Menschen mit 100 Nationalitäten leben in Singen. Das sind die offiziellen Zahlen der Stadtverwaltung. 45 Nationalitäten sind beim Nestlé Produkt- und Technologiezentrum Lebensmittelforschung, auf Englisch als NPTC abgekürzt, in Singen vertreten. All diese Menschen sollen von Singen aus schmecken – und herstellen -, was der Welt morgen und übermorgen gut schmecken könnte. Denn in der Stadt unterm Hohentwiel hat Nestlé die Zentrale dieser lebensmitteltechnischen Kreativabteilung angesiedelt, wie Barbara Bötsch, Leiterin des NPTC-Standorts. Weitere Produkt- und Technologiezentren für Lebensmittelforschung gibt es in Indien in der Region Neu-Delhi und in den USA in der Region von Cleveland, Ohio.
Gäste aus dem Singener Wirtschaftsleben konnten kürzlich einen Blick hinter die Türen der Unternehmensabteilung werfen, die südlich des Maggi-Werks angesiedelt ist – bei einer Veranstaltung des Standortmarketingvereins Singen aktiv. Dessen Vorsitzender, Wilfried Trah, kommt selbst aus dem Konzern, war bis 2015 Werksleiter bei Maggi in Singen. Zuvor sei er selbst für ein paar Jahre beim NPTC tätig gewesen, erzählt er in seiner Begrüßung – als Mensch des operativen Geschäfts kein leichter Wechsel, wie er durchblicken lässt.

Was ist nun anders beim Forschungszentrum als im Maggi-Werk? Bötsch stellt gleich zu Beginn ihres Vortrags klar, dass das NPTC kein Anhängsel der Maggi ist, sondern ein eigenständiger Standort, der sogar direkt dem Schweizer Nestlé-Konzern angegliedert ist. Und im Gegensatz zur industriellen Großproduktion eingeführter Produkte vor allem für den deutschen Markt arbeite man beim NPTC für alle Märkte weltweit.
Bötsch wirft eine beeindruckende Vielfalt an Markenlabels an die Wand, für die ihr Unternehmenszweig arbeite. Die meisten davon sind in Mitteleuropa unbekannt, weil sie nur auf anderen Kontinenten verbreitet sind.

Das erklärt auch, warum so viele verschiedene Nationalitäten beim NPTC in Singen vertreten sind. Über einen möglichst authentischen Geschmack der am Ende industriell gefertigten Lebensmittel können eben am besten Menschen aus der Region entscheiden, für die die Produkte entwickelt werden. Doch manchmal würden auch die Mitarbeiter in Singen an ihre Grenzen stoßen, dann müssen Testesser in der Zielregion an die Arbeit gehen.
Internationale Köche entwickeln neue Produkte
Um die neuen Produkte zu entwickeln, gebe es beim NPTC Lebensmittelforschung ein Team von zehn Küchenchefs, sagt Alexander Nöth, Leiter dieses Teams. Beim benachbarten Maggi-Werk gebe es fünf Küchenchefs, die Produkte für den deutschen Markt machen, so Nöth. Die Köche, die beim NPTC tätig sind, seien international in der Welt unterwegs gewesen, teilweise hätten sie eigene Restaurants geführt, erklärt Barbara Bötsch. Warum gehen solche Leute ausgerechnet in die Lebensmittel-Industrie? Bötsch beantwortet die Frage gleich selbst: „Hier können sie kreativ sein, haben aber feste Arbeitszeiten.“
Los geht es in einer haushaltsüblichen, wenn auch sehr gut ausgestatteten Küche, zeigt Bötsch beim Rundgang. Dort kochen die Küchenchefs ein neues Produkt: „Das wird so lange verfeinert, bis es fertig ist“, erklärt Bötsch – intern der goldene Standard genannt. Danach kommen die Techniker an die Reihe. Ihre Rolle ist, ein Produkt auf industrielle Fertigung umzustellen. Und an dieser Stelle könne es zu Verzögerungen kommen, weswegen es auch keine Faustregel dafür gebe, wie lang ein Produkt von der Idee bis ins Supermarktregal braucht.

Das am schnellsten entwickelte Produkt sei jedenfalls einmal eine vegane Burgersoße gewesen, die in vier Monaten fertig gewesen sei, erklärt die Standortleiterin auf eine Frage aus dem Publikum. Diese sei praktisch eine Folge eines veganen Burger-Pattys gewesen, zu dem es eben auch eine vegane Soße geben sollte.
Und überhaupt, die Schnelligkeit: Auch im Lebensmittelbereich beschleunige sich das Geschäft, erklärt Bötsch. Sei ein Produkt fertig, gehe es direkt mit kleinen Mengen in den Markt, langwierige Markttests würde man sich inzwischen sparen. Die Produktion könne dann direkt in Singen stattfinden.
Der Mega-Trend ist pflanzenbasiert
Bei der Jagd nach den aktuellen Essenstrends weltweit will sich Barbara Bötsch nicht allzu tief in die Karten schauen lassen. Der Druck durch die Konkurrenz ist offenbar hoch, auch beim Werksrundgang sind keine Fotos von den Anlagen zugelassen. Klar ist aber: „Alles Pflanzenbasierte ist ein Mega-Trend“, so Bötsch.
Und sie macht klar, dass beim NPTC nicht nur Menschen aus vielen verschiedenen Nationalitäten arbeiten, sondern dass man sich auch mit kulturellen Unterschieden auskenne. So würden Fertigprodukte speziell in Mitteleuropa in der Küche eher verschämt verwendet oder versteckt – im Gegensatz dazu wachse der Umsatz mit Fertigprodukten auch hierzulande. In Afrika sei es hingegen eher ein Statussymbol, sich einen Maggi-Würfel zum Kochen leisten zu können.