Der Weihnachtstag 2020 begann für einen 48 Jahre alten Mann blutig. Mit mehreren Schnitten am Rücken sowie an den Armen lief er, nur notdürftig bekleidet, aus einer Wohnung auf den Herz-Jesu-Platz in Singen. Seine Partnerin hatte ihn attackiert. Es war nicht das erste, aber das vorerst letzte Mal: Die damals 30-Jährige wurde einige Tage später festgenommen.

Auf der Anklagebank saß nach Überzeugung der Richter am Landgericht Konstanz aber kein Monster: Die Frau sei krank und ihr müsse geholfen werden. Deshalb verurteilte das Schöffengericht die heute 31-Jährige aus Singen nicht nur zu drei Jahren und zwei Monaten Freiheitsstrafe, sondern auch zu einer Unterbringung in einer Psychiatrischen Klinik. Dort soll sie so lange bleiben, bis ihre Borderline-Persönlichkeitsstörung behandelt ist.

Zu oft hatte sie bereits ihre Partner gefährdet: „Es war Glück, dass das bislang alle überlebt haben“, sagte Richter Joachim Dospil.

Warum es eskalierte, können beide nicht erklären

Eine Borderline-Erkrankung zeigt sich häufig mit einem gestörten Selbstbild und raschen Stimmungswechseln. Die Angeklagte sah entweder schwarz oder weiß, erklärte der psychiatrische Sachverständige Hermann Assfalg in seiner knapp zweistündigen Ausführung. Am Tag vor Weihnachten habe sie schwarz gesehen: Ihr Partner hatte am Tattag getrunken, gemeinsam tranken sie weiter. Dabei hatte sie eigentlich die Wohnung zur Alkohol-freien Zone erklärt. „Ich will nicht weiter trinken, sonst passiert wieder was“, erklärte die 31-Jährige in ihrer Aussage.

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Warum die Situation danach so eskalierte, wusste das Paar nicht genau. Er habe ihren Sohn aufgestachelt, nicht auf sie zu hören, schilderte die Angeklagte. Das habe ihr keine Ruhe gelassen: Statt sich nach dem Streit zu ihrem schlafenden Partner zu legen, weckte sie ihn auf und schlug mehrmals zu. Eine kleine Axt, mit der sie Tannenzweige für Weihnachten schlagen wollte, wurde zur Tatwaffe. Dabei stand sie unter dem Einfluss von Alkohol und Drogen: In ihrem Blut fanden sich über zwei Promille Alkohol und Amphetamine.

Im Mai kam es zu einer ähnlich bedrohlichen Situation

Bereits einige Wochen zuvor hatte sie im Streit zu Messern gegriffen: Im Mai stürmte sie mit dem Inhalt eines Messerblocks auf ihren Partner zu. Ein befreundetes Ehepaar half damals, die Situation zu schlichten. Vor zehn Jahren war in einer ähnlichen Situation niemand da, um einzugreifen: Die Angeklagte ist unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung vorbestraft. Im Sommer 2011 hatte sie ihrem Freund ein Messer in den Rücken gerammt.

Verhandelt wurde am Landgericht Konstanz.
Verhandelt wurde am Landgericht Konstanz. | Bild: Arndt, Isabelle

Warum tickt diese Frau so aus? Kindheitstrauma wirkt bis heute

Auslöser für das gewalttätige Verhalten der schmalen Frau sahen Gutachter und Gericht in ihrer Kindheit und Jugend. Der Vater war Alkoholiker und wollte nach der Trennung seiner Frau nicht nur sich, sondern auch seine nun angeklagte Tochter töten. Die Mutter war psychisch krank und wollte sich ebenfalls das Leben nehmen, doch die Angeklagte fand sie und holte Hilfe.

