In welchem der drei Gebiete Jura Ost, Nördlich Lägern und Zürich Nordost das Schweizer Atommüllendlager entstehen soll, wird bis Herbst entschieden. Nach der Tiefbohrung in Rheinau, das zum Gebiet Zürich Nordost gehört, wurde die Region in Grenznähe von der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) als geeignet eingestuft. Das heißt, das dem Hegau am nächsten liegende Gebiet, kommt weiterhin als Standort infrage. Die grenznahen Gemeinden, zuerst Gailingen und Büsingen und später auch Gottmadingen und Rielasingen-Worblingen, sind in einer Regionalkonferenz am Prozess beteiligt. Ihr Einfluss, so zwei Bürgermeister, sei aber gering.

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Die Bürgermeister der deutschen Nachbargemeinden eint ein Ziel: „Unser Interesse ist, dass das Atommüllendlager nicht in die Region kommt. Das wäre für uns der schlimmste anzunehmende Fall“, sagt Gailingens Bürgermeister Thomas Auer. Ein Endlager in der Region Zürich Nordost wäre von seiner Gemeinde je nach Standort vier bis fünf Kilometer entfernt. Doch das sei für die Schweiz von nachgeordneter Bedeutung. Entscheidend sei, ob der Standort zur Endlagerung von Atommüll sicher sei.

Das bestätigt Nagra-Pressesprecher Patrick Studer: Die Nachbarn könnten sich in den Regionalkonferenzen am Prozess beteiligen, entscheidend sei aber, wo sich die Geologie am besten eigne. Die Bürgermeister beschäftigt aber nicht nur der Standort an sich, sondern auch wie die Anlage gestaltet wird. Eine wichtige Frage sei, ob dort auch eine Umverpackungsanlage für den Atommüll gebaut wird, die eine Strahlenbelastung für die Region bedeuten könne. Eine solche Anlage findet sich derzeit im Zwischenlager Würenlingen in der Schweiz.

In der Jestetter Nachbargemeinde Rheinau wurde das letzte Bohrloch im Perimeter Zürich Nordost verschlossen. Im Herbst wird der ...
In der Jestetter Nachbargemeinde Rheinau wurde das letzte Bohrloch im Perimeter Zürich Nordost verschlossen. Im Herbst wird der Entscheid der Nagra über den Standort für ein Atommüll Endlager erwartet. Bild: Güntert

Für Bürgermeister Thomas Auer hat die Frage der Sicherheit bei der Standortsuche ebenfalls oberste Priorität. Außerdem liegt ihm am Herzen, dass man die Auswirkungen eines solchen Projekts für die Region durch regionale Entwicklungspläne auffängt. „Was kann man tun, um negative Einflüsse auf die Region zu verhindern?“, ist eine Frage, mit der er sich in der Arbeitsgruppe regionale Entwicklungsmaßnahmen bei der Regionalkonferenz beschäftigt.

Für den Gottmadinger Bürgermeister Michael Klinger ist die Standortfrage die entscheidende: „Aus meiner Wahrnehmung geht es jetzt um die Wurst.“ Die Möglichkeit der Einflussnahme der deutschen Gemeinden sei aber eher gering. Die Regionalkonferenzen, bei denen sich Gruppierungen und Bürger am Prozess beteiligen können, seien in erster Linie ein Gremium, bei dem direkt Betroffenen in der Schweiz ihre Interessen vertreten. Diese Detailfragen seien für die deutschen Grenzgemeinden weniger von Interesse.

Modell eines Tiefenlagers mit verschiedenen Stollen für hoch-, schwach- und mittelradioaktive Abfälle.
Modell eines Tiefenlagers mit verschiedenen Stollen für hoch-, schwach- und mittelradioaktive Abfälle. | Bild: Nagra

Der Verein „Klar – kein Leben mit atomaren Risiken“ mit Sitz in Singen und Mitgliedern in der ganzen Region protestiert seit 19 Jahren gegen Atomkraftwerke und Atommülllager.

Nachdem Deutschland und die Schweiz den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen habe, würden viele denken, das Thema würde sie nicht mehr betreffen. „Der Atommüll wird uns aber noch über Generationen hinweg beschäftigen, genau wie das Gesamtthema Müll. Gerade Menschen, die Kinder haben, sollten sich dafür interessieren“, erklärt Annamaria Waibel, Vorsitzende des Vereins.

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Der Verein bringe sich in die Diskussion ein, wann immer es möglich ist, so auch bei den deutschen Konferenzen zur Standortsuche. Bei der Schweizer Standortsuche dürfe der Verein, der auch mit den Schweizer Atomkraftgegnern zusammenarbeite, nicht mitreden. Die Proteste hätten, auch Corona-bedingt, etwas nachgelassen. Doch im August sei eine 1000-Kilometer-Protest-Radtour geplant, die auch ins Gebiet Zürich Nordost führen soll.

Zeitplan der Nagra und offene Fragen

  1. Was macht die Nagra und wie sieht der Zeitplan aus? Die Nagra hat die Aufgabe, langfristig sichere Lösungen zur Entsorgung von radioaktiven Abfällen zu entwickeln. Seit 2008 läuft die Standortsuche nach einem geologischen Tiefenlager. Ausgehend von einer sogenannten weißen Landkarte, wurden zunächst sechs und dann drei mögliche Standorte benannt. Bis Herbst soll eine Entscheidung für einen getroffen werden. Etwa 2031 soll ein rechtskräftiger Standortentscheid vorliegen. Die Inbetriebnahme des Lagers ist für 2050 vorgesehen.
  2. Wie geht die Nagra mit offenen Fragen um? Die Nagra-Forschungschefin Irina Gaus und Pressesprecher Patrick Studer informierten in einem Pressegespräch über den Umgang mit den offenen Fragen des Generationenprojekts Atommüllendlager. Durch konservative Annahmen, eine möglichst genaue Erforschung, Minimierung der Auswirkungen und einem stetigen Anpassen des Konzepts an neue Forschungsergebnisse versuche man offenen Fragen zu begegnen. Eine Ungewissheit sei beispielsweise das Thema Erosion: Die nächste Eiszeit werde kommen und damit der nächste Gletschervorstoß. Es soll vermieden werden, dass das Tiefenlager von Gletschern freigelegt werde. Deshalb müsse die Forschung die Frage klären, wie weit die Gletscher vorstoßen und wie tief sie sich in den Untergrund fressen.