Gibt es Streit unter den Gemeinderäten? Wollte die Stadtverwaltung den Verwaltungs- und Finanzausschuss des Gemeinderats auf Linie bringen? Und das möglichst ohne beobachtende Öffentlichkeit? Dass nach vielen Jahren die Vorberatung des städtischen Haushalts im Verwaltungs- und Finanzausschuss des Gemeinderats am Dienstag, 30. Januar, nicht-öffentlich stattfand, eröffnete Raum für Spekulationen.

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Der Hintergrund dafür, dass die ganztägige Ausschusssitzung hinter verschlossenen Türen stattfand, war allerdings ein ganz anderer, wie Oberbürgermeister Bernd Häusler und die Abteilungsleiterinnen Haushalt und Abgaben, Heike Bender und Barbara Lo Conte, erläutern. Es ging um eine sehr hohe Rückforderung von Gewerbesteuer durch einen Singener Betrieb. Und diese Rückforderung sei erst sehr kurzfristig vor dem vorgeschriebenen rechtzeitigen Versand der Sitzungsunterlagen am Dienstag, 23. Januar, eingegangen, so Häusler.

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Und die Lage der städtischen Finanzen ist offenbar sogar noch schlechter, als zuletzt bekannt wurde, wie nun aus einer aktuellen Pressemeldung der Stadtverwaltung hervorgeht. Der städtische Haushalt für 2024 kann demnach nicht wie geplant in der Gemeinderatssitzung am kommenden Dienstag, 6. Februar, verabschiedet werden, denn: „Hierzu bedarf es einer weiteren intensiven Abstimmung mit dem Gemeinderat“, wie es in der Pressemeldung heißt. Neuer Beschlusstermin ist Dienstag, 19. März.

Was ist geschehen?

Konkret sei es bei dem Anruf am Montag, 22. Januar, darum gegangen, dass die Stadt 18,35 Millionen Euro Gewerbesteuer zurückzahlen müsse, erklärte Bender im Gespräch. Die Rückforderung betreffe die Steuerjahre 2022 bis 2024. Das gleiche Unternehmen habe außerdem angekündigt, dass für die Jahre 2025 bis 2027 insgesamt weitere 15 Millionen Euro weniger an Gewerbesteuer gezahlt würden. Für die sechs Jahre, um die es geht, würden also etwa 33 Millionen Euro im Stadtsäckel fehlen.

„Allerdings ist diese Größenordnung außergewöhnlich.“ Singens Oberbürgermeister Bernd Häusler über die ...
„Allerdings ist diese Größenordnung außergewöhnlich.“ Singens Oberbürgermeister Bernd Häusler über die Gewerbesteuerrückforderung eines Unternehmens | Bild: Graziella Verchio

Im Vergleich zu dieser Situation nach der nicht-öffentlichen Vorberatung im Verwaltungs- und Finanzausschuss hat sich die Lage in Sachen Gewerbesteuer nun sogar noch weiter verschlimmert, wie die Stadtverwaltung am Freitagnachmittag, 2. Februar, mitteilte. Demnach habe sich am Donnerstag, 1. Februar, das zuständige Finanzamt gemeldet und mitgeteilt, dass für die betroffenen Jahre 2022 bis 2027 weitere 10,3 Millionen Euro weniger an Gewerbesteuer fließen werden.

Das Loch in der städtischen Kasse für dieses Jahr liegt also sogar bei 22,26 Millionen Euro, in den nächsten drei Jahren fehlen zusammen 21,3 Millionen Euro. Insgesamt macht das fehlende Einnahmen in Höhe von etwa 43,6 Millionen Euro in sechs Jahren. Begonnene Großprojekte wie die Sanierung der Hohenkrähenstraße oder der Neubau der Scheffelhalle werden aber weiterlaufen, so die Stadtverwaltung. Für beide Bauvorhaben seien schon die meisten Aufträge vergeben. Auch der neue Kindergarten an der Radolfzeller Straße soll begonnen werden.

