Sie liebt ihren Vergewaltiger noch. In Hörweite des Verteidigers sowie Justizmitarbeitern gesteht die Geschädigte ihrer besten Freundin im Landgericht Konstanz, dass sie noch Gefühle für den Mann hat, den sie angezeigt hat. Er wird wenig später dafür verurteilt, dass er sie im Juni 2019 mit Schlägen zum Sex gezwungen hat. Richter und Schöffen hielten diese Tat für erwiesen, auch an insgesamt drei Fällen der Körperverletzung gab es für sie keinen Zweifel: Der 38-jährige Angeklagte aus Engen räumte ein, dass es immer wieder zu „Fechtereien“, wie er es nannte, zwischen ihm und seiner damaligen Partnerin gekommen sei. Dabei fiel es an den beiden Verhandlungstagen teils schwer, die Dynamik dieser Beziehung zu durchschauen.

Er wollte ihr und der Beziehung eine Chance geben

„Manche Leute tun einander einfach nicht gut.“ Mit diesen Worten fasste der vorsitzende Richter Joachim Dospil zusammen, was er nach acht Zeugenaussagen über das Paar aus Engen erfahren hatte. Sie hatten sich im Internet kennengelernt und für ein Jahr in einer Beziehung gelebt, die immer wieder von Auseinandersetzungen geprägt war. Dass es nicht ganz einfach werden würde, hat sich schon früh angekündigt, wie der Angeklagte schilderte: „Beim zweiten Date hat sie sich schon mit Ritalin voll gestopft.“

Er habe selbst Suchterfahrung, konsumierte immer wieder Marihuana und machte zum Beispiel nie den Führerschein, weil wegen entsprechender Vorstrafen eine Medizinisch-Psychologische Untersuchung nötig gewesen sei. Deshalb sei er alarmiert gewesen, als sie ihre diagnostizierte Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung mit so vielen Tabletten ruhig stellen wollte. Dennoch habe er ihr und einer Beziehung eine Chance gegeben: „Ich sehe immer Chancen bei den Leuten, ich bin auch nicht perfekt.“

Dass er nicht perfekt ist, hat er mit Schlägen gezeigt.

Im Oktober 2018 haben sie sich so heftig in einem Auto am Binninger Baggersee gestritten, dass sie mit Blessuren in die Wohnung zurückkehrte. Das schilderte ihre beste Freundin, die als Zeugin ein wenig Licht in die Geschehnisse brachte. „Sie kam ganz zerstört zurück.“ Er habe sie am Baggersee mit Schlägen und Würgen gezwungen zu sagen, dass sie ihn liebt, klagte die Staatsanwaltschaft an. Dazu kamen zwei weitere Vorfälle: Im Februar 2019 habe er ihr einen Kopfstoß verpasst, weil sie putzte statt Zeit mit ihm zu verbringen. Und der Vergewaltigung im Juni 2019 war ein handfester Streit mit Schlägen und Würgen vorausgegangen.

Das könnte Sie auch interessieren

Körperverletzungen gab es, doch Vergewaltigung streitet er ab

In der Aussage des Angeklagten klang das ein wenig anders: „Dann gab‘s bissle Auseinandersetzungen“ am Binninger Baggersee. Im Reflex habe er irgendwann mal zugeschlagen. Im Februar 2019 habe auch er Schrammen davon getragen – „hinterher ist es mein Fehler, dass ich nicht zum Arzt bin“. Und der Vorwurf, dass er sie geschlagen und dann vergewaltigt habe, stimme „echt nicht“. Es sei andersrum gewesen: Sie wollte ihn nicht gehen lassen, bevor sie noch einmal Sex hatten.

