Wissen kann Segen und Fluch zugleich sein. Eine, die sich damit auskennt, ist Anja Lauff. Während ihrer zweiten Schwangerschaft hat sie einen nichtinvasiven Pränataltest (NIPT) machen lassen, der anzeigen kann, ob das ungeborene Kind eine Trisomie hat. Das Fachwort bedeutet, dass ein Chromosom dreimal statt wie in den meisten Fällen zweimal im Genom eines Menschen vorhanden ist. Eine Trisomie kann bei verschiedenen Chromosomen auftreten und leichte Beeinträchtigungen bis hin zu sehr schweren Behinderungen zur Folge haben.

Das Ergebnis für Lauffs jüngeren Sohn fiel beim 21. Chromosom positiv aus – ein Anzeichen dafür, dass der Junge mit Trisomie 21, auch bekannt als Down-Syndrom, zur Welt kommen könnte. Anja Lauff schildert am Telefon spontan, was ein solches Testergebnis mit Eltern macht: „Dann brechen Welten für einen zusammen.“

Entscheidung mit weitreichenden Folgen

Da positive Ergebnisse von NIPTs deutlich weniger zuverlässig seien als negative, sei dieses Resultat durch weitere Untersuchungen überprüft worden. Für die Familie war es eine schwere Zeit, bis die Entscheidung feststand. Außerdem habe es intensive Diskussionen darüber gegeben, was die Folgen sein könnten. Immerhin trafen die Eltern diese Entscheidung nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihr älteres Kind.

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Die gemeinsame Entscheidung lautete am Ende: Ja, wir wollen dieses Kind. Und darüber sei die ganze Familie glücklich, sagt Anja Lauff: „Wir sind damit im Reinen.“ Einen Vergleich zwischen ihren beiden Söhnen habe sie nie gezogen: „Elias ist glücklich und er ist super genau so, wie er ist“, sagt sie über ihren jüngeren Sohn, der vor etwas mehr als zwei Jahren mit dem Down-Syndrom zur Welt kam. Und ihr älterer Sohn Matteo habe das größte Glück, mit einem solchen Bruder aufzuwachsen: „Er liebt seinen Bruder und akzeptiert, dass es in seiner Entwicklung ein anderes Tempo gibt.“

90 bis 95 Prozent brechen Schwangerschaft ab

Dabei habe Elias körperlich kaum eine Beeinträchtigung. Lauff ist sich bewusst, dass das bei anderen Menschen mit Trisomie 21 anders sein kann. Etwa die Hälfte der Kinder bringe einen Herzfehler mit, der sofort operiert werden müsse. Und viele hätten Magen-Darm-Probleme, die ebenfalls eine Operation notwendig machen.

Das Deutsche Down-Syndrom Infocenter, das von einem Selbsthilfeverein getragen wird, geht davon aus, dass 90 bis 95 Prozent der Schwangeren die Schwangerschaft abbrechen, wenn sie die Diagnose Down-Syndrom bekommen. Der Wert bezieht sich nicht nur auf NIPTs, sondern auf alle Untersuchungsmethoden. „Das bricht mir das Herz“, sagt Anja Lauff dazu.

2018 wird ein „Praena-Test“ der Konstanzer Firma LifeCodexx vorgestellt. Die Tests sollen über eine vorgeburtliche ...
2018 wird ein „Praena-Test“ der Konstanzer Firma LifeCodexx vorgestellt. Die Tests sollen über eine vorgeburtliche Blutentnahme Aufschluss über eine mögliche Erkrankung des Kindes an Trisomie 21 geben. | Bild: Tobias Kleinschmidt

Doch warum hat sie den Test, den sie damals selbst bezahlen musste, überhaupt gemacht? Bei der zweiten Schwangerschaft habe die Familie wissen wollen, was auf sie zukommt. „Zu zweit kann man sich leichter darauf einstellen als mit einem Kind“, sagt sie. Den Test habe sie mit relativ wenig Überlegung über mögliche Konsequenzen gemacht, sagt Lauff. Und ist sich sicher: „Daran können Familien auch vor der Geburt zerbrechen.“ Deswegen habe die Familie verschiedene Beratungsangebote in Anspruch genommen.

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Schon vor einem Test ist Beratung möglich

Für eine rechtzeitige Beratung werben auch Vertreterinnen von Schwangerschaftsberatungsstellen im Landkreis Konstanz. Denn sie kennen die schwierigen Situationen, vor denen Familien stehen können, wenn ein NIPT positiv ausfällt. Und die dürften häufiger werden. Denn unter Umständen übernehmen die Krankenkassen seit dem 1. Juli die Kosten. Ein Grund ist beispielsweise, wenn sich ein Hinweis auf eine Trisomie ergeben hat. Oder dass die Schwangere mit ihrem Arzt „zu der Überzeugung kommt, dass der Test in ihrer persönlichen Situation notwendig ist“, heißt es beim Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA), dem Gremium von Ärzten und Krankenkassen, das über Kassenleistungen entscheidet.

