„Tooor ... !“ schallt es aus der Nachbarschaft direkt auf meinen Schreibtisch. Habe ich richtig gehört? Ein Ball schlägt gegen die Hauswand und wieder: „Tooor ...“. Aber es ist kein Jubel von Spielfeldrand oder aus der Radiokonserve. Es ist ein einsames, aber umso leidenschaftlicheres „Tooor“, das da zwei Häuser weiter geschossen wird. Der Schütze verwandelt sich mal in Ronaldo, mal in Mario Gomez, Jérome Boateng oder Mats Hummels. Und wenn der Ball im Tor gelandet ist, wird der Spieler gleich auch noch zu seinem eigenen Zuschauer.

Unser Held heißt Theo Gomolla, ist sieben Jahre alt und geht in die Singener Bruderhofschule. Normalerweise spielt der Nachbarjunge in der DJK, wo auch sein Vater Dirk Bokalawsky die Jugendmannschaft trainiert. Aber Corona hat alles lahmgelegt. Wo sonst in der Wohnstraße ein munteres Kinderstimmengewirr herrscht, ist derzeit nur Stille. Da ist es beruhigend, wenn Theo am Nachmittag sein Tor bedient.

Doch zuvor ist Unterricht angesagt. Wie seine Freundin Xenia Bausch – drei Häuser weiter – hat Theo von seiner Klassenlehrerin ein ganzes Aufgabenpaket mit nach Hause bekommen. Bei seinen beiden Schwestern Marlene und Hanna, die die achte und zehnte Klasse am Hegau-Gymnasium besuchen, kommen die Unterrichtsmaterialien und Aufgaben online zum Ausdrucken nach Hause.

„Wir haben das Glück, dass unsere drei Kinder gerne zur Schule gehen“, sagt Annette Gomolla. Am ersten Tag hätten sie sich zwar noch über die neue Freiheit gefreut. „Aber schon nach der ersten Woche hat Theo seine Klassenkameraden vermisst.“ Auch die großen Mädchen bedauern, dass sie ihre Freundinnen zurzeit nicht treffen können. Was den Unterricht zu Hause angehe, so arbeiteten alle drei Kinder sehr zuverlässig.

Hanna Gomolla hat am letzten Schultag vor der Corona-Zwangspause ein großes Aufgabenbündel mit nach Hause bekommen. Konzentriert ...
Hanna Gomolla hat am letzten Schultag vor der Corona-Zwangspause ein großes Aufgabenbündel mit nach Hause bekommen. Konzentriert arbeitet sie Tag für Tag daran. | Bild: Annette Gomolla

Wichtig sei, dass eine Tagesstruktur eingehalten werde, sagt Annette Gomolla. „Das heißt, dass der Wecker klingelt, alle sich anziehen, frühstücken und dann ab 8 Uhr bis 13 Uhr an ihren Aufgaben arbeiten.“ Bei Theo sei das mit dem Unterricht noch recht einfach. „Wir lesen viel zusammen und machen auf der Leseförder-Plattform „Antolin“ fleißig Quizfragen zu Büchern, die er kennt. Er muss zwar immer wieder motiviert werden, macht dann aber gut seine Aufgaben“, so die Mutter.

Theo Gomolla hat keine Schwierigkeiten mit den Aufgaben, die er von seiner Lehrerin aus der Bruderhofschule als Paket zugestellt ...
Theo Gomolla hat keine Schwierigkeiten mit den Aufgaben, die er von seiner Lehrerin aus der Bruderhofschule als Paket zugestellt bekommen hat. Aber die Klassengemeinschaft fehlt ihm schon. | Bild: Annette Gomolla

Bei den Mädchen sei es etwas schwieriger mit den Aufgaben, zumal sie sich ein gemeinsames Laptop teilen müssen. Beide hätten einen individuellen Arbeitsstil. Während Hanna die Aufgaben so abarbeitet, wie sie online eingehen, wählt Marlene die Aufgaben nach eigenem Interesse aus. Das funktioniere ganz gut. Per E-Mail dürfen die Hegau-Gymnasiasten ihre Lehrer kontaktieren.

Nach dem Mittagessen wird noch etwas musiziert und dann fährt Annette Gomolla mit den Mädchen auf den Therapiehof, um die Pferde zu versorgen. „Auch wenn wir als Selbstständige wegen der Krise keine Einnahmen haben, sind wir gut beschäftigt“, erklärt die Chefin des Therapiehofes. Großes Bedauern hat sie allerdings mit ihren Patienten, die derzeit nicht betreut werden können. Und auch die Seminare für die angehenden Reittherapeuten müssen jetzt alle verschoben werden. Die finanziellen Einbußen sind belastend.

Home-Office und Home-Schooling zugleich geht nicht

Drei Häuser weiter wechseln sich Christian Bausch und seine Frau Eva mit dem häuslichen Unterricht ihrer beiden Töchter Ronja (16) und Xenia (9) ab. Vor allem wenn es um Mathematik geht, haben die Mädchen Fragen. Ronja besucht das Friedrich-Wöhler-Gymnasium, Xenia geht wie Theo zur Bruderhofschule. „Beide arbeiten recht selbstständig“, berichten die Eltern.

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Christian Bausch ist als Informatiker froh, dass er seine Arbeit für seinen Schweizer Arbeitgeber von zuhause aus erledigen kann. Aber Home-Office und Home-Schooling parallel, das funktioniert nicht. „Ich habe mir meinen Arbeitsplatz im Keller eingerichtet, damit ich ungestört arbeiten kann“, sagt Christian Bausch. Wenn er den Kindern bei den Aufgaben hilft, hat er im eigenen Job Urlaub.

Mutter und Tochter arbeiten zusammen. Eva Bausch lässt sich von Xenia die Nationalflaggen erklären.
Mutter und Tochter arbeiten zusammen. Eva Bausch lässt sich von Xenia die Nationalflaggen erklären. | Bild: Christian Bausch

Eva Bausch arbeitet für eine private Verrechnungsstelle und muss derzeit noch ins Büro fahren, kann bei Bedarf aber mit ihrer Arbeitszeit ins Minus gehen, wenn sie zu Hause gebraucht wird. „Bisher klappt alles ganz gut“, sagt Eva Bausch. „Die Kinder müssen lernen, selbstständig zu arbeiten. Großartig fand ich, dass Xenias Lehrerin sich nach der ersten Woche persönlich nach uns erkundigt und auch mit Xenia gesprochen hat.“

Die ganze Familie vermisst die sozialen Kontakte

Bei Ronja beginnt der Tag nach dem Frühstück am väterlichen Drucker. Da werden die neuesten Aufgaben ausgedruckt, bevor es an den Schreibtisch geht. Ronja sammelt als Klassensprecherin die Fragen ihrer Mitschüler und korrespondiert dann per Mail mit ihren Lehrern.

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Obwohl die Stimmung in der Familie noch sehr harmonisch ist, vermissen doch alle ihre sozialen Kontakte. Und in der zweiten Woche Heim-Unterricht sie allen die Disziplin schon etwas schwerer gefallen. „Mal sehen, wie das in drei Wochen ist“, fragt sich Eva Bausch. „Klar ist jetzt schon, dass den Mädchen die Lehrer fehlen. Und natürlich auch die Hobbys wie Tanzen oder die Theater-AG.“