Städte und Gemeinden klagen schon seit geraumer Zeit darüber, dass die Unterbringung von geflüchteten Menschen eine Herausforderung sei, die sie nicht stemmen können. Nun hat sich ein Mitglied der Landesregierung vor Ort mit den Sorgen und Nöten der Bürgermeister auseinandergesetzt. Marion Gentges, Landesministerin der Justiz und für Migration (CDU), war in Steißlingen zu Gast, hat dort die Container-Anlage für die Anschlussunterbringung von Flüchtlingen besucht und mit Bürgermeistern sowie Landtags- und Bundestagsabgeordneten der Region gesprochen. Eingeladen hatte Steißlingens Bürgermeister Benjamin Mors, der seit November 2023 Vorsitzender des Gemeindetages im Kreis Konstanz ist – und damit gewissermaßen der Sprecher und Interessensvertreter der Bürgermeister im Landkreis.

Beim Pressegespräch nach dem Termin benannte Mors auch deutlich das Problem. Es gebe schlechte Stimmung unter den Bürgermeister-Kollegen, weil man aus einer Durststrecke komme und keine Entlastung spüre. Die Anzahl an Menschen, die unterzubringen sind, sei derzeit sogar deutlich höher als nach der Zeit des verstärkten Zuzugs in den Jahren 2015 und 2016, so Mors. Seine eigene Gemeinde steuere gerade darauf zu, dass fünf Prozent der Einwohner als Geflüchtete untergebracht werden müssen. Vor acht Jahren sei es ein Prozent gewesen.

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Dabei sei die Dramatik auf der Ebene der Städte und Gemeinden am größten. „Es wird klar: Die Menschen sind lange in den Einrichtungen“, sagte der Steißlinger Bürgermeister. Da helfe es nur, dass weniger Menschen kommen. Mors mahnte auch schnellere Asylverfahren an, damit nur die Menschen in die Gemeinden kommen, die auch wirklich bleiben dürfen. Und auf der finanziellen Seite würde man sich wünschen, dass das Geld vom Bund die Gemeinden auch zeitnah erreicht – und zwar ohne, dass das Land etwas davon selbst einbehalte, wie Mors auf Nachfrage bekräftigte.

Bund und Länder hatten sich im November in einem Asylkompromiss darauf geeinigt, dass der Bund 7500 Euro pro Asylbewerber und Jahr für die Unterbringung an die Gemeinden zahlt, die Länder müssen diese Mittel verteilen. Das Geld sei allerdings auch beim Land noch nicht eingegangen, sagte Gentges.

Ministerin signalisiert Verständnis

Die Ministerin signalisierte, dass sie das Anliegen verstanden habe: „Es sind so viele Menschen unterzubringen, dass es die Kapazitäten eigentlich sprengt.“ Mitarbeiter und Helfer in Haupt- und Ehrenamt seien stark belastet. Und sie hob hervor: „Beim Gespräch mit den Bürgermeistern war niemand dabei, der gesagt hätte: Wir wollen diese Aufgabe nicht.“ Der Tenor sei gewesen: Wir wissen nicht, wie wir es schaffen sollen. „Die Zugangszahlen sind zu hoch, um sie vernünftig bewältigen zu können“, benannte sie als Kernproblem. Wenn man den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht riskieren wolle, müsse man das Problem reduzieren. Davon verspreche sie sich auf politischer Ebene auch wieder bessere Umfrageergebnisse.

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Was sie als Lösungsansätze präsentierte, hörte sich im Wesentlichen nach den sprichwörtlichen Festungsmauern an: Seit Beginn der Grenzkontrollen zur Schweiz sei beispielsweise spürbar, dass weniger Menschen ins Land kommen, im November 2023 sei die Zahl erstmals seit Langem wieder niedriger gewesen als im Vorjahresmonat, und zwar um 1500 Personen.

Auch die Bezahlkarte, auf die sich Bund und Länder geeinigt haben, nannte sie als einen Faktor. Das Ziel einer Bezahlkarte ist, dass kein Bargeld mehr ausgezahlt wird, sodass Geflüchtete kein Geld mehr in ihre Heimatländer schicken können – mit der Idee, dass Asyl in Deutschland unattraktiver wird. Und die Höhe der gewährten Leistungen sei an diesem Tag ebenfalls ein Gesprächsthema gewesen, ebenso wie das gemeinsame europäische Asylsystem.

