbeiten. Andererseits sah ich Panzersperren an den Ortseingängen und Dorfplätze an denen sich junge, kampfunerfahrene Rekruten einfanden und mit Militärtransporten abgeholt wurden. Junge Kerle, ohne Ahnung, was auf sie zukommt. Meine größte Sorge war, dass wir eine Autopanne haben und wegen der nächtlichen Ausgangssperre nicht wieder wegkommen und auf der Straße übernachten müssen. Wir haben auch einen Bombenalarm erlebt. Wenn Raketen abgeschossen werden, weiß man eben nicht, wo die landen und der Bombenalarm herrscht landesweit.

Wie verarbeiten Sie das, was sie dort erleben?

Mit Aktionismus, indem ich versuche, mich von manchem zu distanzieren, es nicht an mich ranzulassen. Und manchmal abends auch mit Rotwein und persönlichen Gesprächen. Es gibt Tage, da ist so viel los, dass wir einfach nur funktionieren. Aber wir sehen viel Schlimmes, Männer, denen die Ausreise verweigert wurde, die es über die „grüne Grenze“ geschafft haben, völlig fertig und zerlumpt. Oder wie letztens, ein kleiner ukrainischer Junge, der mit seiner Mutter über die Grenze kam, seine zahme Ratte mitbrachte, die ihm Halt gab, ein Stück Gewohntes und Normalität. Ich habe mit ihm Fußball gespielt und versucht für seine Mutter und ihn eine Unterkunft bei Freunden in meiner Heimat zu finden.

Wollen denn die Flüchtlinge nach Deutschland?

Eben nicht, also die meisten wollen in der Nähe der Heimat bleiben und hoffen, dass der Krieg bald vorbei ist.

Wie kann man ihre Arbeit unterstützen?

Die Spenden, die ich aus dem Freundeskreis erhalten habe, gingen vertrauensvoll auf mein Privatkonto, mit der Gewissheit, dass ich sie weitergebe. Wer helfen möchte, kann sich direkt mit mir in Verbindung setzen.