Es gebe zwar festgelegte Faktoren, sagt Sahera Semaan, Ärztin bei Pro Familia in Konstanz, doch im Prinzip könne eine schwangere Frau auch sagen, dass sie Angst wegen des Kindes habe.

Umstrittene Tests

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Schwangere Frauen würden nur selten eine Beratung in Anspruch nehmen, bevor sie einen NIPT machen lassen. Dabei sei das möglich und auch empfehlenswert, sagt Brigitte Meßmer, Sozialpädagogin beim Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) in Singen. Bei Ärzten gehe es um Ziele, Aussagekraft und Folgen einer Untersuchung, so der GBA.

Schwangerschaftsberaterinnen aus dem Landkreis Konstanz (von links): Nicola Biehler (Diakonisches Werk, ev. Kirchenbezirk Konstanz), ...
Schwangerschaftsberaterinnen aus dem Landkreis Konstanz (von links): Nicola Biehler (Diakonisches Werk, ev. Kirchenbezirk Konstanz), Julia Cerisualo-Iserte (Pro Familie Singen), Dagmar Habisreuther (Diakonisches Werk, ev. Kirchenbezirk Überlingen-Stockach), Brigitte Meßmer (SkF Singen), Lea Stephan (Diakonisches Werk, ev. Kirchenbezirk Konstanz), Sahera Semaan (Pro Familia Konstanz) und Claudia Eisenmann (SkF Konstanz). | Bild: Freißmann, Stephan

Schwangerschaftsberatungsstellen konzentrieren sich hingegen auf psychosoziale Themen: „Die Beratung kann bei der Entscheidung für oder gegen einen Test helfen, aber auch beim Umgang mit einem auffälligen Ergebnis“, heißt es beim GBA.

Positives Ergebnis wirft viele schwerwiegende Fragen auf

Dabei geht es laut Meßmer um Fragen wie: Was würde ein Kind mit einer Behinderung für eine Familie bedeuten? Auch mit Paarkonflikten haben die Beraterinnen Erfahrungen. Kann eine Frau eine Beziehung fortführen, wenn sie ein Kind auf Betreiben ihres Partners abtreibt? Oder muss sie das Kind allein erziehen, weil ihr Partner sich nicht dazu in der Lage sieht und seine Familie verlässt? Das sind Fragen, die laut Meßmer aufkommen können.

Welche Konsequenzen ein positives Testergebnis hätte, dafür können sich die Beraterinnen Zeit nehmen, sagt Lea Stephan vom Diakonischen Werk im evangelischen Kirchenbezirk Konstanz. Sie und ihre Kollegin Nicola Biehler weisen auf den sozialen Druck hin, der sich rund um NIPTs aufbauen kann: „Eine Schwangere erzählt es der anderen. Und am Ende heißt es dann: Hast du es nicht testen lassen?“, sagt Stephan. Und Claudia Eisenmann vom SkF Konstanz sagt: „Die Frauen wollen alles richtig machen.“

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Dabei könne eine schwangere Frau bei positivem Befund leicht das Gefühl haben, über Leben und Tod entscheiden zu müssen, wie Brigitte Meßmer drastisch formuliert. Die Beraterinnen wollen daher die Frauen stärken, um eine gute Entscheidung zu treffen, sagt Sahera Semaan – und sich schon vor dem Test Fragen zu stellen, die bei der Entscheidungsfindung helfen.

Und ein NIPT gebe keine absolute Sicherheit. Gerade bei jungen Schwangeren seien positive Ergebnisse mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit falsch, weshalb sie durch weitere Untersuchungen abgeklärt werden müssen.

Beraterinnen sind nicht grundsätzlich gegen den Test

Die Schwangerenberatung sei ergebnisoffen, betont Claudia Eisenmann. Das ist auch gesetzlich so geregelt. Die Schwangerenberaterinnen seien nicht grundsätzlich gegen den NIPT, sagt Brigitte Meßmer. Und an Frauenärzte appellieren die Beraterinnen, das Angebot unter Schwangeren bekannt zu machen. Die Beraterinnen seien für alle schwangeren Frauen da, egal welches Anliegen sie haben, ergänzt Dagmar Habisreuther vom Diakonischen Werk im evangelischen Kirchenbezirk Überlingen-Stockach.

Auch Familie Lauff hat Beratungen in Anspruch genommen: „Eine Beratung, die passt, ist in einer solchen Situation natürlich ein Traum“, sagt Anja Lauff.

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