Wie erlebten Menschen mit Migrationshintergrund den Lockdown in Singen? Diese Frage wurde bei einer Podiumsdiskussion erörtert, zu der der Verein Integration in Singen (Insi) im Rahmen der interkulturellen Woche in den Bürgersaal eingeladen hatte. In Singen wird die Interkulturelle Woche alle zwei Jahre von der Stadt Singen und Insi organisiert. In den dazwischen liegenden Jahren gibt es alle zwei Jahre einen Singener Abend der Kulturen. Klar wurde, dass jeder – egal welcher Herkunft – die Lockdown-Situation als schrecklich empfunden hat, aber dass man dennoch nie aufgeben darf, selbst wenn man in dieser Zeit vielleicht den Job verloren habe.
Aus ganz unterschiedlichen Bereichen hatten die Veranstalter Menschen eingeladen, die ihre Heimat in Singen gefunden haben, aber ursprünglich eine andere Heimat oder Herkunft hatten. Dabei waren der Vorsitzende des Fußballvereins AFC Rinia, Egzon Imeri, der Amcor Betriebsratsvorsitzende Salvatore Valentino, Hohentwiel-Apothekerin Faisa Younes, Facharzt Aram Bani, der vergangenes Jahr den Zivilcourage-Preis überreicht bekam, sowie Elternmentorin Fatme Fattah, Mutter von fünf Kindern.
Moderiert wurde die Veranstaltung von Bea Gabele als stellvertretende Insi-Vorsitzende und Marcel DaRin von der Kriminalprävention in Singen. Die Moderatoren fassten zunächst besondere Auffälligkeiten zu Beginn des Lockdowns zusammen: neue Gesichter, neue Fachleute, Hamsterkäufe und dann plötzlich auch Widerstand von Querdenkern. Das Leben habe plötzlich still gestanden, alles sei etwas gespenstisch gewesen.
Fatme Fatteh hatte plötzlich ihre fünf Kinder, die in vier verschiedene Schulen gehen, zuhause zu unterrichten. „Wir haben keinen Computer zuhause, es lief alles über mein Handy“, erzählt sie. Ihr jüngster Sohn habe ihr später mal gesagt, er hätte die Hausaufgaben lieber in der Schule gemacht, weil er zuhause abgelenkt war und der Älteste hatte besonders den Kontakt zu den Mitschülern vermisst. Auch als Elternmentorin in der Waldeck-Schule und im Peter-und-Paul-Kindergarten habe sie bis Mitte Juni dann nicht mehr arbeiten können, weil beispielsweise das Elterncafé in der Waldeck-Schule geschlossen war. Ihr Mann habe in dieser Zeit die Kündigung bekommen. „Ich habe mein Bestes gegeben und man darf trotz einer Lebenskrise niemals aufgeben“, lautet ihr Fazit.
Die Apotheke von Faisa Younes war in der Lockdown-Zeit natürlich Anlaufstelle vieler Migranten. Sozialberatung und psychologische Betreuung der Kunden seien oft noch zu der normalen Arbeit hinzugekommen. Ständig habe sich ihr Team auf neue Richtlinien einstellen müssen. „Wir mussten auch viel Aufklärungsarbeit leisten, besonders in punkto Maskenpflicht und Handdesinfektion.“

Aram Bani musste in seiner Praxis für Neurochirurgie zu Beginn auch Operationen verschieben und Ärzte kurzzeitig in Kurzarbeit schicken. „Mit den Erfahrungen von heute hätte man den Lockdown verhindern können“, ist er überzeugt. Als größte Opfer des Lockdowns sieht er jedoch die Kinder, denen aufgrund des ausgefallenen Unterrichts nun Monate fehlen. „Präsenzunterricht und das Zusammensein in der Schule ist einfach immens wichtig“. Ein großes Lob Banis galt der Arbeit des Singener Krankenhauses, die vorbildlich gelaufen sei. „Das Gesundheitswesen ist nicht dazu da, Gewinn zu machen, sondern für den Dienst am Menschen“, appellierte er und bekam Applaus.
Salvatore Valentino wollte zu Beginn des Lockdowns eigentlich seine Mutter in Kalabrien besuchen. Im August war er dann in Italien und spürte dort, dass die Menschen neidisch sind, weil in Deutschland alles viel besser lief. Bei Amcor habe man die 1200 Mitarbeiter anfangs über Monitore und Infoblätter informiert. „Zum Glück waren wir systemrelevant und durften arbeiten, weil wir Medikamentenverpackungen herstellen“. Für Valentino ist nun noch mehr Solidarität wichtig. Man sollte schauen, dass man in Europa näher zusammenrückt und noch mehr Menschen wieder in Arbeit bringt, statt superbillig in China produzieren zu lassen.
Der 2019 gegründete Fußballverein AFC Rinia konnte wegen des Lockdown nicht wie gedacht in die erste Saison starten. „Als wir wieder spielen durften, war zunächst große Freude da, aber auch viel Arbeit, um alles richtig zu organisieren“, sagte Egzon Emeri. Besonders schwierig sei es gewesen, den Leuten beizubringen, Abstand zu halten. Deshalb habe man zunächst ohne Zuschauer gespielt. Emeri ist aber überzeugt, dass der Lockdown die Menschen mehr zusammengeschweißt hat.
Vor und nach der Diskussion unterhielt Elias Gabele mit zwei Stücken auf der Harfe.