Einige sind gar keine Kriegs-Flüchtlinge

Und Gentges brachte ein heißes Eisen zur Sprache. Es gebe im Land eine Gruppe von Sinti und Roma, die über brandneue Papiere aus der Ukraine verfügten, die überwiegend von einer bestimmten Behörde ausgestellt worden seien. Allerdings hätten diese Menschen offenbar auch die Staatsangehörigkeit von Ungarn, seien daher auch Bürger der Europäischen Union – und hätten damit keinen Schutzstatus und Leistungsanspruch. Etwa 180 dieser Menschen würden in der Region leben, sagte Hans-Peter Storz (SPD), der als Landtagsabgeordneter an dem Treffen teilnahm.

Wie schafft man es, dass Hilfsbedürftige auch wirklich Hilfe bekommen?

Grundsätzliches hatte Gentges allerdings auch dabei. Zum Beispiel zur Frage: Wie schafft man es, dass diejenigen Hilfe erhalten, die sie wirklich brauchen? Gentges argumentierte: „Derzeit ist es doch so: Wer es hierher geschafft hat, bekommt auch Hilfe.“

Das System habe man mal mit den besten Absichten etabliert, es funktioniere aber nicht mehr. Wenn jemand herkomme, um zu arbeiten, habe das zunächst einmal wenig mit Humanität zu tun, so die Ministerin, sondern mit Chancen für Menschen, die hier eine bessere Zukunft wollen. Da könne die Lösung nicht sein, dass diese Menschen über den – übrigens häufig lebensgefährlichen – Weg des Asyls nach Deutschland kommen und es irgendwie schaffen, „weil das System nicht durchsetzungsstark genug ist“. Da wünsche sie sich neue Regeln für Einwanderung, wie sie auf Nachfrage sagte.

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Und Landrat Zeno Danner plädierte: „Wir dürfen nicht in den Reflex verfallen zu sagen, es werde inhuman, nur weil wir versuchen, uns zu organisieren.“ Man müsse auch sehen, wo man Kita-Plätze und ähnliches herbekomme. Und Baden-Württemberg habe so viele Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen wie ganz Frankreich. Diese Themen müsse man nüchtern diskutieren.

Das sagen die Abgeordneten bei dem Termin

Die anwesenden Abgeordneten stimmten diesen Überlegungen im Wesentlichen zu. „Der Punkt ist, den Schutz auf die Menschen zu konzentrieren, die Schutz wirklich brauchen“, sagte etwa Andreas Jung (CDU), Wahlkreisabgeordneter im Bundestag und einer der stellvertretenden Bundesvorsitzenden seiner Partei. Die Bezahlkarte sei richtig, die Verfahren müssten schneller gehen und das Bürgergeld müsse man überdenken.

Der Bund habe schon einiges geliefert, sagte seine FDP-Kollegin Ann-Veruschka Jurisch, die auch Fachpolitikerin für Migration ist. Das Land könne vor allem mit schnelleren Verfahren helfen, dann könnte man den Gemeinden nur die Menschen zuordnen, die wirklich eine Bleibe-Perspektive haben. Und umgekehrt könnten Menschen ohne Bleibe-Perspektive mithilfe einer europäischen Lösung an den Außengrenzen der EU gleich zurückgeschickt werden.

Hans-Peter Storz, Landtagsabgeordneter der SPD für den Wahlkreis Singen, forderte, die Zahl der Plätze für Abschiebehaft zu erhöhen. Und: „Das Land muss das Geld vom Bund direkt weitergeben.“

Dorothea Wehinger, Grünen-Landtagsabgeordnete im Wahlkreis Singen, äußerte eine etwas andere Meinung. Man müsse auch Wahrheiten über Geflüchtete verbreiten, statt über goldene Zähne zu sprechen, sagte sie. So furchtbar viel Geld sei es nicht, was die Menschen am Ende des Tages nach Hause schicken könnten. Und: „Wenn ich mir die Klimakrise anschaue, denke ich: Es werden künftig sicher noch deutlich mehr Menschen nach Europa kommen.“