Herr Al Barjas, wie geht es Ihnen nach der brutalen Attacke heute?
Danke, inzwischen geht es wieder besser. Dank einer sechsstündigen Notoperation konnte ich gerettet werden. Ein Glück war, dass ich schnell genug im Krankenhaus war.
Was ist an jenem Montag im Dezember genau passiert?
Wir waren zu dritt in meinem VW Bus unterwegs, als am Friedrich-Ebert-Platz plötzlich ein Kleinwagen vor uns scharf abbremste und mehrere Leute heraus sprangen, die plötzlich auf die Fahrzeugscheiben eingeschlagen haben. Einer hat mich gepackt, meine Oberschenkel mit dem Messer traktiert und dabei gesagt, dass er mir die Männlichkeit nehmen wolle.
Wie haben Sie persönlich das Geschehen erlebt?
Es war ein schrecklich hilfloses Gefühl. Erst der schreckliche Lärm, die herumfliegenden Glassplitter und dann die Schmerzen nach dem Angriff, bei dem die Männer auch auf meinen Kopf eingeschlagen haben. Die Narben sind noch gut zu erkennen. Schnell ist deutlich geworden, dass die Angreifer es auf mich abgesehen haben.
Wie kommen Sie auf diesen schrecklichen Verdacht?
Ständig heißt es, es sei ein Streit zwischen zwei Familien. Aber das stimmt so nicht. Immer bin ich das Ziel. Auch bei der jüngsten Attacke war ich gemeint und meine beiden Mitfahrer kamen mit leichten Verletzungen davon. Und dieser Angriff war nicht der erste. Seit einiger Zeit stehe ich im Zentrum und habe dies auch schon der Polizei gemeldet. Was die syrische Familie, die aus dem gleichen Ort stammt wie ich, gegen mich hat, kann ich mir nicht genau erklären. Es könnte sich um einen Missverständnis im Austausch durch die sozialen Medien handeln. Seit beinahe drei Jahren gibt es immer wieder neue Angriffe. Heftig war ein Vorfall im September 2018, als ich mit meiner hochschwangeren Frau auf dem Weg ins Krankenhaus von einem silberfarbenen Mazda so ausgebremst wurde, dass durch die notbremsung unser ungeborenes Kind in Lebensgefahr schwebte. Genau der gleiche Mazda war jetzt an dem Angriff wieder beteiligt, als er an der grünen Ampel am Friedrich-Ebert-Platz plötzlich vor uns stoppte. Ich habe ihn aber zu spät wieder erkannt.
Und was ist nach dem damaligen Angriff passiert?
Die Ärzte im Krankenhaus haben mich gefragt, ob sie das Leben meiner Frau oder meines Kindes retten sollen. Was soll man da antworten? Zum Glück ist es für beide gut ausgegangen. Wir haben Anzeige erstattet – aber ohne Erfolg.
Und die Polizei konnte nichts unternehmen?
Seither kam es immer wieder zu Bedrohungen und Beleidigungen. Insgesamt 25 Anzeigen haben wir seither gemacht. Alle wurden eingestellt, weil Aussage gegen Aussage im Raum standen und sich die Vorfälle nicht beweisen ließen. Seit Oktober ermittelt sogar das Landeskriminalamt, weil der Verdacht besteht, dass auch ein Syrer beteiligt ist, der für den islamischen Staat in Syrien aktiv war. Bislang hatte ich immer großes Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat.

Was meinen Sie damit?
Man wird immer wieder bedroht und beleidigt und wendet sich an die Polizei. Wir vertrauen unserer Polizei – anders als in Syrien. Gewalttaten werden dort oft nicht verfolgt. Aber wenn man feststellt, dass die Polizei nichts unternehmen kann, wird man unsicher. Dennoch sage ich, Gewalt ist keine Lösung.
Wie kam es eigentlich zu dem Polizei-Großeinsatz wenige Tage zuvor am 5. Dezember in der Rielasinger Straße?
Mitglieder der anderen Familie haben mitbekommen, dass ich dort war, um Obst bei einem Händler zu kaufen, der seinen Lieferwagen dort geparkt hatte und seine Ware am Straßenrand verkaufte. Schnell war jemand da, der mich anmachte. Er drohte mir, dass mein Blut auf der Straße fließen werde. Das haben sie ja inzwischen geschafft. An diesem Tag gelang mir aber die Flucht, weshalb meine Angreifer versuchten in das Haus zu kommen. Das hat dann die Polizei auf den Plan gerufen.
Nur wenige Tage später konnten Sie nicht mehr fliehen.
Nein. Es ging alles so schnell und man muss den Eindruck haben, dass die Jugendlichen mit ihrem Streit am Herz-Jesu-Platz ein bewusstes Ablenkungsmanöver für die Polizei gestartet hatten. Den Beamten war ja bekannt, in welcher Gefahr ich schwebe. Wir waren gerade auf dem Weg zum Polizeirevier, als die Männer mich angegriffen haben.
Kennen Sie den aktuellen Stand der Ermittlungen?
Nein, nicht genau. Aber wie ich gehört habe, sind inzwischen neun Verdächtige in Haft.
Zu Person und Ermittlungsstand
Zur Person: Mezar Al Barjas lebt seit 22 Jahren in Deutschland. Der damals 20-Jährige kam 1999 aus dem syrischen Ort Dejr ez Zor nach Deutschland und lobt die Integrationsarbeit der Fußballvereine, wo er als Spieler schnell Anschluss gefunden habe. Al Barjas ist verheiratet und Vater von fünf Kindern.
Zur Chronologie: Im Dezember eskalierte ein jahrelang schwelender Konflikt. Bereits am 5. Dezember musste die Polizei bei einem Streit in der Rielasinger Straße einschreiten. Die Tatverdächtigen entkamen unerkannt. Beim Angriff auf den Kleinbus am 14. Dezember hat das 42-jährige Opfer – wie es im Polizeibericht heißt – durch Messerstiche schwerste Verletzungen davongetragen. Inzwischen konnten mehrere Tatverdächtigen in diesem Fall festgenommen werden. Doch die Ermittlungen sind nicht abgeschlossen. Die Frage nach einer Beteiligung des LKA an den Ermittlungen konnte seitens des Polizei bis Redaktionsschluss nicht beantwortet werden. Zeugen werden gebeten, sich mit dem Polizeirevier Singen in Verbindung zu setzen, Telefon (07731)888-0. (bie)