Steuerrückzahlungen sind keine Seltenheit – nur nicht in dieser Höhe

Dass das Gewerbesteueraufkommen sich ändern kann und Betriebe zu viel gezahlte Beträge zurückbekommen, komme regelmäßig vor, erklärte Häusler bei dem Gesprächstermin. Das liegt darin begründet, wie die Gewerbesteuer funktioniert. Unternehmen entrichten die Gewerbesteuer in der Regel durch Vorauszahlungen, die viermal im Jahr, immer in der Mitte eines Quartals, fällig werden, was im Gewerbesteuergesetz geregelt ist.

Die Höhe der Gewerbesteuer richtet sich, grob gesagt, nach dem Gewinn eines Unternehmens. Fällt der niedriger aus, als er bei der Berechnung der Vorauszahlungen angesetzt wurde, sinkt nach dieser Systematik auch die Steuerpflicht. Mitunter fallen solche Punkte auch erst bei einer Betriebsprüfung durch das Finanzamt auf. Ob der hohe Gewerbesteuer-Ausfall nun darauf hindeutet, dass es einem der in Singen ansässigen Unternehmen schlecht geht, darüber lässt sich nur spekulieren. Der Name des betroffenen Unternehmens ist nicht offiziell bekannt.

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Für Fälle von Gewerbesteuerrückzahlung habe die Stadt auch Geld in der Hinterhand, sagte OB Häusler bei dem Gesprächstermin: „Allerdings ist diese Größenordnung außergewöhnlich.“ In mehr als 20 Jahren Haushaltsplanung in Singen habe er das noch nicht erlebt. Die Rückforderung müsse in diesem Jahr beglichen werden, so Häusler – nach aktuellem Stand also knapp 22,3 Millionen Euro. Ohne die Rücklagen, die die Stadt gebildet hat, würde das nicht gehen. Im ersten Haushaltsplanentwurf war die städtische Kämmerei noch von etwa 52 Millionen Euro Einnahmen bei der Gewerbesteuer ausgegangen, zuletzt wurden 32,65 Millionen Euro genannt, doch diese Zahlen sind nun beide Makulatur. Zum Vergleich: Im Jahr 2022 verbuchte die Stadtkasse noch Gewerbesteuereinnahmen von 82 Millionen Euro.

Ohnehin schon schwieriges Umfeld für die kommunalen Finanzen

Diese Hiobsbotschaften trafen im Rathaus in einer Zeit ein, in der es ohnehin schon schwierig war, einen genehmigungsfähigen Haushalt zusammenzustellen. Der Hintergrund ist, dass 2022 ein besonders gutes Steuerjahr für die Stadt Singen war. Das führt dazu, dass zwei Jahre später Zuweisungen von Land und Bund sinken, gleichzeitig aber Zahlungen der Stadt an den Finanzausgleich steigen. „Es gibt eigentlich keinen schlimmeren Effekt als einen Einbruch bei der Gewerbesteuer und gleichzeitig die Nachwirkungen aus der Bemessung von 2022“, sagte Heike Bender von der städtischen Abteilung Haushalt und Abgaben. Außerdem würden Ausgaben durch Inflation und hohe Tarifabschlüsse steigen, so Bender weiter. Auch die Kreisumlage ist stark gewachsen. OB Häusler sagte beim Gesprächstermin aber auch: „Die Gewerbesteuer läuft weiter, und das auch auf ordentlichem Niveau.“ Aber aus diesem Topf müsse man auch die Rückzahlung stemmen.

Um diese schwierige Finanzsituation zu meistern, habe die Stadtverwaltung die Initiative ergriffen, den städtischen Haushalt im Verwaltungs- und Finanzausschuss des Gemeinderats in nicht-öffentlicher Arbeitsatmosphäre vorzuberaten. Der Ältestenrat des Gemeinderats, der aus den Fraktionsvorsitzenden und den ehrenamtlichen OB-Vertretern besteht, habe das unterstützt, sagt Häusler. Die Regeln der Gemeindeordnung erlauben das für Vorberatungen in Ausschüssen, wohingegen für Entscheidungen in Ausschüssen und Sitzungen des gesamten Gemeinderats klar das Gebot der Öffentlichkeit gilt. Davon darf man nur abweichen, wenn es das öffentliche Wohl oder berechtigte Interessen Einzelner erfordern. Auch der Verwaltungs- und Finanzausschuss des Gemeinderats wird laut der aktuellen städtischen Mitteilung noch einmal beraten – um den Gewerbesteuer-Schock zu bewältigen.