Vorstrafen belasten den Angeklagten. Denn auch seine Exfreundin litt unter ihm

Der Angeklagte ist an Füßen und Händen gefesselt, wenn er in den Gerichtssaal geführt wird. Seit der Vergewaltigung im Juni sitzt er in Haft. Das Oberlandesgericht genehmigte im Januar eine Haftfortdauer, erklärte Richter Dospil. Ein Grund könnten seine Vorstrafen sein: Der 38-Jährige war unter anderem bereits vier Jahre in Haft, nachdem er seine Exfreundin belästigt, genötigt und verletzt hat. Dennoch betonte der Angeklagte, dass er normalerweise kein Gewaltmensch sei. Es habe alle zwei oder drei Wochen handfeste Meinungsverschiedenheiten gegeben, besonders wenn seine damalige Partnerin Ritalin oder Speed benötigt habe.

Die beste Freundin der Geschädigten erklärte: „Die haben eine komische Beziehung geführt. Er war fürsorglich, aber sie wollte es nicht“, daher sei es häufig zum Streit gekommen. „Das ist ja schrecklich, stellen Sie sich so eine Beziehung vor?“, fragte der Vorsitzende Richter den Angeklagten. So wirklich beantworten konnte der das nicht.

Extreme Stimmungsschwankungen von todtraurig bis unerklärlich lachend

Was seine ehemalige Partnerin bewegte, erfuhren Prozessbeobachter nur über andere: Sie sagte unter Ausschluss der Öffentlichkeit aus. Zu privat seien die Antworten auf die Fragen von Richter, Staatsanwalt und Verteidigung, und zu labil sei die Nebenklägerin, argumentierte ihre Anwältin. Ärzte diagnostizierten bei ihr auch eine Borderline-Störung und eine posttraumatische Belastungsstörung.

Eine Borderline-Erkrankung zeigt sich häufig mit einem gestörten Selbstbild und raschen Stimmungswechseln, wie sie auch ein als Zeuge geladener Polizist schilderte: Am Tag der Vergewaltigung habe sie in der Klinik einen „sehr mitgenommenen Eindruck“ gemacht und extreme Stimmungsschwankungen gehabt. „Sie war mit der Gesamtsituation komplett überfordert.“ Weil sie mal geweint hat, mal aggressiv geworden ist und dann unerklärlich zu lachen begonnen hat, habe er am Tattag auf eine förmliche Vernehmung verzichtet. Die Geschädigte sei dann freiwillig zur Behandlung ins Zentrum für Psychiatrie auf die Reichenau gegangen.

Drei Vorwürfe werden fallen gelassen

Angeklagt waren zwei weitere Vergewaltigungen, bei denen der Angeklagte seine schlafende Partnerin genötigt haben soll. Da der Angeklagte und laut Dospil auch die Geschädigte aber beide angaben, dass er sie stimulieren wollte und sofort aufgehört habe, als sie Nein sagte, wurden diese Vorwürfe fallen gelassen. Weil es in der Beziehung nahezu jeden Tag Sex gegeben habe, sei schwer auszumachen gewesen, dass es an diesen Tagen anders sein sollte, waren sich Staatsanwaltschaft, Richter und Verteidigung einig.

Eine Körperverletzung, die an ihrem Geburtstag im Januar geschehen sein soll, könne man schwer nachvollziehen, sagte Richter Joachim Dospil. Auch dieser Anklagepunkt wurde daher eingestellt. Verurteilt wurde der Angeklagte letztlich wegen zwei Körperverletzungen, Vergewaltigung und Nötigung zu drei Jahren Haft.

Das könnte Sie auch interessieren

Richter rät: Es gibt genügend andere Frauen und Männer

„Ich wünsche Ihnen bei der Partnerschaftswahl ein wachsames Auge“, sagte der Richter fast mahnend nach der Urteilsverkündung. Die beiden hätten sicher ihre guten Zeiten gehabt und er glaube dem Angeklagten seine Reue. „Aber so darf es nicht eskalieren.“ Nach mehreren Anzeigen und einer sogenannten Gefährderansprache, bei der Polizisten ihm einen Besuch abstatteten, habe ihm klar sein müssen, dass es so nicht weiter gehen konnte. Dospil riet dem Angeklagten, sich in der Justizvollzugsanstalt um eine Therapie zu kümmern. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, da die Verteidigung Revision eingelegt hat.

Das könnte Sie auch interessieren