Was bisher so selbstverständlich war, geht auf einmal nicht mehr: Gemeinsam von einem geliebten Menschen Abschied nehmen und in Erinnerungen schwelgen. „Die Gemeinschaft, die es braucht, ist in ganz vielen Fällen weggebrochen“, sagt Maritta Lieb. Sie ist Gemeindereferentin in der Seelsorgeeinheit Sigmaringen und eine von vielen, die sich in Singen, im Hegau und darüber hinaus zu einem Netzwerk unter dem Motto „Trauer verbindet uns“ zusammengefunden haben.

Anlass war die Petition von Trauerbegleitern, die eine Anerkennung als systemrelevant einfordern. Als Ulrike Traub, die in Singen unter anderem als Hospiz- und Trauerbegleiterin arbeitet, diesen Aufruf weiterleitete, habe sie so viele Rückmeldungen bekommen, dass daraus mehr wurde: Ein Netzwerk für Trauerbegleitung. Wie die Beteiligten ihr Anliegen schildern, spricht für die Situation während der Corona-Pandemie: Das Pressegespräch findet virtuell statt.

Neue Wege, um trauernde Menschen zu erreichen

Erst gab es eine große Phase der Verunsicherung und dann galt es, neue Formen der Verbundenheit zu entwickeln. So schildert Waltraud Reichle von der Klinikseelsorge am Hegau-Bodensee-Klinikum die vergangenen Monate. Die körperliche Nähe, das Stützen und Halten eines Trauernden, fehlen. Stattdessen versuche man nun, trauernde Menschen zum Beispiel per Telefon oder mit Spaziergängen zu erreichen. Das zeigt sich auch beim Programm des Netzwerks, das online gebündelt ist: Menschen, die sich mit Trauer auskennen, bieten auf verschiedenste Weise an, Betroffene zu unterstützen.

Einige der Beteiligten des Netzwerks „Trauer verbindet uns“ beim Pressegespräch: Dekanatsreferent Manfred Fischer, ...
Einige der Beteiligten des Netzwerks „Trauer verbindet uns“ beim Pressegespräch: Dekanatsreferent Manfred Fischer, Trauerbegleiterin Ulrike Traub, Sandra Storz und Elisabeth Paul vom Hospiz- und Palliativzentrum Horizont, Irmgard Schellhammer vom Hospizverein Singen und Hegau, Naturpädagogin Angela Klein, Maritta Lieb von der Seelsorgeeinheit Sigmaringen, Klinikseelsorgerin Waltraud Reichle, Pastoralreferentin Anna-Marleen Wolter sowie Helene Haas vom Hospizverein Radolfzell, Höri, Stockach und Umgebung. | Bild: Screenshot/Isabelle Arndt

Ein Termin dafür ist der 22. März, der Jahrestag des ersten Lockdowns. „Es war aber klar, dass wir keine große Gedenkfeier machen können“, sagt Ulrike Traub, deshalb sind verschiedene kleine Veranstaltungen geplant. Diese starten am 16. März und ziehen sich laut aktueller Planung bis Ende des Monats. Das komme dem Erleben der Pandemie auch näher: „Jeder hat einen anderen Moment in Erinnerung, wo sich mit dem Lockdown etwas verändert hat“, findet Traub.

Ulrike Traub
Ulrike Traub | Bild: privat

Jeder war von Abstands- und Kontaktbeschränkungen betroffen

Ein Jahr nach dem ersten Lockdown blickt auch Dekanatsreferent Manfred Fischer zurück: „Das war eine ganz furchtbare Zeit für sehr viele Menschen“, sagt er. Trauer beginne oft mit der Trauerfeier, aber: „Nach der Beerdigung ist nicht Schluss.“ Deshalb versuche er Betroffenen, weitere Möglichkeiten aufzuzeigen. Seelsorger können helfen, jetzt auch das Netzwerk „Trauer verbindet uns“. Dabei geht es den Akteuren nicht nur um Menschen, die direkt von Corona betroffen und infiziert waren. Denn die Abstandsregeln und die Kontaktbeschränkungen galten für alle. Das Besuchen von kranken Angehörigen war teilweise nicht mehr erlaubt und bei einer Beerdigung gab es Begrenzungen, wie viele Menschen gemeinsam Abschied nehmen dürfen. Dann aber auch nur mit Abstand.

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Irmgard Schellhammer vom Hospizverein Singen/Hegau erinnert sich an eine Beerdigung vor wenigen Tagen: Ein stückweit elend habe sich das angefühlt. „Man kommt gar nicht ins Gespräch.“ Dabei sei es ein Bestandteil des Verarbeitens, wenn man sich gemeinsam an den Verstorbenen erinnern und dann auch damit abschließen könne.

Bundesverband warnt: Es drohen Spätfolgen

Entsprechend appelliert der Bundesverband Trauerbegleitung in seinem Schreiben zu der Online-Petition: „Wir warnen eindringlich vor den zu erwartenden Spätfolgen, die bei nicht angemessen unterstützter Trauer, aufgrund von Verlusten nahestehender Menschen, Verlust der Arbeit, Verlust von gemeinschaftlichen Erlebnissen oder durch nicht gelebte Abschiede entstehen können.“

Ob Trauer um einen Menschen oder etwas anderes: Es braucht Raum

Auch die Beteiligten vor Ort sind sich einig, wie wichtig Trauerbegleitung ist. Dabei geht es nicht nur um die Trauer, nachdem ein Mensch gestorben ist, sondern beispielsweise auch um den Verlust eines Arbeitsplatzes. Trauer gehöre zum Leben eines Menschen dazu, sind sich die Netzwerker einig.

Dabei wolle man die Menschen nicht alleine lassen, wie Helene Haas vom Hospizverein Radolfzell, Höri, Stockach und Umgebung erklärt: „Es ist uns allen ein Anliegen, die Trauer zu sehen, hinzugucken, und nicht einfach wegzustecken.“ Dafür sind die Beteiligten in den vergangenen Monaten kreativ geworden: Pandemie-bedingt seien zunehmend Einzelgespräche gefragt, sagt Haas. In Radolfzell gebe es auch zwei Trauergruppen, die sich in einem großen Saal treffen und ihre Trauer gemeinsam bewältigen können. Der Klinikgottesdienst werde nun beispielsweise digital aufgezeichnet, ergänzt Waltraud Reichle fürs Hegau-Bodensee-Klinikum.

Briefe zeigen, dass Menschen einander gut trösten können – und wollen

Ein positives Beispiel gibt es auch vom Treffpunkt Horizont, wie Elisabeth Paul erzählt: Zur Fastenzeit habe man dazu aufgerufen, anonym Briefe mit bestärkenden Worten zu schreiben. Das sei rege genutzt worden, um den unbekannten Empfänger mit Worten zu unterstützen. Elisabeth Paul nahm daraus viel Positives mit: „In unserer Gesellschaft ist so großes Potenzial, unkompliziert andere zu trösten“, sagt sie. Das sei fast in jedem Menschen verankert. Es gelte nur, dieses Potenzial frei zu setzen.

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