Sie und ihre Geschwister lebten fortan in Heimen oder Pflegefamilien. Es folgten Selbstverletzungen und Psychiatrie-Aufenthalte. Alkohol und Amphetamine wurden ihr Begleiter, um die Tage zu meistern. „So schlechte Startchancen hat kaum jemand“, fasste der Staatsanwalt zusammen.

Seit ihrer ersten Verurteilung vor zehn Jahren habe sich aber Vieles zum Guten gewendet: Sie habe ihren Schulabschluss nachgeholt, eine erste Therapie begonnen, geheiratet, ihr drittes Kind zur Welt gebracht und zuletzt ein Jahr gearbeitet. Dennoch stand sie nun wieder vor Gericht. Ein Auslöser: Die Angst, in einem erbitterten Sorgerechtsstreit auch ihr drittes Kind zu verlieren.

Notwehr? Eher nicht. Aber die große Liebe, schildern Täter und Opfer

Anfangs schilderte die Angeklagte eine Notwehr-Situation. Bei der ersten Attacke im Mai habe ihr Freund sie fast bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt. Im Dezember habe sie in einer ähnlichen Situation dann Panik bekommen. Der Lebensgefährte und Zeugen schilderten das jedoch anders und entlarvten die Notwehr-Erzählung als Schutzbehauptung.

Was blieb, war das Beteuern der Angeklagten, dass sie ihren Partner nie verletzen wollte. Was bleibt, ist auch die Liebe der beiden: „Ohne den Alkohol würden wir perfekt zusammen passen. Ich will mit ihm zusammen bleiben. Er ist alles, was ich habe“, schilderte die 31-Jährige.

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Ihr 48 Jahre alter, muskelbepackter Partner sieht das offenbar ähnlich. Er sprach sich vor Gericht für sie aus und relativierte das Tatgeschehen. Der Angriff im Mai sei eher ein Herumfuchteln mit Messern gewesen. Dabei sei sie mit dem Messer an seinem Arm hängen geblieben.

„Irgendwann wird sie Sie umbringen“

Im Dezember kam er nicht mehr nur mit einer Schnittverletzung davon. Oberstaatsanwalt Ulrich Gerlach war überzeugt: „Irgendwann wird sie Sie umbringen. Das hätte jetzt schon schiefgehen können.“ Daher gehe es ihm nicht nur um eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung, sondern um eine Unterbringung, wo ihr geholfen werden solle.

Braucht es Haft oder Hilfe? Gutachter tut sich schwer

Nachdem Licht ins Tatgeschehen gebracht wurde, ging es vor allem um das Strafmaß: Während die Angeklagte sich einen Entzug wünschte, sprachen sich Sachverständiger und Staatsanwalt für eine Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik aus.

Der Sachverständige Hermann Assfalg sah zwar, dass die Angeklagte wegen ihrer Störung nur vermindert schuldfähig war, aber auch eine deutliche Wiederholungsgefahr. Eine Unterbringung sei deshalb „die einzige Chance für die Angeklagte, dass sie da irgendwie raus kommt. Wir müssen auch die Bevölkerung schützen“, plädierte der Staatsanwalt.

Sonst sei es schlicht zu gefährlich: Warum eine Therapie helfen soll

Während der Verteidiger eine weitere Chance in Form eines Entzugs für seine schluchzenden Mandantin forderte, war das Urteil des Schöffengerichts klar: „Sie sollen ihre zweite Chance bekommen“, sagte der vorsitzende Richter Joachim Dospil zu der Frau, doch dafür brauche es den Zwang und Druck einer Unterbringung. „Sie kommen dort nicht eher raus, bis Sie ihr Problem aufgearbeitet haben.“

Ohne eine Behandlung ihrer Persönlichkeitsstörung sei ein normales Leben schlicht zu gefährlich für diejenigen, mit denen sie in einen Konflikt gerate. Das überzeugte dann auch das Opfer: „Eigentlich ist es richtig so“, befand der Lebenspartner nach der Verhandlung im Gespräch mit dem Staatsanwalt. Denn so könne ihr geholfen werden.

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