Sie nennen sich Interessengemeinschaft. „Wir sind kein Verein“, betont Christine Schweikle, wenn sie erklärt, wie die Gruppe der Fotofreunde Singen aufgestellt ist. Ein loser Verbund also, der sich vor zehn Jahren um Heinrich Brendel und Bernd Lindgens gegründet hat. Ohne Vereinsstatuten und Ämter, sondern aus reinem Interesse an der Fotografie. Einmal im Monat trifft man sich immer am ersten Donnerstag in der Goldenen Kugel, um über Fotografien, Aufnahmetechniken, Material und Effekte zu diskutieren. Und weil die Begeisterten aus Singen und dem Hegau kommen, hatte Bernd Lindgens den Wunsch, sich im Jahr des 125-jährigen Stadtjubiläums noch etwas intensiver mit der Stadt zu beschäftigen.
Die Idee einer Ausstellung war geboren. Unterstützung von Seiten der Stadt und vom Fotostudio Wöhrstein gab es dafür auch. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Als letzter Baustein im Jubiläumsreigen wurde die Ausstellung nun im Bürgersaal des Singener Rathauses eröffnet. Es sei die erste Ausstellung der Fotofreunde im Rathaus, sagte Melina Tachtalis vom Kulturbüro in Vertretung des Oberbürgermeisters Bernd Häusler und der erkrankten Fachbereichsleiterin Catharina Scheufele. Es sei erstaunlich, was gemeinsames Interesse bewirken und hervorbringen könne.
Aufnahmen überraschen auch Alt-Singener
14 der 20 Fotofreunde haben sich mit ihren Arbeiten an der Ausstellung beteiligt. Und tatsächlich können selbst Alt-Singener bei den Aufnahmen ins Staunen geraten. Das erzeugt Spannung und verursacht einen wacheren Blick für den nächsten Stadtspaziergang. Es sind die ungewöhnlichen Perspektiven, die besondere Ausleuchtung, die farbliche Verfremdung und sogar der Einsatz von künstlicher Intelligenz, die einen neuen Eindruck von Singen und dem Hegau vermitteln. „Wir wollen Geschichten erzählen und Emotionen wecken“, sagte Christine Schweikle in ihrer Begrüßung.
Dabei könne es kaum unterschiedlicher zugehen. Blickwinkel, die Wahl der Ausrüstung, das Format: Alles folge der individuellen Sichtweise. Bei den Fotofreunden ist von der Profikamera bis zum Smartphone alles erlaubt. Was zählt, ist alleine das Interesse am Thema Fotografie.

Hier ist Reiner Wöhrstein mit seiner jahrzehntelangen Expertise als Fotografenmeister und Unternehmer mit im Spiel. Als Ratgeber habe er den Fotofreunden immer wieder Impulse gegeben und schließlich auch mit seinem Labor für die hohe Druckqualität gesorgt. Bezogen auf eine Zeitungsglosse, in der die Menschen dazu aufgerufen wurden, weniger zu fotografieren und dafür mehr im Augenblick zu leben, sagte Wöhrstein: „Ohne Fotos gäbe es keine Informationen für die Presse, keine Erinnerungen für die Enkel, keine Erinnerungen an wichtige Momente.“
Für den Fachmann spielt es dabei keine Rolle, ob die Aufnahmen mit einer klassischen Kamera oder mit dem Smartphone gemacht wurden. Vor der neuen Technik dürfe man sich nicht verschließen. Alles habe seine Berechtigung.
Junge Menschen wollen analog fotografieren
Bei jungen Menschen erlebe er immer wieder, dass sie die Kunst der analogen Fotografie bis hin zum Entwickeln wieder erlernen wollten und nach entsprechenden Kameras suchten. Gleichzeitig müsse man sich mit den neuen Formen der Bildbearbeitung vertraut machen. Dazu zählt er auch die künstliche Intelligenz (KI), mit der man aus Fotografien Zukunftsvisionen zaubern könne.
Ein Beispiel dafür, wie das aussehen kann, ist von Thomas Wöhrstein in der Ausstellung zu sehen. Großformatig schaut ein Auge den Betrachter an. Mit dem Lidschlag scheint es die Hegaulandschaft geöffnet zu haben. Im Hintergrund erhebt sich der Hohentwiel. Der Glanz des Acrylglases verstärkt den Eindruck.
Bildbearbeitung ist aber nichts Neues. Es kommen nur immer wieder neue Techniken dazu. So zeigt zum Beispiel Bernd Lindgens den alten Güterbahnhof. Er hat seine Aufnahme in Sepia getaucht und daraus ein historisches Motiv gemacht. Wilfried Aust hingegen setzt in seiner Serie „Lost Places“ auf die nackte, schwarz-weiße Realität. Seine Motive zeigen Hinterhöfe, „Die lange Meile“ (Arkaden) in der Hauptstraße oder das Gemeindehaus der Baptisten an der Ecke Rielasinger-/Julius-Bührer-Straße. Aus seiner Perspektive könnte das auch ein Quartier in New York oder jeder anderen Großstadt sein.
Zwischen Fischauge und Spiegelungen
Karl Heinz Wenzel hat sich für das Fischaugen-Objektiv entschieden und damit Narrenbrunnen, Lenk-Stele und anderes ins Szene gesetzt. Brigitte Schmidt zeigt Singener Gebäude in verschiedenen Lichtspielen und Waltraud Baumann hat Spiegelungen fotografiert. Gleich im Eingangsbereich empfangen stark kolorierte Großaufnahmen des Singener Kapitells oder der Maggi von Olaf Doberstein die Besucher. Und Christine Schweikle hat den Singener Bahnhof bei Nacht in ein attraktives Lichtermeer getaucht. Es lohnt sich also, mit den Singener Fotofreunden im Bürgersaal auf Entdeckungsreise zu gehen.