Katzenjammer bei den einen, Freudentänze bei den anderen. Auch am Tag nach der Bundestagswahl liegen im Hegau Freud und Leid nahe beieinander. Obwohl die CDU in allen Hegau-Gemeinden die Nase bei den Zweitstimmen vorne hatte – mit Ausnahme von Singen, dort war die Alternative für Deutschland (AfD) knapp die stärkste Gruppierung – geht die AfD doch als größter Gewinner aus der Wahl hervor. Die zum Teil als rechtsextrem eingestufte Gruppierung konnte den meisten Zuwachs für sich verzeichnen.

Steffen Jahnke, Sprecher der AfD im Kreis Konstanz, spricht von einem ganz guten Ergebnis, das sich abgezeichnet habe. „Die AfD ist aber noch nicht am Ende, wir werden weiter daran arbeiten, mehr Menschen von unserer Politik zu überzeugen“, kündigt er an. Vor allem das Ergebnis in Singen habe er gerne vernommen. „Wir sind in Singen stärkste Kraft, das kommt für viele vielleicht überraschend, für uns aber nicht“, so Jahnke.

Den Erfolg der AfD sehe er vor allem in einer Unzufriedenheit der Menschen mit den etablierten Parteien begründet. Darauf angesprochen, dass die AfD das Thema Migration im Wahlkampf für sich genutzt habe, verneint er. „Wir haben uns dieses Thema nicht ausgesucht, aber wir sprechen schon seit zehn Jahren davon, dass deutsche Grenzen geschlossen werden müssen“, so Jahnke. Aber bisher sei nichts passiert.

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Auch in manchen Hegau-Orten hat die AfD sehr stark abgeschnitten, in Büsingen zum Beispiel. In der deutschen Exklave, die komplett von Schweizer Gebiet umschlossen ist, bekam sie 26,1 Prozent der Zweitstimmen, die CDU liegt bei 26,4 Prozent – und das, obwohl man dort auf ein gutes Verhältnis zu den Nachbarn angewiesen ist. Dass ein starkes Abschneiden der AfD die grenzüberschreitende Zusammenarbeit gefährdet, sieht Bürgermeisterin Vera Schraner indes nicht.

Eine handfeste Erklärung für den hohen Anteil an AfD-Wählern hat sie allerdings nicht parat. Allerhöchstens könnte der Blick über die Grenze in die Schweiz ein Grund sein, wo die ebenfalls rechtsgerichtete SVP relativ stark ist.

Kaum da und dennoch viele Stimmen bekommen

Ein anderer Hegau-Ort, in dem der Ergebnisbalken der AfD ziemlich hoch ist, ist Aach. Mit 28,2 Prozent der Zweitstimmen ist sie nah an die CDU herangekommen, die 31,4 Prozent der Zweitstimmen erzielt hat. Aachs Bürgermeister Manfred Ossola stellt zunächst die hohe Wahlbeteiligung von 85,7 Prozent heraus (2021: 78,5 Prozent). Er habe es allerdings als enttäuschend empfunden, dass das Engagement der bisherigen drei Bundestagsabgeordneten des Wahlkreises Konstanz, Andreas Jung (CDU), Lina Seitzl (SPD) und Ann-Veruschka Jurisch (FDP), kaum gesehen worden sei. Alle drei hätten sich sehr für die Region eingesetzt.

Den Stimmenzuwachs habe jemand erzielt, der zwar in Kreistag und Landtag sitze, vor Ort aber nicht positiv in Erscheinung getreten sei, so Ossola – gemeint ist damit AfD-Kandidat Bernhard Eisenhut. Das habe ihn überrascht. „Die einfachen Parolen haben offenbar verfangen“, lautet seine Beobachtung. Dass all diese Wähler rechtes Gedankengut hätten, glaube er aber nicht.

Die Abstimmung in der Singener Ekkehardschule (von links): Wähler Caroline-Annabelle Jahn, Corinne-Cathleen Jahn und Tilo Jahn sowie ...
Die Abstimmung in der Singener Ekkehardschule (von links): Wähler Caroline-Annabelle Jahn, Corinne-Cathleen Jahn und Tilo Jahn sowie Wahlhelfer Oliver Huber und Lena Moser. | Bild: Kerle, Helene

FDP-Aus ist ein weiterer Paukenschlag

Ein weiterer Paukenschlag bei dieser Bundestagswahl ist, dass die FDP nicht mehr im Parlament vertreten sein wird. Hilzingen ist eigentlich eine Hochburg der Liberalen, ihr Stimmenanteil bei Wahlen in der Regel recht groß. Auch bei der Bundestageswahl lag Hilzingen mit 7,2 Prozent bei den Zweitstimmen deutlich über dem bundesweiten Ergebnis von 4,3 Prozent. Dennoch fordert Birgit Homburger, Kreisvorsitzende der FDP, einen Neuanfang: „Das Ergebnis ist enttäuschend, wir müssen die Partei jetzt neu aufstellen.“

Deshalb sei der angekündigte Rücktritt von Parteichef Christian Lindner für sie nachvollziehbar. „Ein Neuanfang fängt beim Kopf an“, sagt Homburger.

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Angesprochen auf das Ergebnis ihrer Partei in Hilzingen sagt Homburger: „Wenn Deutschland so gewählt hätte wie Hilzingen, dann wären die FDP und vor allem unsere Kandidatin Ann-Veruschka Jurisch wieder im Bundestag dabei.“ Und genau dieser Umstand wurme sie, denn Deutschland brauche eine starke liberale Partei wie die FDP – gerade mit Blick auf sichere Arbeitsplätze und wirtschaftliche Rahmenbedingungen.

Wo die Welt der CDU noch in Ordnung ist

Bei allem Erfolg der AfD gibt es auch die Hochburgen der CDU. In Tengen zum Beispiel erhielt die künftige Kanzlerpartei 40,3 Prozent der Zweitstimmen. Die AfD erreichte dort 16,8 Prozent. Ähnlich sieht es in Steißlingen aus, wo die Welt aus CDU-Sicht ebenfalls noch in Ordnung ist. Bei den Zweitstimmen erzielte die CDU 39,3 Prozent, die AfD folgt erst mit weitem Abstand mit 18,5 Prozent.

Benjamin Mors ist Bürgermeister von Steißlingen und Vorsitzender des Gemeindetages im Landkreis Konstanz. Nach der Bundestagswahl hat er vor allem einen Wunsch, den er in Richtung Berlin sendet: „Die Menschen brauchen jetzt Ruhe und Verlässlichkeit in der Politik.“ Das sei wichtiger denn je, denn es sei nach den unruhigen Monaten nicht wichtig, parteipolitische Schwerpunkte zu setzen.

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Mit Blick auf die anstehenden Koalitionsgespräche fordert Mors allerdings schnelle Ergebnisse: „Es ist die Aufgabe der Bürgermeister und Gemeinderäte vor Ort, mit den Vorgaben aus Berlin zu arbeiten.“ Und diese Grundlagen gelte es jetzt zu formulieren: „Wir brauchen diese Grundlagen, damit wir Bürgermeister, Verwaltungen und auch der Gemeinderat arbeiten können“, so Mors.