Singen – Die 1980er Jahre waren in Singen eine Zeit der Feste. 1200-Jahr-Feier, Stadterhebungsfest und schließlich zehn Jahre Theater „Die Färbe“. Peter Simon wäre nicht Peter Simon, wenn er daraus nicht einen Knüller gemacht hätte. Nicht genug, dass er mit seinem Ensemble zum Geburtstag gleich vier Uraufführungen in einer Spielzeit lieferte; nein er hatte sich auch noch rechtzeitig um die Ausrichtung der sechsten baden-württembergischen Kleintheatertage im Mai 1988 beworben. Unterstützung erhielt er dafür reichlich von der Stadt. Der damalige Oberbürgermeister Friedhelm Möhrle, war selbst ein glühender Anhänger des Theaters und Vorsitzender des Fördervereins. Er erkannte die Chance für die Stadt, mit einem kleinen, hochkarätigen Privattheater überregional bekannt zu werden. Für eine Stadt in der Größe von Singen war das eine Sensation.
Was 1978 noch als gewagtes Unternehmen eingestuft wurde, hatte sich bereits zehn Jahre später etabliert. Möhrle damals: „Die Entwicklung des Experiments ‚Färbe‘ zur Institution, zu einem der wichtigsten Faktoren des regionalen Kulturangebots, ist beispielhaft für die Entwicklung der Arbeiter- und Industriestadt Singen zu einem kulturellen Mittelpunkt des Raumes.“ Möhrle verwies darauf, dass Kulturarbeit einen wesentlichen Beitrag zur Gestaltung der Gesellschaft leiste. Privattheater seien durch ihre Fähigkeit zu improvisieren und unmittelbar auf Veränderungen und wesentliche Fragen zu reagieren, in der Lage, positive Unruhe zu stiften und das kulturelle Leben in Bewegung zu halten.
Diese Einschätzung sollte keine blanke Theorie bleiben. Zehn Jahre lang hatte Peter Simon mit seinem Ensemble bewiesen, dass die „Färbe“ alles andere als stromlinienförmig ist. Das Theatertreffen in Singen vom 14. bis 22. Mai brachte 1988 noch mehr Bewegung in die Stadt. Gespielt wurde im Theater „Die Färbe“, im Garten und in der „Kunsthalle“. Der Eintritt betrug für alle Vorstellungen 15,20 D-Mark und ermäßigt 10,20 D-Mark.
Die heutige Theater-Chefin Cornelia Hentschel kann sich noch gut an diese Zeit erinnern. Peter Simon hatte ihr ein Praktikum ermöglicht und sie dann sogar für die gesamte Spielzeit engagiert. „Dafür habe ich mein Studium der Theaterwissenschaft in München unterbrochen“, erzählt sie. „Wir hatten einen Hammer-Spielplan mit vier Uraufführungen.“ Eine davon fand zur Eröffnung, die andere zum Schluss der Theatertage statt. Alle möglichen Spielflächen waren belegt. In der Kneipe wurde das viel beachtete Stück „Zeitweh“ von Franz Xaver Kroetz uraufgeführt. Im Theaterzelt ging Carl Sternheims Stück „Der Abenteurer“ zum ersten Mal über die Bühne.
„Das Sternheim-Stück wollte Peter Simon unbedingt machen“, berichtet Cornelia Hentschel. „Wir waren alle total überrascht, als wir dann vom Verlag erfuhren, dass das eine Uraufführung werden würde.“ Zwei Uraufführungen, zwei Bühnenbilder, die Organisation der Kleintheatertage: Die Mannschaft stand damals unter Hochdruck. Cornelia Hentschel war dankbar für ihr Praktikum, aber auch – wie sie sich selber beschreibt – damals sehr bescheiden. Für sie war die Zeit extrem spannend.
Nach dem Studium kam Cornelia Hentschel zurück nach Singen und blieb. Von Peter Simon hat sie sich sehr viel abgeschaut. Sie war sich für keinen Job zu schade. Heute leitet sie das Theater und ist dankbar für die Unterstützung durch die Stadt und vom Land. Von Simon hat sie auch die Beschreibung des Hauses übernommen: „Die Färbe ist ein kleiner Betrieb mit dem Anspruch eines Staatstheaters. Wir sind ein professioneller Betrieb mit professionellen Schauspielern und eigenem Spielplan. Die Produktionen entstehen hier vor Ort. Das ist das Besondere und macht uns interessant für die Zuschauer.“
Cornelia Hentschel ist dankbar für die Unterstützung durch das Land. Dabei denkt sie besonders an den damaligen Kunstkoordinator im Kultusministerium, Hannes Rettich. Der habe das Ziel verfolgt, die Privattheater-Szene flächendeckend im Land auszubauen. „Andere Bundesländer sind da nicht so großzügig“, weiß die Färbe-Chefin. „Ohne Hannes Rettich gäbe es die Vielfalt und die Förderung nicht.“ Ähnlich äußerte sich auch Minister Helmut Engler zur Eröffnung der 6. Kleintheatertage in Singen. Nicht nur die Landeshauptstadt oder Ballungszentren sollten mit Kunsteinrichtungen versehen sein, sagte er. Auch in den Regionen des Landes müsste dieses Bedürfnis befriedigt werden.
Positive Unruhe stiften, kulturelle Bedürfnisse befriedigen, all das will Cornelia Hentschel auch in Zukunft tun. Gerne würde sie sich noch einmal für die Kleintheatertage bewerben. Und sehr gerne würde sie den Färbe-Garten wieder mehr beleben. Bei der aktuellen Produktion „Bauernopfer“ habe sich wieder gezeigt, wie gut sich der Garten dafür eigne.
Pläne gibt es bereits in der Schublade. „Schon 1988 wollten wir für die Theatertage einen Pavillon bauen“, erzählt sie. „Es gab ein Modell, eine großzügige Zuschusszusage vom Land, eine Baugenehmigung, und der Statiker und der Architekt sind bezahlt.“ Alles wäre bereit gewesen für den Bau. Dass trotzdem nichts daraus wurde, lag an Einsprüchen aus der Nachbarschaft. Dort fürchtete man eine höhere Lärmbelästigung.
Davon lässt sich Cornelia Hentschel nicht entmutigen. Sie will einen neuen Versuch unternehmen. Mit dem Vorschlag eines Sommertheaters hat sie sich bei der Stadt in der jüngsten Ausschreibung als neue Theaterchefin beworben. Den Pachtvertrag für den Theaterbetrieb hat sie bekommen. Ein Freibrief für die neuen Pläne ist das dennoch nicht. Kein Grund für Cornelia Hentschel, es nicht nochmal zu versuchen.